„Lippenstift könnte die neueste Waffe im Kampf gegen die Armut sein“, schreibt Kate Abbott leicht spöttisch in der Zeitung „Business Week“, und tatsächlich zeigt eine dreijährige Studie der Universität Oxford, dass in Südafrika viele Frauen ihr Leben durch den Verkauf kosmetischer Produkte verbessert haben. Die „Avon Ladies“ sind überraschend erfolgreich.
Seinen Ursprung hatte Avon in der Ersten Welt. 1886 schwenkte ein Buchhändler, der seine Literatur an der Haustür feilbot, von Büchern auf Parfüm um. Heute handelt Avon in mehr als 100 Ländern und setzte 2011 weltweit 11 Milliarden US-$ um. Seit 1996, nach Ende der Apartheid, ist die Firma auch in Südafrika tätig – und unter Schwarzen sehr beliebt. Für 2011 gibt die Firma ihr Umsatzplus weltweit mit 1 % an; in Südafrika waren es 29 %.
Projektleiterin Linda Scott war selbst erstaunt, wie positiv die Frauen das Haustür-Geschäft beurteilen. Sie hörte von vielen, dass ihr Leben durch den Kosmetik-Verkauf umgekrempelt worden sei. Die Wissenschaftlerinnen sprachen bald von der „Lippenstift-Evangelisation“.
Sie befragten 300 „Avon Ladies“ und fanden heraus, dass sie mit dem Kosmetik-Verkauf im Durchschnitt 900 Rand im Monat verdienten. Frauen, die 16 Monate und länger Avon-Produkte verkauften, erwirtschafteten mit mehr als 1.400 Rand sogar genug, um das Nötigste für sich und ihre Kinder zu kaufen. Für viele ist der Gewinn aus dem Avon-Verkauf auch nicht das einzige Einkommen, da es sich gut als Nebengeschäft eignet.
Nelli Siwe hat ihren kleinen Verkaufsstand an einer belebten Kreuzung in Soweto aufgebaut. Eigentlich studiert Nelli an der Uni in Johannesburg; mit Avon finanziert sie ihre Studiengebühren. „Als Frau sollte ich nicht immer andere um Geld fragen“, meint sie.
Drei von vier Avon-Frauen erklärten, sie stünden durch ihren Job finanziell auf eigenen Füssen. Mindestens so wichtig aber wie das Geld sind andere Erfolge: Als Kleinunternehmerin haben die Frauen nicht nur ein eigenes Einkommen, fast alle sagen, sie seien selbstbewusster geworden.
Da Avon keinerlei formale Qualifikationen voraussetzt, bieten sich Chancen auch für Frauen ohne formale Qualifikationen. „Avon Ladies“ erlernen Fähigkeiten, die sie fit auch für andere Berufe machen, sie werden geschult, bekommen eine „Mentorin“ und werden so in ein förderndes und Feedback gebendes Netzwerk aufgenommen. Sie fühlen sich aufgewertet, werden von ihren Männern anerkannt – wenn die überhaupt noch da sind. Mehr als die Hälfte der „Avon Ladies“, die von der Oxford-Studie befragt wurden, hatten überhaupt keinen männlichen Partner und waren in der Familie die Hauptverdiener.
Alice Mthini arbeitete lange als Hausmädchen, bis sie 2009 die Gebühr von 75 Rand zahlte und eine „Avon Lady“ wurde. Das änderte alles: Alice entpuppte sich als Verkaufstalent und kann heute ihre Kinder auf eine private Schule schicken, hat ein Auto gekauft und arbeitet mit dem Laptop.
Bei aller Begeisterung für das Unternehmertum bekommen allerdings auch „Avon Ladies“ Südafrikas Probleme zu spüren. „Ich hatte keine Vorstellung davon, wie schwierig ein Haustür-Geschäft in einem Land ist, in dem aus Angst niemand freiwillig die Tür aufmacht“, gibt ein Avon-Direktor zu, der von Großbritannien nach Südafrika gekommen ist. Vor allem die Johannesburger Avon-Mitarbeiterinnen kennen viele Geschichten von Belästigung, Raub, Entführung und Vergewaltigung; auf ihrem Weg zu ihren Kunden sind sie leichte Ziele.
Ein Lippenstift kann eben doch nicht alles verändern.
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