Sonntag, 7. Oktober 2012

ANC: Weniger Ansehen, mehr Mitglieder


Afrikas älteste Befreiungs-bewegung, gerade 100 Jahre alt geworden, wächst und wächst und wächst. Eine Million Mitglieder wollte der seit 1994 regierende African National Congress (ANC) zum großen Geburtstagsfest am 8. Januar 2012 haben, und das hat er auch geschafft. Zehn Jahre zuvor waren es erst 416.000 gewesen, 2008 zählte man 621.000 Parteimitglieder.
Und die Partei legt weiter zu. Nach eigenen Angaben hat sie nun 1,2 Millionen Mitglieder „in good standing“. „In good standing“ ist, wer seinen Mitgliedsbeitrag von 12 Rand im Jahr (umgerechnet etwa 1,20 Euro) bezahlt hat.
Dieser Mitgliederzuwachs ist umso erstaunlicher, als die Partei in den vergangenen Jahren an Ansehen verloren hat. Fast täglich kann man in Südafrika lesen und hören, dass der ANC seinen moralischen Kompass verloren hat und von Richtungskämpfen zerrissen wird. Dass es dabei um Posten und lukrative Geschäfte geht – daraus macht selbst der Generalsekretär des ANC kein Hehl.
Dass die Südafrikaner insgesamt unzufrieden sind mit ihrer dominanten Regierungspartei (so nennen das die Politologen), zeigt sich an vielen Stellen: in Anrufen bei den vielen Radiosendungen mit Hörerbeteiligung, in Kommentaren im Internet. In den townships kommt es immer häufiger zu „service delivery“-Protesten, bei denen sich die angestaute Wut über Korruption und fehlende öffentliche Dienstleistungen entlädt. Und obwohl das Wahlrecht so hart erkämpft wurde, bleiben am Wahltag immer mehr Menschen zuhause oder wählen (wie die Minderheiten der Weißen und Coloureds) die Oppositionspartei.
Dennoch gewinnt der ANC weiter die Wahlen: Die meisten Südafrikaner können sich schlicht nicht vorstellen, die Opposition zu wählen, betrachten es gar als Verrat, auch wenn die nach den meisten rankings in der Kapprovinz eindeutig besser regiert. Die Loyalität zum ANC ist den Verletzungen der Apartheidzeit geschuldet und beinhaltet die Hoffnung auf ein besseres Leben, heute bei manchen auch den Anspruch auf einen großen Teil vom Kuchen. 
Während es früher riskant war, sich zum ANC zu bekennen, und materiell nichts zu gewinnen war (das streicht der Jubiläumsslogan „100 years of selfless struggle“ heraus), lassen sich heute aus einer Parteimitgliedschaft ohne großes Risiko materielle Vorteile ziehen. Wer „Kader“ ist, kann einen Posten bekommen oder gute Geschäfte machen. Für arbeitslose junge Menschen ist ein Parteieintritt manchmal der einzige Weg, es zu Geld und Macht zu bringen. Darüber wird in Südafrika offen diskutiert.
Der ANC hat bei allen Enttäuschungen noch einen Platz im Herzen vieler Südafrikaner, sie fliegen ihm aber nicht mehr zu. So wie manches Mitglied seinen Nutzen kalkuliert, organisiert der ANC inzwischen knallhart den Machterhalt. Dazu gehört auch eine aggressive Mitgliederwerbung.
Über die Ortsvereine (branches) des ANC ist relativ wenig bekannt, aus einzelnen Beobachtungen lässt sich aber schließen, dass das Parteileben nicht besonders rege ist. Offenbar gibt es auch im ANC viele Karteileichen. In einem Kommentar für "Business Day" hat der Journalist Sam Mokeli den inneren Zustand des quantitativ erstarkten ANC so beschrieben: "Die Organisation feiert ihr Wachstum auf die (dubiose) Zahl von 1,2 Millionen Mitgliedern. Viele von ihnen sind noch nie bei einem Ortsvereinstreffen gewesen. Die Mitgliedschaft der Partei besteht ganz überwiegend aus der armen Unterschicht, dazu den Superreichen an der Spitze - und einer großen leeren Blase in der Mitte."
Mit der Zahl der Parteimitglieder wird ganz offen Politik gemacht. Als der ANC vor zwei Wochen bekannt gab, wie viele Mitglieder er in den einzelnen Provinzen des Landes hat, staunte die Öffentlichkeit nicht schlecht. In KwaZulu-Natal, der Heimat von Präsident Zuma, ist die Zahl der Mitglieder seit Januar von 244.000 auf mehr als 331.000 gestiegen, während sie im Eastern Cape, dem alten Stammland des ANC, von 225.000 auf 185.000 gefallen ist. Zur Erklärung verweist Sihle Zikalala, der KZN-Provinzsekretär, auf die eigenen Rekrutierungsanstrengungen, insbesondere die „harte Arbeit“ der Volunteer Core Movements.
Das Ziel dieser offenbar systematischen Anstrengungen ist offensichtlich: die Wiederwahl Jacob Zumas beim Parteitag im Dezember. Denn die Provinz, die mehr Mitglieder hat, kann auch mehr Parteitagsdelegierte stellen. Da das auch Zumas Gegner wissen, kam es nach Bekanntgabe der Mitgliederzahlen im Exekutivkomitee des ANC zu massiven Auseinandersetzungen. Doch auch nach dem erzielten Kompromiß ist klar, dass KwaZuluNatal allein 974 der 4.500 Delegierten in Mangaung stellen wird. Schon länger ist von der Zumafication des ANC die Rede, und seit der Schlüssel für die Parteitagspräsenz bekannt gegeben wurde, gehen viele Kommentatoren davon aus, dass Zumas Chancen auf eine weitere Amtszeit deutlich gestiegen sind: „Get used to it, Zuma will get a second term“.
In seinem Heimatort Nkandla lässt sich der Präsident schon einmal die private Residenz für 203 Millionen Rand (20,3 Millionen Euro) ausbauen: auf Kosten des Steuerzahlers. Die Kosten enthüllte die Sonntagszeitung „City Press“. Thulas Nxesi, der zuständige Minister, hat das einschlägige Handbuch der Regierung (geheim, aber im Internet einzusehen), das für die Sicherung der privaten Residenz eines Amtsinhabers lediglich 100.000 Rand vorsieht, sehr eigenwillig interpretiert und dann zur Verteidigung der exorbitanten Ausgabe zusätzlich auf ein altes Gesetz aus der Apartheidzeit rekurriert. Zuma kann sich auf seine Leute verlassen.
Dass Patronage und nicht Prinzipien die südafrikanische Politik bestimmen, zeigt sich auch darin, dass sich die ANC Women’s League für eine zweite Amtszeit des Traditionalisten Jacob Zuma ausgesprochen hat. Wenn man Frauen als gleichberechtigte Südafrikaner betrachtet, ist mit Zuma eigentlich kein Staat zu machen. 

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