Mittwoch, 31. Oktober 2018

Security first


Wandern fällt in diesem Jahr aus. Das Wetter ist nicht schuld - es ist zwar manchmal ziemlich heiß, aber sonst wie gewohnt um diese Jahreszeit ideal, und genug Wanderwege gibt es am Kap auch. Unsere Wanderfreunde aber raten ab; die beiden Südafrikaner haben in diesem Jahr selbst auch noch keine großen Touren unternommen: Die Sicherheitslage sei einfach zu schlecht. "Auch im als relativ sicher geltenden Silvermine-Gebiet ist gerade wieder jemand überfallen worden", sagt Eva. Ganz sicher ist man offenbar nirgends, und es mache auch keinen Unterschied, ob man zu zweit, zu fünft oder zu siebt unterwegs sei.

Auf der Fähre nach Robben Island erzählt Gavin, ein erfahrener Touristenführer, der gerade eine Gruppe Japaner begleitet, von neuer Vorsicht. Die Fahrt abends auf den Signal Hill, von dem man einen grossartigen Rundblick auf das erleuchtete Kapstadt hat und der bislang zum Standardprogramm jeder Reisegruppe gehörte, hat er ganz gestrichen: "Zu viele Überfälle", meint er. "Es ist eine Schande."

"Nein, wir fühlen uns hier sehr sicher", meint Roland, der ein guesthouse in Tamboerskloof hat. Es ist von einer mehr als mannshohen Mauer umgeben, nachts hält ein security-Mann Wache, und ein Computerprogramm scannt Menschen und Autos und soll Verdächtiges melden - das funktioniere schon erstaunlich gut.

Die Kellnerin in Tulbagh spricht deutsch: Sie ist vor vielen Jahren ans Kap ausgewandert und lebt jetzt mit ihrer dreizehnjährigen Tochter hier in einer der ältesten Kleinstädte Südafrikas. Am liebsten aber würde sie wieder zurück nach Deutschland. Ihr Vermieter in Tulbagh, ein älterer Herr, war vor kurzem überfallen worden und dabei beinahe umgekommen; ihr selbst wurde die Wäsche von der Leine gestohlen. Das Gefühl der Unsicherheit macht ihr zu schaffen; besonders um ihre Tochter hat sie Angst. 

Eine halbe Stunde Parken in Parlamentsnähe kostet in Kapstadt umgerechnet 50 Cent. Die patente Parkwächterin kassiert und erzählt, dass sie in Muizenberg wohne, ziemlich weit weg im Süden an der Küste. Abends nimmt sie den Zug nach Hause, morgens aber sei der zu unsicher. Den als Aufmunterung gedachten Hinweis, die Bahn setze jetzt doch mehr Sicherheitspersonal ein, lässt sie nicht gelten. Von denen habe sie noch niemanden gesehen. Den Touristen wird abgeraten, die Züge zu nutzen - und viele Fahrer der schönen My-City-Busse streiken seit Mitte Oktober. Der öffentliche Nahverkehr in Kapstadt liegt zur Zeit ziemlich brach - auch das ein Sicherheitsaspekt.

 

Kluge Krisenkommunikation

Bildergebnis für malala descentWir haben nun mit dem Sinkflug begonnen – so müßte man den Titel des Buches von Justice Malala wohl übersetzen. Es ist nicht mehr taufrisch, aber doch eine gut lesbare Bilanz dessen, was in Südafrika unter der ANC-Regierung schief gelaufen ist, insbesondere unter Präsident Jacob Zuma. Malala war Moderator einer Fernsehsendung („The Justice Factor“) und ein in Südafrika sehr bekannter und von vielen respektierter politischer Kommentator. Besonders unterhaltsam waren seine wöchentlichen Restaurantkritiken in der „Financial Mail“, bei denen er politische Kommentare mit kulinarischen Beurteilungen vermischt. Wenn das Restaurant gut ist, konnte es am Ende einen “Madiba“ als höchstes Lob geben, wenn Essen und Service richtig schlecht waren, gab es das „Zuma“-Verdikt. 
Diese beiden Extreme bilden auch den Rahmen für die politische Analyse. In seinem Buch stellt Malala der ANC-Regierung ein vernichtendes Zeugnis aus, insbesondere seit Jacob Zuma das Land regierte (ab 2009). Von den hehren Idealen der einstigen Befreiungsbewegung, vom inspirierenden Mut vieler seiner Aktivisten war kaum noch etwas übrig. Es ging vielen, und allen voran der großen Zuma-Familie, darum, sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu sichern. Sie bedienten sich aus der Staatskasse, schanzten ihren Freunden und Verbündeten lukrative Aufträge zu, ließen es gern so richtig krachen.
Damit sie dafür nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, hat Zuma es verstanden, Kritiker einzuschüchtern, unabhängigen Institutionen die Zähne zu ziehen und willfährige Personen auf strategische Positionen zu hieven. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk verkam zu einer Anstalt zur höheren Ehre der Regierungspartei, ein großes Presseunternehmen wurde von einem Parteigänger aufgekauft und machte von da an selbst Schlagzeilen.
Das öffentliche Interesse, die Belange der Bürgerinnen und Bürger blieben auf der Strecke: die Wirtschaft dümpelt seither vor sich hin, die Arbeitslosigkeit ist weiter unerträglich hoch, die aufgeblähte Bürokratie und die Sozialleistungen für 16 Millionen Menschen haben die Staatsverschuldung in die Höhe getrieben.       
Dabei hatte Malala, wie so viele andere auch gedacht, in Südafrika würde das nicht passieren, den Kindern von Mandela nicht, dem Land nicht, das sich eine so wunderbare Verfassung gegeben hat. Der Absturz war jäh: von hohen Idealen zu roher Gier, von Selbstlosigkeit hinunter zu Selbstgefälligkeit.
Wie konnte es so weit kommen? Das vermittelt Malala in locker geschriebenen Kapiteln. Er erzählt vom trostlosen Zustand des Bildungssystem, aus dem sich, wer immer ein paar Scheine in der Brieftasche hat, in die Privatschule verabschiedet, vom fortbestehenden, aber teilweise geleugneten Rassismus, der das Miteinander erschwert, von den gezielten und recht erfolgreichen Bemühungen von Zuma & Co, sich Medien durch Gefolgsleute fügsam zu machen. Auch die Paranoia der ehemaligen Befreiungskämpfer, die immer noch Feinde wittern und bekämpfen, führt er vor, und arbeitet noch einmal heraus, wie es zu dem „staatlich sanktionierten Mord“ in Marikana kommen konnte. Wer sich rückblickend fragt, wie der ANC den damals schon kompromittierten Jacob Zuma als „Mann des Volkes“ zu seinem Vorsitzenden wählen konnte, findet bei Malala eine anschauliche Erklärung.
Im zweiten Teil des Buches geht es um die Kräfte und das Programm für den Wiederaufstieg. Auf einen Prinzen und Erlösung soll man nicht setzen, lieber die Ärmel hochkrempeln. Helden (wie die bisherige Ombudsfrau Thuli Madonsela) gebe es ja und auch eine ganze Reihe von Oppositionsparteien. Der größten und seither in eine weitgehend selbstverursachte Krise gerutschten „Democratic Alliance“ gibt er den Rat, endlich ein Programm zu entwickeln, das Schwarze wirklich anspricht, und die Partei zu einer Heimat, einem Ort des Mitgefühls und des Vertrauens zu machen. Der ANC müsse sich aus der Dreierallianz mit dem angeschlagenen Gewerkschaftsdachverband COSATU und der außerhalb der Regierungstätigkeit ziemlich vernagelten Kommunistischen Partei befreien (SACP). Programmatisch setzt Malala auf den bereits vor einigen Jahren erarbeiteten „National Development Plan“, den die Regierung angenommen, Zuma aber einfach ignoriert habe.
In der aufgeregten, manchmal gar hysterischen südafrikanischen Debatte ist Malala eine moderate Stimme – moderat in der abwägenden Präsentation, aber glasklar, wenn es um grundsätzliche Werte geht. Das macht das Buch zu einer angenehmen Orientierungshilfe.               
Justice Malala: We have now begun our descent. How to stop South Africa Losing its Way. Johannesburg & Cape Town 2015
Renate Wilke-Launer