Samstag, 26. April 2014

Wahlkampf


Noch zehn Tage, dann wird in Südafrika gewählt. Spannende Wahlen – viele sagen, die wichtigste seit 1994, seit dem offiziellen Ende der Apartheid. Der seit 20 Jahren regierende African National Congress (ANC), bislang immer mit fast zwei Dritteln der Stimmen siegreich, ist angeschlagen. Präsident Jacob Zumas Ansehen ist nach vielen Korruptionsvorwürfen schlechter denn je. Bei öffentlichen Auftritten wurde er mehrfach ausgebuht, und die Metallgewerkschaft NUMSA, über den Gewerkschafts-Dachverband COSATU mit dem ANC verbündet, forderte Zuma jetzt öffentlich zum Rücktritt auf: Die Drei-Parteien-Allianz von ANC, Gewerkschaften und Kommunistischer Partei bröckelt. Selbst alte Freiheitskämpfer wie Ronnie Kasrils, in Nelson Mandelas erstem Kabinett Minister und später Geheimdienst-Chef, starteten eine „Vote NO!“-Kampagne und riefen enttäuschte ANC-Anhänger auf, bei dieser Wahl ihre Stimme ungültig zu machen: „Vukani Sidikiwe – Wacht auf! Uns reicht es!“
Das Fass zum Überlaufen brachte die vorerst letzte Affäre Zumas: Für umgerechnet mehr als 16 Millionen Euro hatte er sich sein Anwesen in Nkandla in KwaZulu-Natal renovieren und ausbauen lassen – inklusive Swimmingpool („Feuerlösch-Teich“), Hubschrauber-Landeplatz und Privat-Krankenhaus. Reporter haben seit 2009 immer mehr Einzelheiten aufgdeckt, und im März bescheinigte Thuli Madonsela, die unabhängige Ombudsfrau Südafrikas, Zuma dann in einem Untersuchungsbericht, er habe sich an öffentlichen Geldern bereichert.
In der Presse sorgt Nkandla seit langem für Schlagzeilen. Jetzt fordern auch führende Kirchenvertreter Zuma auf, endlich Stellung zu nehmen (vgl. den Blog-Eintrag von Ostersonntag). Die Bevölkerung treibt aber noch andere Themen um: 20 Jahre nach Ende der Apartheid scheint dem ANC die Versorgung der eigenen Klientel wichtiger als der Kampf gegen die Armut. Fast täglich berichtet die Presse über neue Korruptionsvorwürfe, überfüllte Krankenhäuser, vernachlässigte Schulen und gewalttätige Proteste gegen Behördenversagen.
Dennoch hofft der ANC auch bei dieser Wahl wie bisher auf zwei Drittel der Wählerstimmen. Der Nimbus der Befreiungsbewegung wird beschworen – nicht ohne Grund ist der Wahltermin dicht hinter den Feiern „20 Jahre Demokratie“ Ende April gelegt worden. Ob diese Rechnung aufgeht, ist ungewiss.
Eine neue Abspaltung vom ANC, die Economic Freedom Fighters (EFF) des populistischen früheren ANC-Jugendliga-Führers Julius Malema, kandidiert erstmals, und niemand ahnt, wieviele Stimmen Malema dem ANC abjagen kann. Ernsthaft gefährden kann den ANC allerdings nur ein Gegner: die größte Oppositionspartei „Democratic Alliance“ (DA). Sie macht sich Hoffnungen, nach Kapstadt eine zweite Provinz zu erobern - Gauteng mit der Wirtschaftsmetropole Johannesburg. Umfragen besagen, dass sie ihren Stimmenanteil vergrößern wird; ob das allerdings reichen wird, um die ANC-Mehrheit zu brechen und ihn in dieser Provinz in eine Koalition zu zwingen, ist völlig offen. Noch immer muss die DA gegen den Ruf ankämpfen, eine von Weißen dominierte, wirtschaftsliberale Partei zu sein, die für viele Schwarze einfach nicht wählbar ist.
Der in sich zerstrittene ANC versucht mit allen Mitteln, die Unruhe vor dem Wahltag möglichst klein zu halten. Seine Mitglieder einer parlamentarischen Untersuchungskommission zum Fall Nkandla hat er so spät benannt, dass eine vernünftige Untersuchung in der kurzen Zeit bis Anfang Mai kaum möglich erscheint; mit der Metallarbeiter-Gewerkschaft, die bei ihrer Regierungskritik einen Rauswurf aus dem Dachverband COSATU in Kauf nimmt, wurde ein Stillhalteabkommen bis zum Wahltag ausgehandelt; das südafrikanische Fernsehen SABC suchte Wahlwerbespots der Opposition zu blockieren. 
Nicht nur die Wahl selbst wird spannend, auch die Zeit danach. Wenn linke Gewerkschaften aus dem Dachverband ausbrechen, könnte eine Partei links vom ANC entstehen und die Drei-Parteien-Allianz bei der nächsten Wahl ernsthaft unter die 50-Prozent-Marke drücken.

Dienstag, 22. April 2014

Schul-Schlange

Mari Jankelowitz hat es in der vergangenen Woche bis auf die Titelseite der „Times“ geschafft. Mit Decke und Campingstuhl hatte sie tagelang draußen vor der Parkview Junior School in Johannesburg auf der Straße in einer Schlange gestanden, um ihrer Tochter Gia 2015 einen Platz in dieser Schule zu sichern: Für Kinder in Gias Altersgruppe gab es dort nur 54 freie Plätze, und Mari wollte unbedingt einen davon ergattern. „Da bleibt einem nichts anderes übrig, als in der Schlange zu stehen“, sagte sie der „Times“-Reporterin. Obwohl die Anmeldepapiere erst am Dienstag abgegeben werden konnten, hatte sie sich schon am Sonntag früh angestellt, aber immer noch waren 28 Leute vor ihr.
Die Parkview Junior School genießt als staatliche Schule einen ausgezeichneten Ruf und zählt in Johannesburg zu den ersten Adressen – engagierte Lehrer, kleine Klassen, eine intensive Kommunikation mit den Eltern. Das können nur wenige staatliche Schulen von sich behaupten. Südafrika steckt schon länger in einer tiefen Bildungskrise. Jetzt musste die Regierung zugeben, dass sie es in diesem Jahr wieder einmal nicht geschafft hatte, alle Schulen mit Schulbüchern zu versorgen; die Durchfallquoten bleiben erschreckend hoch, und die Universitäten klagen weiter über die fehlende Qualifikation ihrer Studenten.  
Gute Schulen können sich daher ihre Schüler aussuchen. Vor der Parkview Junior School standen in der vergangenen Woche viele Eltern schon mehrere Tage an - Ehepaare wechselten sich in der Schlange ab, andere schickten ihre Hausangestellte vor oder heuerten einen Obdachlosen für diesen Job an. Haseena Omar stand das dritte Jahr hier – auch wenn das Kind einmal angenommen worden ist, muss es im folgenden Jahr wieder neu angemeldet werden. „Ich sitze hier auf dem Pflaster für die Erziehung meines Kindes“, meinte eine Mutter zur „Times“. In der Provinz Gauteng ist Ende Mai Bewerbungsschluss – dann wissen sie und Mari, ob sie Glück gehabt haben und die Schule ihrer Wahl zugesagt hat.

Sonntag, 20. April 2014

Ostermarsch gegen Korruption


Kapstadt. Führende Kirchenvertreter Südafrikas haben am Ostersamstag mit einer Prozession zum Parlament ihre Sorge über die Entwicklung des Landes artikuliert und die Südafrikaner dazu aufgerufen, gegen unethisches Verhalten und Korruption zu protestieren. Diese Kritik richtet sich vor allem gegen Präsident Jacob Zuma, der sich an seinem Heimatort Nkandla auf Staatskosten eine opulente Residenz hat ausstatten lassen. 234 Millionen Rand (gut 16 Millionen Euro) hat das gekostet und viele Südafrikaner empört. „Nkandlagate“ ist zum Symbol für Verschwendung und Korruption geworden.
Thabo Magkoba, der anglikanische Erzbischof von Kapstadt, kritisierte den Präsidenten für sein Schweigen zu diesen Ausgaben. Zumas Berater hätten wohl vergessen, dass Schweigen die Wahrheit geradezu herausschreie. „Herr Präsident, wie lange müssen die Bürger Südafrikas noch darauf warten, bis Sie ihnen erklären, wie Sie zu Ihren Entscheidungen im Blick auf Nkandla gekommen sind? Und wie wollen Sie dem verbreiteten Misstrauen begegnen, das jede Diskussion über unsere Regierung bestimmt?“, fragte Makgoba auf der Kundgebung vor dem Parlament in Kapstadt.  Das Land habe etwas Besseres verdient, Zuma dürfe diese historische Gelegenheit nicht verstreichen lassen: „Herr Präsident, Ihr Bild in der Geschichte wird davon bestimmt werden, wie Sie den Menschen dieses Landes Ihre Entscheidungen erklären.“       
Die Demonstration war auch zur Unterstützung von Thuli Madonsela gedacht, der unabhängigen Ombudsfrau, die am 19. März  einen Bericht über Verwendung öffentlicher Mittel für den Landsitz des Präsidenten vorgelegt hatte. Sie war dafür aus der Regierungspartei scharf angegriffen und beschimpft worden. Am 27. März gab es unter dem Motto „Eine Blume für Thuli. Eine Botschaft an den Präsidenten“ bereits eine Mahnwache in der anglikanischen St.Georges Cathedral in Kapstadt. Auch einige der etwa 3000 Teilnehmer des Ostermarsches  bekundeten mit „We love Thuli“ auf Hüten und Kappen ihre Sympathie für die unerschrockene Anwältin des öffentlichen Interesses.
Die Traditionskirchen des Landes haben sich lange gescheut, die ANC-Regierung öffentlich Kritik zu kritisieren. Der methodistische Bischof von Kapstadt, Michel Hansrod, räumte auf der Kundgebung selbstkritisch ein, dass die Kirchen zu lange geschwiegen und sich damit mitschuldig gemacht hätten, wenn nun Habsucht, Korruption und Gewalt endemisch seien. Auf diesen Straßen sei schon früher marschiert worden, sagte der Bischof unter Anspielung auf die großen Demonstrationen gegen die Apartheid in den achtziger Jahren. Jetzt werde es überall im Land wieder Proteste geben, kündigte Hansrod an. Zu dem Marsch am Ostersamstag hatten neben christlichen Kirchenführern auch Vertreter islamischer und jüdisch-orthodoxer Gemeinschaften aufgerufen.      
Präsident Zuma hatte die Kirchen mehrfach verärgert, weil er Gottes Unterstützung für die Regierungspartei „African National Congress“ (ANC) reklamiert hatte. Während seine Amtsvorgänger Nelson Mandela und Thabo Mbeki regelmäßig Gespräche mit Führern der verschiedenen Religionsgemeinschaften geführt hatten, brach Jacob Zuma diesen Dialog ab und hält nur mit ausgewählten Kirchenvertretern Kontakt, die ihm nicht ins Gewissen reden. Am Karfreitag sprach Zuma auf Einladung der „Universal Church for the Kingdom of Christ“ im Ellis Park-Stadion in Soweto. Die 1997 in Brasilien gegründete Kirche hat Glauben zum Geschäft gemacht und ist für ihr „Wohlstandsevangelium“ bekannt, nach dem auf dem Streben nach Reichtum Gottes Segen ruht. 
Zweieinhalb Wochen vor den Präsidentschaftswahlen sind im ganzen Land Unruhe und Unzufriedenheit zu spüren. Der Präsident wurde bei öffentlichen Auftritten mehrfach ausgebuht. Trotzdem zweifelt niemand daran, dass der ANC die Wahlen am 7. Mai erneut gewinnen wird. Im Wahlkampf nutzt die Regierungspartei jede Gelegenheit, die Südafrikaner an die bittere Zeit der Rassentrennung zu erinnern und Loyalität einzufordern.
Auch 20 Jahre nach Ende der Apartheid wird das Wahlverhalten in Südafrika immer noch weitgehend von der Geschichte und der Gruppenzugehörigkeit bestimmt. Eine Regierung nach ihren Leistungen zu beurteilen und gegebenenfalls auszutauschen, hat in Südafrika keine Tradition. Mit ihren Fragen und ihrer Kritik ermuntern die Kirchen nun dazu. Thabo Makgoba sprach auf der Kundgebung davon, dass das Vertrauen in die Regierung einen historischen Tiefstand erreicht habe. Der anglikanische Erzbischof forderte seine Landsleute auf, sich zu fragen, ob das „Misstrauen gegenüber der gegenwärtigen Regierung größer oder geringer sei als das Misstrauen während der Apartheidzeit“.  Noch ist das für viele Südafrikaner eine Provokation. Auf der Kundgebung gab es dafür aber – nach einer Schrecksekunde – auch Beifall.