Mittwoch, 14. November 2018

Südafrika - bald von Koalitionen regiert?

Angesichts der bisherigen Dominanz der Regierungspartei African National Congress (ANC) erscheint eine solche Frage fast als vermessen, die Prognose ziemlich verwegen. Doch nach den Kommunalwahlen 2016, bei denen der ANC ganz schön verloren und die Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) kräftig zugelegt hatte, sah es ganz danach aus. In vier Großstädten und 30 kleineren Orten wurden Koalitionen geschmiedet oder Duldungen verabredet – wackelige Konstruktionen, aber immerhin ein Versuch.
Inzwischen ist eine gewisse Ernüchterung eingetreten, die bis dahin erfolgsverwöhnte und gelegentlich arrogante DA taumelt derzeit, ihr Bürgermeister in Port Elizabeth wurde gestürzt, in anderen Stadtregierungen knirscht es laut. Präsident Zuma ist zwar zum Rücktritt gezwungen worden, der ANC steckt aber noch tief in der Krise, die Bevölkerung ist merklich unzufrieden. Es spricht immer noch einiges dafür, dass es in absehbarer Zeit auf Lokal-, Provinz- und vielleicht auch der nationalen Ebene mehr Koalitionen geben wird. Allerhöchste Zeit also, sich gründlich damit zu beschäftigen.
Das hat Leon Schreiber getan, der sich an der Universität Princeton mit Innovationen für erfolgreiche Gesellschaften beschäftigt, aber in Kapstadt lebt. Er zeigt zunächst an Beispielen aus verschiedenen Teilen der Welt, wie sich Länder unter Koalitionsregierungen erfolgreich entwickelt haben, nicht zuletzt Deutschland (die gegenwärtige Koalition fällt nicht unter dieses Urteil!), und diskutiert dann drei Szenarien für Südafrika.
Das erste ist eine klug konzipierte Koalition der DA mit den Economic Freedom Fighters (EFF), in der beide Kompromisse eingehen, Krisen durchstehen, dem anderen etwas gönnen und so nach und nach die Fehlentwicklungen/den Verfall in fast allen Bereichen des Staates korrigieren. Man atmet förmlich auf, wenn man liest, was so bewerkstelligt werden könnte: ein nicht länger aufgeblähter, sondern effizient und bürgernah arbeitender Staatsdienst, aus dem Würgegriff der Lehrergewerkschaft befreite Schulen, eine energisch betriebene, aber zugleich behutsame Landreform und anderes mehr.
Ganz kalt wird einem dagegen beim zweiten Szenario. Im Bestreben, unbedingt an der Macht und an den Fleischtöpfen zu bleiben, gibt der ANC vielen Forderungen der EFF nach, die damit den ANC vor sich hertreiben. Beide gemeinsam machen sich das Land zur Beute, der Staat und die bisher noch leistungsfähige Privatwirtschaft werden nach ihren ideologischen Vorstellungen drangsaliert. Weil die Unzufriedenheit dadurch weiter wächst, werden mit der Zeit auch Medien und Gerichte zahm zu machen versucht, am Ende ist dann die Demokratie geschädigt oder ganz am Ende.
Im dritten Szenario - eine von der DA geführte Minderheitsregierung ohne eigene parlamentarische Mehrheit - stolpert das Land voran. Verändern kann es die Regierung nur über exekutive Vollmachten oder mit wechselnden Mehrheiten. Das kann die Korruption zurückdrängen und das „Geschäftsklima“ verbessern, mehr aber auch nicht. Dabei werden die gewinnen, die schon jetzt Gewinner sind: eine multirassische urbane Elite; die Lebensbedingungen vieler anderer Südafrikaner werden sich dagegen kaum positiv entwickeln.
Wer sich eine „Reform“-Koalition von DA und EFF (Szenario 1) nicht vorstellen kann, möge in das Buch von Jan-Jan Joubert schauen, der führende Vertreter aller Parteien zu ihren Koalitionsvorstellungen befragt hat. Die führenden Köpfe der EFF z.B. denken sehr strategisch und können bei aller, manchmal auch unappetitlicher Radikalität, sehr pragmatisch sein.
Schreiber und Joubert gehen auch auf frühere, in Südafrika fast vergessene Koalitionsregierungen ein: die Regierung der Nationalen Einheit (1994-1996) aus den drei stärksten Parteien und die Mehrparteienkoalition in Kapstadt (2006-2011). Beide haben relativ erfolgreich regiert.
Doch das politische Klima hat sich seither verschlechtert, der Optimismus der frühen Jahre ist verflogen, manche Politiker versprechen sich mehr vom Gegeneinander, kaum jemand wirbt noch für ein Miteinander. Mit den „Fallists“ ist an den Universitäten zudem eine radikal-rechthaberische Kraft entstanden, die sozialen Medien tragen auch in Südafrika eher zur Polarisierung bei.
Dennoch: Wahlrecht und Wählerverhalten werden Koalitionen erzwingen. Dass darüber bei aller Gegnerschaft schon strategisch nachgedacht wird, kann helfen, sie auf den Weg zu bringen. Südafrika könnte dann die Welt noch einmal überraschen, wenn auch weniger enthusiastisch als bei den ersten Versuchen unmittelbar nach Ende der Apartheid.
Leon Schreiber: Coalition Country. South Africa after the ANC, Cape Town 2018
Jan-Jan Joubert: Who will rule in 2019? Johannesburg & Cape Town 2018

Samstag, 3. November 2018

Von Südafrika in die Republik Moldau


Zum Wochenende erscheinen viele Zeitungen in Südafrika mit Immobilien-Beilagen. Darin sind fast immer auch großformatige Anzeigen, die für Investitionen in europäischen Ländern werben. Es geht dabei nicht um Rendite, sondern um Aufenthaltsrecht oder sogar einen Pass. Einen Pass, der Zugang zum Schengen-Gebiet verschafft. Besonders Zypern und Malta werben so für sich, aber auch andere Länder haben Programme für „golden Visas“ aufgelegt. 

Viel Gold muss man dabei gar nicht auf die Waage legen - es reicht, ein Haus zu kaufen oder in einen Fonds der Regierung einzuzahlen. Dann kann man im gewählten Land wohnen (muss es aber meist nicht), dann kann man in einigen die Staatsbürgerschaft bekommen und einen Pass beantragen. Während die Verlierer der Globalisierung von Europa immer abweisender behandelt werden, sind die Gewinner willkommen, sie werden sogar umworben. 

Im Sommer 2018 hat nun auch die Republik Moldau ein solches „Citizenship by Investment“-Programm (MCBI) aufgelegt und die Bedingungen der Mitbewerber um die Gunst der Vermögenden noch unterboten. Mit 100.000 Euro Einzahlung in einen staatlichen Fonds ist man dabei, eine vierköpfige Familie muss 145.000 Euro aufbringen. Dazu kommen noch ein paar Gebühren für die Überprüfung (due diligence) und Bearbeitung, und wenn da alles klappt, ist man alsbald „drin“. 

Die Republik Moldau ist zwar noch nicht Mitglied der EU, aber assoziiert, und das ist mit Reiseerleichterungen verbunden. Der Pass des Landes nimmt wohl deshalb im globalen „Power“-Ranking Platz 42 ein. Insgesamt sind mit so einem Pass 121 Länder ohne Visum zu bereisen; darunter werden paradoxerweise auch Südafrikas Nachbarländer Namibia und Simbabwe und genannt.  

Die Rangliste (Global Passport Power Rank) ist ein Symptom dafür, dass sich in der Bewertung von und im Handel mit Pässen mittlerweile ein Geschäftsfeld etabliert hat. Stolzer Marktführer ist Henley & Partners, die auch die öffentliche Ausschreibung für das moldauische Programm gewonnen haben und nun der Redaktion von „Home Front“, der Immobilienbeilage des „Business Day“, Fotos und, sagen wir, Textbausteine zugeliefert haben. 

Was Südafrikaner in dem Artikel über das osteuropäische Land lesen, mag ihnen gefallen: Sicher sei es dort, Moldau habe eine alte Weinbautradition und nehme in der Rangliste des schnellen Internetzugangs Platz 3 in der Welt ein (da verblasst dann Deutschland, das ansonsten  nach Singapur in der Passrangliste auf Platz 2 steht). Weniger einladend ist, dass die „Expat“-Gemeinde in Moldau klein ist (Botschaftsangehörige, Geschäftsleute und NGO-Angestellte) und das Gesundheitswesen in Europas ärmstem Land so schlecht ist, dass südafrikanischen Migranten geraten wird, auf eine gute Versicherung zu achten, damit man sich zur Behandlung in andere europäische Länder begeben kann. Damit endet der werbende Artikel. 

Was er nicht verrät, ist, dass viele Moldauer das Land verlassen. Dazu stehen sie vor der rumänischen Botschaft Schlange, um einen Pass des Landes zu bekommen, der es ihnen erlaubt, in der EU zu arbeiten. Rumänien ist da sehr großzügig - es reicht, rumänische Vorfahren zu haben, um die Staatsbürgerschaft des Nachbarlandes zu bekommen. „Nach offiziellen rumänischen Quellen besitzen bereits 300.000 Moldauer die rumänische Staatbürgerschaft. Doppelt so viele haben offizielle Anträge gestellt oder versuchen es auf dem Schwarzmarkt. Für rund 2000 Euro soll ein rumänischer Pass in der moldauischen Hauptstadt Chisinau zu haben sein. Im rumänischen Bukarest lassen sich Beamte rund 1500 Euro für eine „schnellere Passbearbeitung“ zahlen.“ (Deutschlandfunk, 2014)

Wenn es um Arbeit geht, zieht es die Moldauer nach Westen. Jeder vierte Erwerbstätige soll dort arbeiten. Politisch ist das Land wie viele ehemalige Sowjetrepubliken gespalten zwischen Orientierung hin zur EU und Anlehnung an Russland. Deshalb war auch das „Golden Visa“-Programm im Land umstritten. Die proeuropäischen Kräfte befürchteten, dass russische Oligarchen dann in ihrem Land Geld waschen könnten.

Südafrikaner, die nicht nur einen sicheren Pass haben wollen, sondern gar erwägen, in dieses arme Land, in die immer noch gleich ins Auge springende postkommunistische Tristesse zu ziehen, müssen also über die Zukunft ihres eigenen Landes schon ziemlich verzweifelt sein. 

Internet-Diebstahl


Wie man früher in Südafrika ohne Internet hat überleben können, ist ein Rätsel. Im Netz bucht man Hotels, sucht nach Empfehlungen für Bed-and-Breakfast-Übernachtungen, klärt Dank Google und Wikipedia Wissens-Unsicherheiten, liest im finstersten Busch seine Mails und bezahlt online Rechnungen: Internet ist auch hier nicht mehr wegzudenken, auch hier sieht man immer mehr Menschen auf der Straße gebannt unentwegt auf ihr Smartphone starren.

"Das Internet ist noch etwas langsam", warnt Elsabe bei der Ankunft im Farm-guesthouse kurz hinter der Kleinstadt Stanford. "Aber die Experten arbeiten dran." Sie erzählt, daß Diebe in der Nacht auf dem Berg, wo die Funkmasten in relativ unwegsamen Gelände stehen, die große, kiloschwere Batterie gestohlen hätten. Die neue werde gerade installiert, und das dauere noch etwas. Offenbar ein Auftrags-Diebstahl, denn im normalen Haushalt kann man diese Batterie gar nicht gebrauchen. Statt Internet gibt es dann für neue Gäste auf Kosten des Hauses ein Glas Wein. Abends dann Erleichterung: Man kommt auch hier jetzt wieder ins Worldwide Web.

Am nächsten Morgen steht ein Polizeiwagen vor der Tür. Und das Internet ist wieder unerreichbar. Elsabe lächelt etwas resigniert: "Ja, das gesamte Tal hat kein Internet." Die Diebe sind in der Nacht wieder dagewesen und haben auch die neue Batterie einkassiert. Kein Einzelfall in Südafrika: Vodaphone gibt den Schaden durch solche Diebstähle im Jahr mit 60 Millionen Rand an, umgerechnet 3,6 Millionen Euro. Aber diesmal hat die Polizei das Nummernschild des Autos der Diebe, und sie weiß auch schon, dass sie im vergangenen Monat im East Cape aktiv waren. Ob dieser Raubzug allerdings ihr letzter war, darf bezweifelt werden...