Ende 2011, in Südafrika Weihnachts- und Sommerferienzeit,
kochte die Debatte auf Twitter richtig hoch, it went viral nennt man das dann. Es begann mit einer Klage der
Sängerin Lindiwe Suttle auf Twitter: „Egal, wie berühmt/reich Du bist, in
Kapstadt bist Du immer noch ein Mensch zweiter Klasse, wenn Du schwarz bist.“
Helen Zille, die resolute Gouverneurin der Provinz, die so heftig twittert,
dass auch ihre Bewunderer sich manchmal fragen, ob das nicht ein bisschen viel
ist, konterte schnell und wies diese Aussage als „kompletten Unsinn“ zurück. Sie
verlangte Beispiele – und als die auf ihrem Schirm erschienen, feuerte sie
schnell e-mails an die Beschuldigten raus, verlangte Stellungnahmen. Was die
Wogen hätte glätten sollen, ließ sie nur noch mehr anschwellen. Pedantisch,
technokratisch sei die Reaktion, keine angemessene Antwort auf die gefühlte
Ablehnung und den institutionalisierten Rassismus.
Schließlich twitterte Simphiwe Dana, eine bekannte Sängerin,
an Zille: „Wollen Sie bestreiten/leugnen, dass Kapstadt rassistisch ist“? Und
ein paar Wortwechsel später: „Versetzen Sie sich doch einmal in unsere Haut.“
Zille gab fix zurück: „Sie sind eine sehr angesehene schwarze Professionelle.
Versuchen Sie doch nicht, eine professionelle Schwarze zu sein.“ Gefragt, was
sie unter einem „professionellen Schwarzen“ und dann, was sie unter einem "professionellen Weißen" verstehe, definierte Zille: eine Person, die „sich obsessiv
mit sich selbst beschäftigt und sich als Opfer inszeniert“.
Nun wurde aus dem Sturm der Entrüstung ein online hurrican. Was die allermeisten
Kritiker nicht wussten: Der Begriff professional
black stammt nicht von Zille, sondern von Jacob Dlamini, einem klugen
Kolumnisten. Er hatte Jimmy Manyi, den Regierungssprecher, einen
„professionellen Schwarzen“ genannt. „His profession is blackness. He trades on his skin colour… Manyi is not
alone. There are thousands of professional blacks out there.” (Business Day, 10.3.2011).
Inzwischen haben sich Leitartikler und Leserbriefschreiber zu
Wort gemeldet. Immer wieder ist dabei von „classism“ die Rede: Danach ist es
der sozioökonomische Status, der bestimmt, was man kann und darf. Wer Geld hat,
gehört dazu, wer keins hat, muss draußen bleiben. Und Geld haben die Weißen
eher als die meisten Schwarzen. Club-, Restaurant- und Geschäftsbetreiber
scheinen keine Probleme zu haben, sich zu „classism“ zu bekennen, ist damit
doch aus der durch eine moralisch verwerfliche Politik geschaffenen Kluft ein
schlichter Tatbestand geworden, den es überall auf der Welt gibt.
Doch es gibt auch andere Erfahrungen. Anfang des Jahres
haben Babalwa Shota und Lucas Ledwaba, zwei Journalisten von City Press, die Probe aufs Exempel
gemacht und in den angesagten Etablissements, in denen Schwarze angeblich nicht
willkommen sind, kräftig gefeiert. Gleich mehrere Tage. Diskriminierung haben
sie, so ihr Bericht Colours of Cape Town,
nicht erlebt.
Mit zunehmender Länge der gedruckten Beiträge ist die
Debatte auch sachlicher geworden. Tatsächlich ist Kapstadt die einzige
Großstadt des Landes, in der Schwarze in der Minderheit sind. Das hat mit der
Siedlungsgeschichte des Landes und der Apartheidpolitik zu tun, die die
Kapprovinz zum Coloured Labour Preference-Gebiet
erklärt hatte. Die Schwarzen, die heute nach Kapstadt strömen, kommen meist aus
der armen und schlecht regierten Ostkap-Provinz und lassen sich in den
townships und den informal settlements
nieder. So leben Weiße, Coloureds und Schwarze, von einigen Gebieten abgesehen,
weiter weitgehend getrennt.
Anders als in Johannesburg, wo die große Mehrheit der
Bevölkerung schwarz ist, wo elegante Mittelschichtangehörige im Stadtbild sehr
präsent sind und es mit Soweto einen großen Stadtbezirk mit Selbstbewusstsein
und jüngst vielen Verbesserungen gibt, hat sich in Kapstadt kein solches
schwarzes Zentrum entwickeln können. Das nur sehr rudimentäre öffentliche
Nahverkehrssystem, die Siedlungsstruktur (suburbs auf der einen, townships auf
der anderen Seite) und die Angst vor
Kriminalität tragen zusätzlich dazu bei, dass die Kapstädter – zumindest,
nachdem es dunkel geworden ist – weit getrennt von einander leben.
Doch gelegentlich findet sich ein Teil von ihnen zu
gemeinsamen Aktionen zusammen. Palesa Morudu hat in einem Beitrag für Business
Day daran erinnert, dass einst die United
Democratic Front gegen Apartheid in Kapstadt ihren Ausgangspunkt nahm, dass
Equal Education, eine beeindruckende
Bewegung für bessere Schulen, jedes Jahr in Kapstadt einen großen Protestmarsch
abhält und dass sich Menschen aller Hautfarben zu verschiedenen Protestaktionen
gegen die Protection of Information Bill
zusammen geschlossen haben.
Die Debatte zeigt, dass die Südafrikaner weit davon entfernt
sind, eine gemeinsame Sicht auf die Vergangenheit und die Gegenwart zu haben.
„Wir müssen eine gemeinsame Geschichte schreiben“, hat Russel Botman, der scharfsichtige
Rektor der Universität Stellenbosch, seinen Beitrag zum Thema überschrieben.
„Fast niemand in Kapstadt hat nur eine Geschichte. Wir alle haben sehr
verschiedene von Herkunft, von Abstammung, von dem, was wir ererbt und was wir
uns an Ansehen erarbeitet haben. Und viele von uns haben Unterbrechungen in
ihrer Herkunftsgeschichte erlebt – durch Sklaverei, erzwungene Umsiedlung und
soziale Degradierung.“
Ist Kapstadt rassistisch? Eine Stadt, so hat Helen Zille zu Recht
betont, kann nicht rassistisch sein. Auf jeden Fall ist Kapstadt in mancher
Hinsicht anders als der Rest des Landes, die Stadt hat eine andere Bevölkerungsstruktur
und damit wohl auch eine andere „Transformations“-Geschwindigkeit. Und sie wird
- das spielte bei der ganzen Aufregung auch eine Rolle - von einer anderen Partei
regiert als die übrigen Provinzen, von Helen Zilles Democratic Alliance. Sie will das Erbe der Vergangenheit hinter
sich lassen, in dem sie durch good governance gleiche Chancen für alle Menschen
schafft. Ein liberales Konzept also mit zunehmend sozialdemokratischen
Ergänzungen. Der ANC dagegen möchte Transformation durch beschleunigte Umverteilung
erreichen, dazu müsse die Partei alle wichtigen Schaltstellen kontrollieren: eine
Art Staatskapitalismus mit starken Patronageelementen.
Trotz der vielen negativen Begleiterscheinungen (Korruption,
Mängel in der Verwaltung) ist das für viele (schwarze) Südafrikaner das
attraktivere Konzept. Mit technokratischer Effizienz allein kann man in
Südafrika noch weniger die Herzen gewinnen als anderswo. Die starken
Frauen am Kap – neben Helen Zille ist das Kapstadts Bürgermeisterin Patricia de
Lille - haben sich nicht in die Defensive drängen lassen. Was noch fehlt, ist eine Vision für ein gemeinsames Kapstadt.