Diese beiden
Extreme bilden auch den Rahmen für die politische Analyse. In seinem Buch
stellt Malala der ANC-Regierung ein vernichtendes Zeugnis aus, insbesondere
seit Jacob Zuma das Land regierte (ab 2009). Von den hehren Idealen der
einstigen Befreiungsbewegung, vom inspirierenden Mut vieler seiner Aktivisten
war kaum noch etwas übrig. Es ging vielen, und allen voran der großen
Zuma-Familie, darum, sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu sichern. Sie
bedienten sich aus der Staatskasse, schanzten ihren Freunden und Verbündeten
lukrative Aufträge zu, ließen es gern so richtig krachen.
Damit sie dafür
nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, hat Zuma es verstanden, Kritiker
einzuschüchtern, unabhängigen Institutionen die Zähne zu ziehen und willfährige
Personen auf strategische Positionen zu hieven. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk
verkam zu einer Anstalt zur höheren Ehre der Regierungspartei, ein großes
Presseunternehmen wurde von einem Parteigänger aufgekauft und machte von da an
selbst Schlagzeilen.
Das öffentliche
Interesse, die Belange der Bürgerinnen und Bürger blieben auf der Strecke: die
Wirtschaft dümpelt seither vor sich hin, die Arbeitslosigkeit ist weiter
unerträglich hoch, die aufgeblähte Bürokratie und die Sozialleistungen für 16
Millionen Menschen haben die Staatsverschuldung in die Höhe
getrieben.
Dabei hatte Malala,
wie so viele andere auch gedacht, in Südafrika würde das nicht passieren, den
Kindern von Mandela nicht, dem Land nicht, das sich eine so wunderbare
Verfassung gegeben hat. Der Absturz war jäh: von hohen Idealen zu roher Gier,
von Selbstlosigkeit hinunter zu Selbstgefälligkeit.
Wie konnte es so
weit kommen? Das vermittelt Malala in locker geschriebenen Kapiteln. Er erzählt
vom trostlosen Zustand des Bildungssystem, aus dem sich, wer immer ein paar
Scheine in der Brieftasche hat, in die Privatschule verabschiedet, vom
fortbestehenden, aber teilweise geleugneten Rassismus, der das Miteinander
erschwert, von den gezielten und recht erfolgreichen Bemühungen von Zuma &
Co, sich Medien durch Gefolgsleute fügsam zu machen. Auch die Paranoia der
ehemaligen Befreiungskämpfer, die immer noch Feinde wittern und bekämpfen,
führt er vor, und arbeitet noch einmal heraus, wie es zu dem „staatlich
sanktionierten Mord“ in Marikana kommen konnte. Wer sich rückblickend fragt,
wie der ANC den damals schon kompromittierten Jacob Zuma als „Mann des Volkes“
zu seinem Vorsitzenden wählen konnte, findet bei Malala eine anschauliche
Erklärung.
Im zweiten Teil des
Buches geht es um die Kräfte und das Programm für den Wiederaufstieg. Auf einen
Prinzen und Erlösung soll man nicht setzen, lieber die Ärmel hochkrempeln.
Helden (wie die bisherige Ombudsfrau Thuli Madonsela) gebe es ja und auch eine
ganze Reihe von Oppositionsparteien. Der größten und seither in eine weitgehend
selbstverursachte Krise gerutschten „Democratic Alliance“ gibt er den Rat,
endlich ein Programm zu entwickeln, das Schwarze wirklich anspricht, und die
Partei zu einer Heimat, einem Ort des Mitgefühls und des Vertrauens zu machen. Der
ANC müsse sich aus der Dreierallianz mit dem angeschlagenen
Gewerkschaftsdachverband COSATU und der außerhalb der Regierungstätigkeit
ziemlich vernagelten Kommunistischen Partei befreien (SACP). Programmatisch
setzt Malala auf den bereits vor einigen Jahren erarbeiteten „National
Development Plan“, den die Regierung angenommen, Zuma aber einfach ignoriert
habe.
In der aufgeregten,
manchmal gar hysterischen südafrikanischen Debatte ist Malala eine moderate
Stimme – moderat in der abwägenden Präsentation, aber glasklar, wenn es um
grundsätzliche Werte geht. Das macht das Buch zu einer angenehmen
Orientierungshilfe.
Justice Malala:
We have now begun our descent. How to stop South Africa Losing its
Way. Johannesburg & Cape Town 2015
Renate Wilke-Launer
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