Freitag, 8. Oktober 2021

Dienst vor Dividende

 

SAPO, die südafrikanische Post, steckt seit Jahren in der Krise (erinnert sei an drei Einträge in diesem Blog aus dem Jahr 2016). Wechsel an der Spitze, Filialschließungen, Umschuldungen - immer neue Finanzspritzen des ohnehin zunehmend klammen Staates brachten nicht den versprochenen „turn around“. Im April dieses Jahres erklärte Tsakani Maluleke, die oberste Rechnungsprüferin (Auditor General), die Post für „kommerziell insolvent“. Vor ein paar Wochen wurde bekannt, dass das Unternehmen für seine mehr als 9.000 Angestellten und Pensionäre schon seit 15 Monaten keine Krankenkassen- und Rentenbeiträge abgeführt hat.

Ob die Post ihre Schulden bei den Kassen abstottern kann, wie jetzt vereinbart und vom Gericht angeordnet wurde, ist offen. Viele technisch versierte Bürgerinnen und Bürger haben die staatliche Post längst abgeschrieben - sie schreiben Mails, beauftragen Kurierdienste, arbeiten mit Banken, die mehr Filialen haben. So berechtigt der Ärger ist („Weihnachtskarten kommen im März in England an“ heißt es sogar schon bei Wikipedia), sollte bei aller Häme nicht vergessen werden, dass die Postfilialen für andere Menschen immer noch wichtige Aufgaben erfüllen, zum Beispiel Renten auszahlen.

In Kleinstädten hat die Post auch eine soziale Funktion. Was der Historiker Christopher W. Shaw für die USA beschrieben hat, ist auch für Südafrika bedenkenswert: In vielen kleineren Städten sei die Post der einzige öffentliche Ort, an dem sich die Bürger regelmäßig begegnen. Sie zu erhalten sei sinnvoll, denn in ihnen zeige der demokratische Staat, dass er als Dienstleister für alle seine Bürgerinnen und Bürger bereitstehe. Das wäre in Südafrika, einem Land, in dem der Staat bei so vielen Aufgaben kläglich versagt und die Bürger missachtet, keine Kleinigkeit.

In Namibia hat man das offenbar verstanden: Die Post dort (NamPost) bekennt sich ausdrücklich zu dieser sozialen Funktion als „key point of contact in many communities across all regions of Namibia covering cities as well as remote towns, villages and settlements“ (Jahresbericht 2020). In dem dünn besiedelten Land (2,56 Millionen Einwohner) gibt es 135 Poststellen, d.h. Postämter, Postagenturen und mobile Angebote. Statistisch kommt auf 17.218 Menschen eine Filiale. Selbst der kleine Ort Aus hat eine eigene, einladende Post, die jüngst erst renoviert wurde. Auch um Schnelligkeit ist man bemüht: In der Filiale in Lüderitz wird sogar Rechenschaft abgelegt über die Brieflaufzeiten.

Die namibische Post ist so etwas wie ein kommerzialisiertes Staatsunternehmen, das selbständig wirtschaften kann und das auch erfolgreich macht. 71 Poststellen arbeiten profitabel und tragen damit die übrigen mit. Der verbliebene Gewinn wurde 2020 reinvestiert, deshalb gab es keine Dividende. So hat man es einst auch in den USA gehalten. Den für die Entwicklung des Landes so förderlichen Ausbau der US-Post erklärt der Historiker Shaw mit genau dieser Strategie: Dienst vor Dividende.   

Sonntag, 26. September 2021

Iglus in der Wüste

„Namibias bester Apfelstrudel“ verspricht das Werbeschild an der Straße zum Fish River Canyon in Chamaits. Vollbremsung und Kuchenvergleich – in Solitaire, einer kleinen Häuser-Ansammlung vor der großen Sossusvlei-Düne, vezeichnet sogar die Landkarte mit dem Hinweis „Bakery“ eine Sehenswürdigkeit: Namibias bester Apfelkuchen. Der Wettbewerb ist hart: Auch in Helmeringhausen preist das einzige Hotel dort seinen Apfelkuchen ebenfalls mit diesem Superlativ an.

Der Apfelstrudel auf dem Namibia Canyon Farm Yard von Wally und seiner Frau Meisie ist dort aber nicht die einzige Attraktion. Wie in der 40 Kilometer entfernten Roadhouse Canyon Lodge stehen dort Autowracks und unzählige andere zusammengesammelte blecherne Memorabilien in der Landschaft. Die geflieste und mit neuer Sanitärkeramik ausgestattete und zudem blitzsaubere Toilette ist in einem Wassertank untergebracht, und seit kurzem gibt es eine neue Attraktion auf dem sandigen Gelände: drei Iglus. Stolz schließt Wally die Tür zu einem Iglu auf: Es ist eine komplette Herberge mit einem Doppel- und einem Einzelbett und einem En-Suite-Bad. „Abends schaltet man dann die Air Condition an“, sagt Wally und öffnet grinsend ein rundes Bullaugen-Fenster, „das gibt Durchzug“. Selbst in der Mittagshitze sind die Temperaturen im Iglu aus Fieberglas gut erträglich.

Früher waren Wally und Meisie Farmer und haben Kühe aufgezogen, dieses Geschäft hat die Dürre dann kaputt gemacht. Heute verkaufen sie in ihrem Coffee Shop alle möglichen Andenken an Touristen und locken mit ihrem Apfelkuchen Kunden an. Zu Hochbetriebs-Zeiten kamen am Tag auch schon mal hundert Menschen; jetzt sind es manchmal nur drei oder vier. Auch in den Iglus übernachten schon welche. Groß Werbung können sie sich nicht leisten, aber wer hier schon einmal geschlafen hat, macht die Werbung für mich, lacht Wally.  

Donnerstag, 23. September 2021

Laster in Lüderitz

Lüderitz soll nach den Diamantenfunden (1908) die reichste Stadt Afrikas gewesen sein. Alte Gebäude, nach den Plänen deutscher Architekten gebaut, erinnern noch daran, viele haben aber ihren alten Glanz verloren, sind gar in deplorablem Zustand. In der Hauptstraße, nach Bismarck benannt, findet man Apotheken, Post und Banken, man kann Besorgungen machen. Geschäfte mit einladenden Schaufenstern sucht man vergebens.  

Zum Schlendern ist die Bismarckstraße auch deshalb nicht geeignet, weil in kurzen Abständen schwere Schüttgutlaster in Richtung Hafen unterwegs sind. Als einer der Laster sich gezwungen sieht, vor einem Zebrastreifen zu bremsen, bricht der hintere Container ein und blockiert die Reifen. „Der Aufleger war unsachgemäß geschweißt, und das hat nicht gehalten“, erklärt ein Lüderitzer, der den Unfall mit der Handy-Kamera dokumentiert. Aus dem Hafen wird ein Kran mit riesigen Greifern geholt, der Mühe hat, den Anhänger – Maximalgewicht 57.000 Kilogramm - vom Vorderteil zu trennen. Aber bald ist der havarierte Laster geteilt, die getrennten Hälften ein paar Ecken weiter abgestellt.   

„Die Laster fahren hier Tag und Nacht, 7/24“, sagt der Mann, der sich als Aktivist bezeichnet. Sie haben alle die gleiche Fracht: Mangan aus Südafrika. Im Hafen liegt die „Ultra Vision“, die unter panamaischer (Billig-)Flagge fährt und Tag und Nacht beladen wird. vesselfinder.com verrät, dass die „Ultra Vision“ von den Arabischen Emiraten kommt. Gefragt ist das südafrikanische Mangan in aller Welt, vor allem aber in China, das in Namibias Bergbau ohnehin eine große Rolle spielt.

Die Lüderitzer erbost, dass ihre Stadt praktisch nichts von diesem Export hat, denn es wurden nur wenige Arbeitsplätze im Hafen geschaffen. Die Fahrer machen schnurstracks kehrt, tanken nicht, kehren nicht ein. Bei Ausschreibungen seien örtliche Bewerber nicht berücksichtigt worden, heißt es, trotz anderslautender Versprechen. Und ob unter diesen Umständen demnächst wieder mehr Touristen kommen oder Kreuzfahrtschiffe anlegen, erscheint fraglich. Neben der Fischereiwirtschaft ist das Reisegeschäft die wirtschaftliche Basis der Stadt.

Die Geschäfte der Exporteure laufen offenbar prächtig: Schon auf der Fahrt von Südafrika nach Keetmanshoop fallen die vielen Schüttgutlaster auf. Die Ausfuhr über Lüderitz ist leichter zu organisieren als über die südafrikanischen Häfen. Als dieses Geschäft vor einigen Jahren geplant wurde, wurde von einer Bewerberfirma ein Umweltgutachten präsentiert, für das auch viele Lüderitzer befragt wurden. Fast alle waren skeptisch bis ablehnend: Manganstaub ist giftig, der Tourismus könnte leiden, die schweren Lkw belasteten die Straße, und Versprechungen, die Eisenbahnverbindung nach Lüderitz wieder auf- und auszubauen, blieben vage. Die namibische Regierung aber zeigte sich von diesen Warnungen und Meinungen unbeeindruckt; seit einiger Zeit rollen die Lkw, manchmal im Minuten-Takt. „Wir haben nur erreicht, dass die Ladung mit Planen abgedeckt wird“, sagt der Unfall-Beobachter, „mehr nicht.“

Dass der Strand deutliche schwarze Spuren aufweist, kann man im Hafen von Lüderitz sehen; „wir müssen das Boot vor jeder Ausfahrt putzen“, meint der Skipper, der mit seinem Katamaran Touren zu den Seehund-Kolonien vor Lüderitz anbietet. „Die Regierung schert sich nicht um uns“, meint er, „für sie sind die Menschen im Norden wichtiger“.