In der kommenden Woche werden die ANC-Delegierten aus ganz Südafrika in Mangaung ihren nächsten Parteivorsitzenden und damit auch den nächsten Präsidenten Südafrikas wählen. Die gesamte Nation schaut nach den monatelangen Machtkämpfen auf Mangaung – nur einer weiß bereits, was herauskommen wird: Dem „Daily Maverick“, einem lesenswerten Online-Dienst, wurde jetzt ein anonymer Bericht zugespielt, der dank einer geheimnisvollen Zeitfenster-Verschiebung enthüllt, was wirklich in Mangaung geschah. Weltweit wird man vom „Große Mayonnaisen-Moment“ des ANC sprechen.
Eine hinreißende Satire von J. Brooks Spector - auch wenn man nicht alle Anspielungen verstehen mag, wird es eine hoffentlich sehr vergnügliche Lektüre!
Die Mangaung-Konferenz begann selbstbewusst und optimistisch – das Wetter war herrlich, die Sonne schien, und es war wunderbar warm. Wir ahnten ja nicht, was uns erwarten sollte, als wir uns zu Tausenden versammelten, angereist aus den entferntesten Ecken Südafrikas und gekleidet mit unseren farbenprächtigen T-Shirts, Baseballmützen und Makarapas. Es war ein wunderbares Gefühl, als wir uns zum Auftakt am 16. Dezember zu dem erstaunlichen Konzert versammelten, wo die ganzen alten und neuen Musik-Stars unsere Lieblingslieder spielten. Klar, das Konzert begann verspätet, aber es ging bis tief in die Nacht und war für alle ein großes Vergnügen.
Dann, am nächsten Tag, ging es mit unseren Beratungen richtig los. Im Plenum gab es wieder den gewohnten Streit darüber, wo die Delegierten der aufmüpfigeren Provinzen sitzen sollten. Und dann die hitzigen Debatten in den Kommissionssitzungen über Nationalisierung, breit angelegte wirtschaftliche Reformen, über nationale Gesundheitspolitik und Bildungsreform. Das wurden wirklich interessante Sitzungen - und wir hatten noch gar nicht begonnen, den Parteivorsitzenden, seinen Stellvertreter und den Generalsekretär, die Mitglieder des Exekutivkomitees und so weiter zu wählen, um unsere Partei zu führen! Dort konnten wir nämlich diskutieren, wie es mit der nationalen Krankenversicherung weitergehen sollte, wie wir die Regie über die strategischen Bodenschätze unseres Landes von den Kapitalisten übernehmen und schließlich über das wirtschaftliche Schicksal unseres Landes entscheiden könnten, das mit angehaltenem Atem auf die Berührung mit unserem Zauberstab wartete. Das waren auch schwierige Sitzungen, aber es machte uns stolz, Teil einer Partei zu sein, die diese Dinge ernsthaft und offen diskutierte.
Aber plötzlich, aus heiterem Himmel, änderte sich alles. Viele Delegierte erfreuten sich am 17. gemeinsam mit der Parteispitze an einem lauten, freundschaftlichen Mittagessen. Die Speisen waren rustikal und reichlich – richtige Gerichte aus dem Volk. Es gab größere Mengen Rindfleisch-Curry, gebratene Hähnchen, Maisbrei, Polenta, Reis, Spinat, grüne Bohnen, Rote Beete und Kartoffelsalat – und jede Menge Cremespeisen als Nachtisch.
Das Problem war vielleicht, dass es an jenem Tag richtig heiß war, die Sonne knallte – und als wir zum Essen kamen, hatte das Buffet für uns hungrige Genossen schon mehr als eine Stunde bereit gestanden.
Einige von uns wollten den Lieferanten für das Essen danken, da sie schon lange nicht mehr ein so gutes Picknick verzehrt hätten, und deshalb fragten wir, wer den Auftrag für dieses großartige Essen bekommen hatte.
Es stellte sich heraus, dass alles von Bewohnern von Mangaung selbst gekocht woden war – eine richtige Graswurzel-Anstrengung der Gemeinde, direkt aus den Townships. Nur einige Zutaten waren von größeren Firmen geliefert worden. Die On Point Food Support Service Pty Ltd zum Beispiel (ein Catering-Zweig des Ratanang Trusts) hatte die ganze Mayonnaise, die Saucen und Gewürze für alle Essen in einem kleinen Industriegebiet vor den Toren von Polokwane produziert und das alles dann zu den Township-Gruppen gebracht. Niemand hat später herausgefunden, ob es an qualitativ schlechten oder verdorbenen Zutaten lag oder an falscher Lagerung und fehlender Kühlung oder an einer Kombination aus all diesen Dingen – nicht zu vergessen der brennenden Hitze. Die Ärzte haben uns später jedenfalls gesagt, dass alles zusammen perfekte Bedingungen für eine Explosion von Salmonellen-Bakterien geschaffen hatte.
Vielleicht haben die Ärzte recht und einer hat da ein wenig geschummelt, vielleicht stand das Essen aber auch nur ein wenig zu lange in der sengenden Sonne – aber ab zwei Uhr nachmittags verließen immer mehr Delegierte die Sitzungen und wankten zum Ärztezelt, das in der Nähe aufgebaut worden war. Schon bald waren die Mediziner dem Ansturm nicht mehr gewachsen und forderten Verstärkung an. Und das ausgerechnet an einem Urlaubs-Wochenende, die Krankenhäuser hatten nur eine Notbesatzung – und viele Ärzte und Schwestern waren schon in den Ferien, auf dem Weg an die Strände von Durban, George, Knysna und Kapstadt oder sogar ins Ausland für den lang ersehnten Urlaub. Selbst die Streitkräfte hatten nicht genügend medizinische Teams. Wirklich viele Menschen waren ziemlich krank.
Wir haben später erfahren, dass es eine Salmonellen-Vergiftung war und wir Glück hatten, dass niemand daran gestorben ist, obwohl Tausende sich akut unwohl fühlten und ziemliche Schmerzen hatten. Ihr könnt euch vorstellen, wie das war. Unsere Sitzungen versanken im Chaos, als immer mehr gesundheitlich angeschlagene Vorsitzende die Treffen ohne großes Federlesen vertagten. Abends begannen die Fernsehnachrichten mit nichts Gutes verheißenden Bildern, wie sich Tausende Delegierte vor den Medizin-Zelten und auf dem Rasen übergaben. Es war furchtbar und sah aus wie in einem Hollywood-Film wie „Vom Winde verweht“, sagten einige. Die gesamte Führungsspitze schien lahmgelegt.
Zufällig waren drei von ihnen – Gesundheitsminister Aaron Motsoaledi, Planungsminister Trevor Manuel und Finanzminister Pravin Gordhan – vor dem Mittagessen zu einem gemeinsamen Strategietreffen verschwunden. Sie wollten darüber sprechen, wie sich die Pläne zur Wiederbelebung der Krankenhäuser und die nationale Krankenversicherung auf den Staatshaushalt auswirken – eines der Themen, das auch in den Vorbereitungstreffen von Mangaung hitzig debattiert worden war. Auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen für ein schnelles Mittagessen waren die drei Männer im Wagen des Gesundheitsministers weggefahren. Der Fahrer hat später mehreren von uns erzählt, dass einer der drei ein KFC (Kentucky Fried Chicken) oder Nandos (eine Schnellimbisskette) vorgeschlagen hatte, aber Trevor Manuel wollte zu dem nächsten Shaaba Fish-and-Chips-Laden – das sei für Pravin Gordhan die kostengünstigste Wahl.
Gleichzeitig hatte auch Jeremy Cronin von der Kommunistischen Partei Südafrikas das Treffen verlassen, um einige Gedichte über seine inbrünstige Hoffnung auf eine klassenlose Zukunft zu schreiben, in der das Lumpenproletariat endlich frei sein würde. Und Zwelinzima Vavi vom Gewerkschaftsdachverband COSATU hatte eine persönliche Lunch-Einladung von einigen ANC-Großkopfeten ausgeschlagen, die Unstimmigkeiten mit ihm ausbügeln wollten. Stattdessen verzehrte er ein Lunchpaket, das er an dem Morgen mitgebracht hatte, um symbolisch gegen die kulinarischen Exzesse und die Tatsache zu protestieren, das die ANC-Führer all die Köstlichkeiten genießen konnten, ohne je zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Als die fünf Männer wieder zum Sitzungsort zurückkehrten, war durch die plötzliche Epidemie alles außer Kontrolle geraten; keiner der anderen Parteiführer konnte nach vorn zum Podium kommen. Bei Beginn der Spätnachmittags-Sitzungen waren nur eine Handvoll Delegierter und Vavi, Cronin, Manuel, Gordhan und Motsoaledi dazu in der Lage.
Verzweifelt beschloss diese Ad-hoc-Gruppe, dass diese fünf ein Interim-Komitee bilden sollten. Sie sollten die Parteigeschäfte solange führen, bis die Tagesordnung der Parteikonferenz abgearbeitet und die neue Parteiführung gewählt worden wäre.
Als Parteimitglieder im ganzen Land hörten, was geschehen war, wurde dieses Interim-Komitee witzigerweise DAS Twitter-Ereignis schlechthin, und die Zustimmung der Öffentlichkeit zu dieser Zwischenlösung wurde schlagartig klar. Sogar der Präsident und der Stellvertreter des ANC und damit des Landes fühlten sich verpflichtet, dieses zweite Ad-hoc-Machtzentrum zu akzeptieren. Die überwältigende Unterstützung der Gruppe durch die gesamte Nation konnte man schlecht abstreiten, und bei der steigenden Zustimmung schien sie in der Lage, die Partei bei den Wahlen in weniger als zwei Jahren zu einem triumphalen Sieg zu führen.
Als die „Gruppe der Fünf“ die Partei erst einmal führte, war es für sie logisch, auch in der nationalen Regierung Verantwortung zu übernehmen. Als sich die Delegierten zum zweiten Mal zu dem Parteitag versammelten, bestimmten sie Mitglieder des Fünfer-Gremiums zum Parteipräsidenten, Stellvertreter und Generalsekretär, und die anderen beiden – Zwelinzima Vavi und Jeremy Cronin – erhielten die anderen hohen Parteiposten.
Damit – so erklärten uns Juristen später – war alles mit den Vorschriften der Südafrikanischen Verfassung, Kapitel 5, Abschnitte 88, 89 und 90 vereinbar. Das Ganze erinnerte uns ein wenig daran, wie Kgalema Motlanthe für eine kurze Zeit unser Präsident wurde, als er Thabo Mbeki ersetzte, der in Polokwane bei der Partei in Ungnade gefallen war.
Dieses Mal jedoch nahm der Parteitag die unvermeidlichen Rücktritte von Jacob Zuma und Kgalema Motlanthe als Präsident und Stellvertretender Präsident an. Jacob Zuma ging nach Nkandla zurück und führte dort das ruhige Leben eines Oberhaupts einer weit verzweigten Familie und Viehzüchters, während Kgalema Motlanthe sich ehrenamtlich für die Wiederbelebung der politischen und moralischen Weiterbildung in der Partei engagierte – eine Aufgabe, der er sich nach seinem Rückzug aus der Politik immer widmen wollte, wie er uns sagte. Und er wurde Trainer des örtlichen Fußball-Teams.
Wie es Abschnitt 90 vorschreibt, bestimmten dann die verbleibenden Kabinettsmitglieder Dr. Motsoaledi zum neuen Präsidenten Südafrikas und Trevor Manuel zu seinem Stellvertreter. Pravin Gordham blieb weiter Finanzminister und Planungsminister, um in unsere Wirtschaftspolitik endlich einmal Zug reinzubringen. Wir steckten in einer Sackgasse, wir alle wussten es, und es war klar, dass etwas Außergewöhnliches geschehen musste.
Selbst die ehemals störenden Kirchenmänner, Geschäftsleute und die wichtigste Oppositionspartei deuteten ihre anfängliche, wenngleich skeptische Unterstützung für die sich anbahnende Wende an. Als die Wahlen näher kamen, führte der öffentliche Druck unter dieser unwahrscheinlichen und überraschenden Fünfer-Gruppe und dem neuen Präsidenten und seinem Stellvertreter dazu, dass eine zweite Regierung der nationalen Einheit gebildet wurde – und das geschah gerade noch rechtzeitig. Die weiter anhaltende Notlage im Erziehungswesen - eingeschlossen Schulbücher, die unerklärlicherweise in Albanien und Mazedonien gedruckt und in Limpopo verteilt wurden -, eine Serie neuer Polizeiskandale und der kontinuierliche Verfall unserer Währung im Vergleich zu vielen anderen machte deutlich, dass unsere Regierung energische Maßnahmen ergreifen musste. Die Führer unseres Landes waren gezwungen, die Probleme gemeinsam mit neuem Elan und Kraft anzugehen. Selbst die Freedom Front+ ließ ihre Klagen gegen die Sprachenpolitik vor Gericht fallen, und die Leute in Orania boten an, ihre Stadt als Zeichen für ihre unerwartete Unterstützung der Regierung der nationalen Einheit in Hani-ville umzubenennen.
Und was machte Julius Malema? Obwohl er in das große Zelt von Mangaung nicht eingeladen worden war, weil er ja nicht länger Mitglied dieser Partei oder der Jugendliga war, gelang es ihm als zentrale Figur eines der Lieferfirmen und wegen seines finanziellen Engagements bei der On Point Food Products Company, die die Mayonnaise, den Senf und die Peri-Peri-Sauce für das Mittagessen geliefert hatte, sich unter die Delegierten zu mischen und bei diesem schicksalhaften Mittagessen stöhnend dabei zu sein. Er hatte allerdings – wie wir heute wissen – eine ausgeprägte Allergie gegen Eier und alle Ei-Produkte wie Mayonnaise – und wir haben nie wieder etwas von ihm gehört. Startschuss für den Regenbogen.
Ende!
Quelle: Daily Maverick, 13. Dezember 2012
Südafrika-Tagebuch aus einem Land, das gut zwei Jahrzehnte nach Ende der Apartheid noch immer vor schwierigen Problemen steht: Beobachtungen aus Kapstadt und umzu.
Freitag, 14. Dezember 2012
Montag, 10. Dezember 2012
"Keine Gewinner im Farmarbeiter-Streik"
Nach den Minenarbeitern haben in diesen Monaten in Südafrika auch Farmarbeiter in der Kapprovinz gestreikt. Sie forderten ebenfalls eine drastische Erhöhung des Mindestlohns. Die aber kann nach den Gesetzen frühestens im April kommenden Jahres erfolgen. Anfang Dezember wurde nach langen Verhandlungen noch einmal einen Tag gestreikt, seitdem herrscht weitgehend Ruhe. Gelöst wurde keines der Probleme; jetzt sollen für jede Farm gesonderte Lohnverhandlungen folgen. William Dicey, Umweltschützer, Autor und Obstfarmer aus Ceres, findet, dass dieser Streik nur Verlierer hat.
Im Streik der Farmarbeiter gibt es keine Gewinner. Traktorfahrer Michael Daniels starb durch eine Polizeikugel. Saisonarbeiter Bongile Ndleni kam durch die Kugel eines privaten Sicherheitsmitarbeiters ums Leben. Der Farmer Tienie Crous, 81, wäre fast getötet worden, als Streikende ihn bedrängten (seine Hörgerät musste ihm aus der Haut herausgeschnitten werden). Kleinstädte wurden geplündert, Eigentum zerstört. Scheunen und Holzfässer und Traktoren und Weinberge gingen in Flammen auf.
Die Farmer sind nervös und wütend und haben Angst. Manche reden davon, ihre Farm zu verkaufen und auszuwandern. Fest angestellte Farmarbeiter sind ebenso nervös und wütend und haben Angst. Sie können allerdings nicht ihr Bündel schnüren. Sie müssen diesen Sturm abwettern und abwarten, ob sie im April noch einen Job haben werden oder nicht.
Die Streikenden, die ihr Heil im gewalttätigen Protest gesucht haben, sind ebenfalls Verlierer. Sie haben ihren Anteil an Gummikugeln der Polizei abbekommen und ohne Zweifel ein gut Teil Polizeibrutalität. Sie mussten auch mit dem Zorn der Arbeiter leben, die von ihnen so eingeschüchtert worden waren, dass sie zu Hause blieben. Der erste Protesttag mag noch so etwas wie Spaß gemacht haben, aber nach vier Tagen ohne Lohn waren die Leute verzweifelt.
Die Politiker waren klare Verlierer. Helen Zille, Premier der Kap-Provinz, noch die beste unter einem Haufen schlechter - aber nur deshalb, weil sie nicht marktschreierisch aufgesprungen ist. Sie zauderte und ließ Führerstärke vermissen – vermutlich wollte sie sich weder auf die Seite der Farmer noch auf die der Coloured-Arbeiter schlagen, beide traditionel Anhänger der Democratic Alliance. Die Partei-Erklärungen für die Presse konnte man allerdings kaum von denen der Farmer-Verbände wie der Agri SA unterscheiden. Zilles Oppositions-Gegenüber Marius Fransman, Provinz-Chef des ANC, startete ziemlich aggressiv und sagte den Farmern, „Julle gaan kak“ (kak = Scheiße), hielt sich dann aber stärker zurück.
Landwirtschaftsministerin Tina Joemat-Pettersson lieferte eine katastrophale Vorstellung. In einer Rede vor einer großen Gruppe Streikender in De Doorns gratulierte sie ihnen zu ihrem „Sieg“; keiner von ihnen, so sagte sie, werde disziplinär belangt oder angeklagt werden. Schwierig zu sagen, welche dieser beiden Statements bizarrer ist: eine Landwirtschaftsministerin, die Farmarbeitern zu einem illegalen Streik beglückwünscht, bei dem Weinberge niedergebrannt wurden, oder eine Ministerin ohne juristische Zuständigkeit, die Leuten Immunität vor gerichtlicher Verfolgung verspricht, die an einer Orgie von kriminellen Handlungen teilgenommen haben, inklusive der Verbarrikadierung einer Nationalstraße und dem Steinewerfen auf vorbeifahrende Fahrzeuge. Als Sahnehäubchen ihrer Vorstellung kündigte die Ministerin an, dass die Mindestlöhne in der Landwirtschaft binnen zweier Wochen überprüft würden – was schon von der Verfassung her unmöglich ist. (…)
Aber vielleicht bin ich zu hart gegenüber Joemat-Pettersson. Sie ist so ineffizient und wankelmütig, dass es schwierig ist, ihr Vorwürfe zu machen. So etwas von bösartigem Handeln überfordert möglicherweise schon ihre intellektuellen Fähigkeiten. Der Schurke in dem Stück dagegen ist die Verkörperung böswilliger Absicht: Tony Ehrenreich, Cosatus rasiermesser-scharfer Provinzsekretär.
Aber bevor wir Ehrenreichs Rolle beleuchten, muss ich noch einiges zu den Ursachen des Streiks sagen. Viele Aspekte des Streiks sind komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheinen, und sie sind von Region zu Region verschieden. Selbst zum Beispiel ein so einfaches Wort wie „Streikende“ beschreibt nicht immer dasselbe. „Farmarbeiter“ und „Streikende“ und „Demonstranten“ sind genau umschriebene Gruppen von Menschen. In De Doorns überlappen sie sich, nicht so stark aber in Ceres.
Als der Streik Anfang November in De Doorns begann, waren die Demonstranten – das sind die Leute, die Autoreifen verbrannten und Fahrzeuge mit Steinen bewarfen – Farmarbeiter. Es gibt unterschiedliche Angaben darüber, ob diese Demonstranten Saisonarbeiter aus Lesotho waren, deren Arbeitserlaubnis nicht erneuert worden war, oder ob da mehrere Gruppen zusammenkamen. Wie auch immer, es waren verärgerte Saisonarbeiter, die die fest angestellten Farmarbeiter im Tal einschüchterten und zum Mitmachen aufforderten. Ein Freund von mir betreibt eine Farm in De Doorns. Die Arbeiter auf seiner Farm erhielten drohende SMS: „Wir werden Dich holen“, hieß es da in Afrikaans, „wir wissen, auf welcher Weinfarm Du bist“. Mein Freund hat den ganzen Tag eingeschüchterte Arbeiter von einer Ecke seiner Farm in die andere gefahren. Dann hat er ihnen gesagt, sie sollten zu Hause bleiben.
Die Saisonarbeiter in De Doorns hatten vermutlich vernünftige Gründe zu streiken. In den vergangenen ein, zwei Jahrzehnten sind die Gewinnmargen der Farmer im Hex River-Tal bei Tafeltrauben dramatisch geschrumpft (30 Prozent der Farmen im Tal haben in den vergangenen fünf Jahren den Besitzer gewechselt). Viele Farmer haben deshalb verstärkt Saisonarbeiter beschäftigt und ihnen nur den Mindestlohn gezahlt. Es ist schwierig, das gutzuheißen – 69 Rand ist ein erbärmlicher Lohn -, aber ziemlich leicht nachzuvollziehen.
In Wolseley und Ceres (zwei Regionen, über die ich mit einiger Autorität reden kann: Mein Bruder betreibt eine Farm in Wolseley, ich eine in Ceres) ist die Situation ganz anders. Farmer bauen Äpfel an, Birnen und Pflaumen. Trotz einiger Probleme sind die Gewinnspannen hier höher. Das spiegelt sich in den Löhnen wider. Die Farmen um mich herum zahlen ihren am schlechtesten bezahlten Arbeitern alle zwischen 85 Rand und 90 Rand pro Tag. Zusätzlich erhalten Arbeiter einen Zuschlag pro abgeernteten Baum oder pro gepflückten Sack. Das macht übers Jahr gerechnet rund 25 Rand pro Tag. Dazu gibt es noch einen jährlichen Bonus, kostenlosen Transport, einen Zuschuss für Arztbesuche, den kostenlosen Kindergarten und die Zahlung der Schulgebühren. Arbeiter, die auf der Farm leben, zahlen keine Miete, und der Strom wird bezuschusst. Wenn man das alles einberechnet, erhält ein auf der Farm lebender Arbeiter im Durchschnitt 140 Rand am Tag und der nicht auf der Farm lebende Arbeiter 120 Rand. Diejenigen, die sich durch besondere Leistungen auszeichnen, verdienen deutlich mehr, ebenso wie die ausgebildeten Arbeiter wie die Teamleiter, die Menschen in der Verwaltung und die Traktorfahrer.
Vergleichbare Löhne gibt es auf vielen Farmen in Ceres und Wolseley und auch im weiteren Boland. Das ist nicht furchtbar viel Geld, aber da die Arbeitskosten 40 Prozent der Kosten ausmachen, ist das nun mal soviel, wie eine gut geführte Obstfarm vernünftigerweise zahlen kann. Im nationalen Vergleich verdienen 60 Prozent aller Haushalte weniger als das, und daher verleitet dieser Lohn selbst nicht gerade zu gewalttätigem Protest. Aber jetzt kommt eben die Politik ins Spiel.
So abgestimmt und effizient, wie der Streik sich an einem einzigen Tag von De Doorns in 15 andere Städte im Boland ausgebreitet hat, spricht alles für sorgfältige Planung und ausgeklügelte Mobilisierung von Menschen und Ressourcen. Es gibt nur wenig Zweifel, dass der ANC in der Kapprovinz und sein Allianzpartner Cosatu hinter dieser Mobilisierung stecken. In Villersdorp wurde ein Flugblatt mit ANC-Kopf verteilt, und im ganzen Boland gab es Berichte über Einschüchterungen durch Cosatu-Mitglieder (obwohl es im Boland kaum gewerkschaftlich organisierte Farmen gibt). Das würde die Fremden erklären, die nachts am Bahnhof von Wolseley ankamen, und die Busse in Nduli, dem Township außerhalb von Ceres. Ich bin kein Anhänger der reaktionären Politik der DA, aber Pieter van Dalen, ihr landwirtschaftlicher Sprecher, ist der Wahrheit vermutlich ziemlich nahe gekommen, als er den Streik als „letzten Bestandteil in der Kampagne des ANC, die Kapprovinz unregierbar zu machen“, bezeichnete.
Nicht ein einziger Arbeiter auf meiner Farm wollte streiken. Die in Nduli wohnen, erhielten die Botschaft, dass ihre Familien und ihre Häuser bedroht seien, falls sie zur Arbeit gingen. Die Arbeiter auf der Farm wurden in Telefonanrufen und SMS bedroht. Ob diese Drohungen wirklich wahrgemacht worden wären, ist nicht von Belang. Die Arbeiter waren eingeschüchtert und kehrten in ihre Häuser zurück.
Tony Ehrenreich ist im vergangenen Jahr 50 geworden. Ein gefährliches Alter für einen Mann. Ein Alter, in dem er versucht sein könnte, auf sein Leben zurückzublicken und zu fragen, was er bislang erreicht hat, und was noch kommen könnte. Ehrenreich war 2011 Bürgermeister-Kandidat für Kapstadt und von Patricia de Lille vernichtend geschlagen worden. Er ist ganz klar ein ehrgeiziger Mann und mit seinem Job als Provinzsekretär von Cosatu nicht zufrieden, einer Organisation, der er vor mehr als 20 Jahren beigetreten ist.
Ehrenreichs Rolle im Streik kann man nur als schändlich bezeichnen. Anzukündigen, dass ‚Marikana zu den Farmen im Westkap komme’, ist nicht nur extrem unverantwortlich, es ist auch ungeniert opportunistisch. Als Ehrenreich Marikana zum zweiten mal zitierte – auf einem Plakat mit seinem Foto über dem fröhlichen Ausruf „FÜHLE ES!! Marikanas Western Cape ist hier!“ -, reichte die Demokratische Allianz eine Klage wegen Aufrufs zur Gewalt ein. Von Ehrenreich ist auch der Ausspruch überliefert: „Der Streik … könnte die Wiederholung des niedrigschwelligen Bürgerkriegs bedeuten, dessen Zeuge wir alle vor wenigen Wochen auf den Farmen waren.“
Die einzige Schlussfolgerung, die man aus diesen aufwieglerischen Äußerungen ziehen kann, ist die, dass Ehrenreich die Kapprovinz brennen sehen will. Warum? Vermutlich will er seinen politischen Bossen gefallen, und zweifellos will er das Profil schärfen von Tony Ehrenreich Inc., Bürgermeisterkandidat und Retter der Armen. Dabei ist er alles andere als ein Retter der Armen. Eine der traurigen Ironien des Streiks: Die Mehrheit der Demonstranten – jedenfalls in Ceres und Wolseley – waren entweder arbeitslos oder Saisonarbeiter. Hätten sie ihr Ziel, den Mindestlohn auf 150 Rand pro Tag zu steigern, erreicht, hätten sie sich selbst für lange Zeit von einem Arbeitsplatz ausgeschlossen. Ehrenreichs politische Schachfiguren sind genau die Leute, die bei einem erfolgreichen Streik am meisten verloren hätten.
Ehrenreich ist – obwohl es genau andersherum aussieht – auch ein Verlierer des Streiks. Er ist das Opfer von so vielen Hass-Mails, wie ich es in der Blogosphäre noch nie erlebt habe; er hat bei den Arbeitern Hoffnungen geweckt, nur um sie zu enttäuschen, und wenn man Cosatus Verrenkungen in der zweiten Runde des Streiks anschaut, ist er von den Granden des ANC kielgeholt worden. Das Marikana im Nordwesten hat der Wirtschaft solch einen schädlichen Schlag versetzt, dass die Regierung wohl wenig Lust auf eine Wiederholung im Westkap hatte.
Trotz der Tatsache, dass es keine Gewinner gab, war der Streik nicht vollkommen schlecht. Das Aufhetzen und die Einschüchterungen und die Gewalt und die Zerstörungen waren natürlich schlecht. Das zynische Ausnutzen von Tausenden armer Menschen, nur um die Ambitionen einer Handvoll Politiker zu befördern, war gleichfalls schlecht. Aber das Prinzip eines breit angelegten Streiks in der Landwirtschaft hat seine Verdienste. Allzu lange waren die Arbeitsbeziehungen sozusagen der Elefant in der Ecke des Obstgartens. Durch den Streik war es möglich zu reden, etwas Dampf abzulassen und – hoffentlich – etwa zu tun. Mich selbst hat lange umgetrieben, dass die Arbeiter, die auf meiner Farm leben, kostenlos dort wohnen können, während für die außerhalb der Farm das nicht gilt. Durch den Streik suche ich jetzt nach Wegen, wie das Leben außerhalb der Farm unterstützt werden kann. Kommenden April wird der Mindestlohn für Farmarbeiter hoffentlich deutlich erhöht. Das ist sicherlich nicht die Lösung aller ländlichen Übel, aber ausbeuterische Farmer sollten die Hitze spüren. Die meisten von ihnen könnten es sich leisten, mehr zu zahlen. Und die es nicht können, müssten der Tatsache ins Gesicht sehen, dass sie ihre fehlende Wirtschaftlichkeit mit billiger Arbeitskraft vertuschen.
Wenn man die Frage außer acht lässt, wer das Streichholz angezündet hat, bleibt eine Tatsache, dass der Streik sich schnell wie ein Waldbrand ausgebreitet hat. In ländlichen Gebieten herrscht tiefe Unzufriedenheit, und Farmer täten gut daran, darauf zu achten. Die Regierung aber sollte das auch tun. Die Unzufriedenheit – so argumentiere ich – hat mehr zu tun mit Armut, Arbeitslosigkeit und dem Verlust der Aussicht auf ein besseres Leben als mit den Arbeitsbeziehungen auf den Farmen. Dieser Streik war nicht nur ein Streik, das war auch soziale Unruhe.
„Wenn die Ministerin Joemat-Pettersson und Herr Ehrenreich den Farmarbeitern wirklich Gutes tun wollen“, schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Johan Fourie in seinem Blog, „sollten sie sich lieber um ein anderes Erbe der Apartheid sorgen: die miserable Arbeit der Schulen auf dem Lande, vor allem in den Provinzen, aus denen viele der Arbeitsmigranten kommen – und nicht so sehr um die Regierungsarbeit, den Mindestlohn zu ändern.“ Unglücklicherweise jedoch ist – wie Fourie auch ausführt – die Änderung des Mindestlohns viel einfacher, und es verkauft sich auch viel besser.
William Dicey
6. Dezember 2012
Quelle: www.politicsweb.co.za
Im Streik der Farmarbeiter gibt es keine Gewinner. Traktorfahrer Michael Daniels starb durch eine Polizeikugel. Saisonarbeiter Bongile Ndleni kam durch die Kugel eines privaten Sicherheitsmitarbeiters ums Leben. Der Farmer Tienie Crous, 81, wäre fast getötet worden, als Streikende ihn bedrängten (seine Hörgerät musste ihm aus der Haut herausgeschnitten werden). Kleinstädte wurden geplündert, Eigentum zerstört. Scheunen und Holzfässer und Traktoren und Weinberge gingen in Flammen auf.
Die Farmer sind nervös und wütend und haben Angst. Manche reden davon, ihre Farm zu verkaufen und auszuwandern. Fest angestellte Farmarbeiter sind ebenso nervös und wütend und haben Angst. Sie können allerdings nicht ihr Bündel schnüren. Sie müssen diesen Sturm abwettern und abwarten, ob sie im April noch einen Job haben werden oder nicht.
Die Streikenden, die ihr Heil im gewalttätigen Protest gesucht haben, sind ebenfalls Verlierer. Sie haben ihren Anteil an Gummikugeln der Polizei abbekommen und ohne Zweifel ein gut Teil Polizeibrutalität. Sie mussten auch mit dem Zorn der Arbeiter leben, die von ihnen so eingeschüchtert worden waren, dass sie zu Hause blieben. Der erste Protesttag mag noch so etwas wie Spaß gemacht haben, aber nach vier Tagen ohne Lohn waren die Leute verzweifelt.
Die Politiker waren klare Verlierer. Helen Zille, Premier der Kap-Provinz, noch die beste unter einem Haufen schlechter - aber nur deshalb, weil sie nicht marktschreierisch aufgesprungen ist. Sie zauderte und ließ Führerstärke vermissen – vermutlich wollte sie sich weder auf die Seite der Farmer noch auf die der Coloured-Arbeiter schlagen, beide traditionel Anhänger der Democratic Alliance. Die Partei-Erklärungen für die Presse konnte man allerdings kaum von denen der Farmer-Verbände wie der Agri SA unterscheiden. Zilles Oppositions-Gegenüber Marius Fransman, Provinz-Chef des ANC, startete ziemlich aggressiv und sagte den Farmern, „Julle gaan kak“ (kak = Scheiße), hielt sich dann aber stärker zurück.
Landwirtschaftsministerin Tina Joemat-Pettersson lieferte eine katastrophale Vorstellung. In einer Rede vor einer großen Gruppe Streikender in De Doorns gratulierte sie ihnen zu ihrem „Sieg“; keiner von ihnen, so sagte sie, werde disziplinär belangt oder angeklagt werden. Schwierig zu sagen, welche dieser beiden Statements bizarrer ist: eine Landwirtschaftsministerin, die Farmarbeitern zu einem illegalen Streik beglückwünscht, bei dem Weinberge niedergebrannt wurden, oder eine Ministerin ohne juristische Zuständigkeit, die Leuten Immunität vor gerichtlicher Verfolgung verspricht, die an einer Orgie von kriminellen Handlungen teilgenommen haben, inklusive der Verbarrikadierung einer Nationalstraße und dem Steinewerfen auf vorbeifahrende Fahrzeuge. Als Sahnehäubchen ihrer Vorstellung kündigte die Ministerin an, dass die Mindestlöhne in der Landwirtschaft binnen zweier Wochen überprüft würden – was schon von der Verfassung her unmöglich ist. (…)
Aber vielleicht bin ich zu hart gegenüber Joemat-Pettersson. Sie ist so ineffizient und wankelmütig, dass es schwierig ist, ihr Vorwürfe zu machen. So etwas von bösartigem Handeln überfordert möglicherweise schon ihre intellektuellen Fähigkeiten. Der Schurke in dem Stück dagegen ist die Verkörperung böswilliger Absicht: Tony Ehrenreich, Cosatus rasiermesser-scharfer Provinzsekretär.
Aber bevor wir Ehrenreichs Rolle beleuchten, muss ich noch einiges zu den Ursachen des Streiks sagen. Viele Aspekte des Streiks sind komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheinen, und sie sind von Region zu Region verschieden. Selbst zum Beispiel ein so einfaches Wort wie „Streikende“ beschreibt nicht immer dasselbe. „Farmarbeiter“ und „Streikende“ und „Demonstranten“ sind genau umschriebene Gruppen von Menschen. In De Doorns überlappen sie sich, nicht so stark aber in Ceres.
Als der Streik Anfang November in De Doorns begann, waren die Demonstranten – das sind die Leute, die Autoreifen verbrannten und Fahrzeuge mit Steinen bewarfen – Farmarbeiter. Es gibt unterschiedliche Angaben darüber, ob diese Demonstranten Saisonarbeiter aus Lesotho waren, deren Arbeitserlaubnis nicht erneuert worden war, oder ob da mehrere Gruppen zusammenkamen. Wie auch immer, es waren verärgerte Saisonarbeiter, die die fest angestellten Farmarbeiter im Tal einschüchterten und zum Mitmachen aufforderten. Ein Freund von mir betreibt eine Farm in De Doorns. Die Arbeiter auf seiner Farm erhielten drohende SMS: „Wir werden Dich holen“, hieß es da in Afrikaans, „wir wissen, auf welcher Weinfarm Du bist“. Mein Freund hat den ganzen Tag eingeschüchterte Arbeiter von einer Ecke seiner Farm in die andere gefahren. Dann hat er ihnen gesagt, sie sollten zu Hause bleiben.
Die Saisonarbeiter in De Doorns hatten vermutlich vernünftige Gründe zu streiken. In den vergangenen ein, zwei Jahrzehnten sind die Gewinnmargen der Farmer im Hex River-Tal bei Tafeltrauben dramatisch geschrumpft (30 Prozent der Farmen im Tal haben in den vergangenen fünf Jahren den Besitzer gewechselt). Viele Farmer haben deshalb verstärkt Saisonarbeiter beschäftigt und ihnen nur den Mindestlohn gezahlt. Es ist schwierig, das gutzuheißen – 69 Rand ist ein erbärmlicher Lohn -, aber ziemlich leicht nachzuvollziehen.
In Wolseley und Ceres (zwei Regionen, über die ich mit einiger Autorität reden kann: Mein Bruder betreibt eine Farm in Wolseley, ich eine in Ceres) ist die Situation ganz anders. Farmer bauen Äpfel an, Birnen und Pflaumen. Trotz einiger Probleme sind die Gewinnspannen hier höher. Das spiegelt sich in den Löhnen wider. Die Farmen um mich herum zahlen ihren am schlechtesten bezahlten Arbeitern alle zwischen 85 Rand und 90 Rand pro Tag. Zusätzlich erhalten Arbeiter einen Zuschlag pro abgeernteten Baum oder pro gepflückten Sack. Das macht übers Jahr gerechnet rund 25 Rand pro Tag. Dazu gibt es noch einen jährlichen Bonus, kostenlosen Transport, einen Zuschuss für Arztbesuche, den kostenlosen Kindergarten und die Zahlung der Schulgebühren. Arbeiter, die auf der Farm leben, zahlen keine Miete, und der Strom wird bezuschusst. Wenn man das alles einberechnet, erhält ein auf der Farm lebender Arbeiter im Durchschnitt 140 Rand am Tag und der nicht auf der Farm lebende Arbeiter 120 Rand. Diejenigen, die sich durch besondere Leistungen auszeichnen, verdienen deutlich mehr, ebenso wie die ausgebildeten Arbeiter wie die Teamleiter, die Menschen in der Verwaltung und die Traktorfahrer.
Vergleichbare Löhne gibt es auf vielen Farmen in Ceres und Wolseley und auch im weiteren Boland. Das ist nicht furchtbar viel Geld, aber da die Arbeitskosten 40 Prozent der Kosten ausmachen, ist das nun mal soviel, wie eine gut geführte Obstfarm vernünftigerweise zahlen kann. Im nationalen Vergleich verdienen 60 Prozent aller Haushalte weniger als das, und daher verleitet dieser Lohn selbst nicht gerade zu gewalttätigem Protest. Aber jetzt kommt eben die Politik ins Spiel.
So abgestimmt und effizient, wie der Streik sich an einem einzigen Tag von De Doorns in 15 andere Städte im Boland ausgebreitet hat, spricht alles für sorgfältige Planung und ausgeklügelte Mobilisierung von Menschen und Ressourcen. Es gibt nur wenig Zweifel, dass der ANC in der Kapprovinz und sein Allianzpartner Cosatu hinter dieser Mobilisierung stecken. In Villersdorp wurde ein Flugblatt mit ANC-Kopf verteilt, und im ganzen Boland gab es Berichte über Einschüchterungen durch Cosatu-Mitglieder (obwohl es im Boland kaum gewerkschaftlich organisierte Farmen gibt). Das würde die Fremden erklären, die nachts am Bahnhof von Wolseley ankamen, und die Busse in Nduli, dem Township außerhalb von Ceres. Ich bin kein Anhänger der reaktionären Politik der DA, aber Pieter van Dalen, ihr landwirtschaftlicher Sprecher, ist der Wahrheit vermutlich ziemlich nahe gekommen, als er den Streik als „letzten Bestandteil in der Kampagne des ANC, die Kapprovinz unregierbar zu machen“, bezeichnete.
Nicht ein einziger Arbeiter auf meiner Farm wollte streiken. Die in Nduli wohnen, erhielten die Botschaft, dass ihre Familien und ihre Häuser bedroht seien, falls sie zur Arbeit gingen. Die Arbeiter auf der Farm wurden in Telefonanrufen und SMS bedroht. Ob diese Drohungen wirklich wahrgemacht worden wären, ist nicht von Belang. Die Arbeiter waren eingeschüchtert und kehrten in ihre Häuser zurück.
Tony Ehrenreich ist im vergangenen Jahr 50 geworden. Ein gefährliches Alter für einen Mann. Ein Alter, in dem er versucht sein könnte, auf sein Leben zurückzublicken und zu fragen, was er bislang erreicht hat, und was noch kommen könnte. Ehrenreich war 2011 Bürgermeister-Kandidat für Kapstadt und von Patricia de Lille vernichtend geschlagen worden. Er ist ganz klar ein ehrgeiziger Mann und mit seinem Job als Provinzsekretär von Cosatu nicht zufrieden, einer Organisation, der er vor mehr als 20 Jahren beigetreten ist.
Ehrenreichs Rolle im Streik kann man nur als schändlich bezeichnen. Anzukündigen, dass ‚Marikana zu den Farmen im Westkap komme’, ist nicht nur extrem unverantwortlich, es ist auch ungeniert opportunistisch. Als Ehrenreich Marikana zum zweiten mal zitierte – auf einem Plakat mit seinem Foto über dem fröhlichen Ausruf „FÜHLE ES!! Marikanas Western Cape ist hier!“ -, reichte die Demokratische Allianz eine Klage wegen Aufrufs zur Gewalt ein. Von Ehrenreich ist auch der Ausspruch überliefert: „Der Streik … könnte die Wiederholung des niedrigschwelligen Bürgerkriegs bedeuten, dessen Zeuge wir alle vor wenigen Wochen auf den Farmen waren.“
Die einzige Schlussfolgerung, die man aus diesen aufwieglerischen Äußerungen ziehen kann, ist die, dass Ehrenreich die Kapprovinz brennen sehen will. Warum? Vermutlich will er seinen politischen Bossen gefallen, und zweifellos will er das Profil schärfen von Tony Ehrenreich Inc., Bürgermeisterkandidat und Retter der Armen. Dabei ist er alles andere als ein Retter der Armen. Eine der traurigen Ironien des Streiks: Die Mehrheit der Demonstranten – jedenfalls in Ceres und Wolseley – waren entweder arbeitslos oder Saisonarbeiter. Hätten sie ihr Ziel, den Mindestlohn auf 150 Rand pro Tag zu steigern, erreicht, hätten sie sich selbst für lange Zeit von einem Arbeitsplatz ausgeschlossen. Ehrenreichs politische Schachfiguren sind genau die Leute, die bei einem erfolgreichen Streik am meisten verloren hätten.
Ehrenreich ist – obwohl es genau andersherum aussieht – auch ein Verlierer des Streiks. Er ist das Opfer von so vielen Hass-Mails, wie ich es in der Blogosphäre noch nie erlebt habe; er hat bei den Arbeitern Hoffnungen geweckt, nur um sie zu enttäuschen, und wenn man Cosatus Verrenkungen in der zweiten Runde des Streiks anschaut, ist er von den Granden des ANC kielgeholt worden. Das Marikana im Nordwesten hat der Wirtschaft solch einen schädlichen Schlag versetzt, dass die Regierung wohl wenig Lust auf eine Wiederholung im Westkap hatte.
Trotz der Tatsache, dass es keine Gewinner gab, war der Streik nicht vollkommen schlecht. Das Aufhetzen und die Einschüchterungen und die Gewalt und die Zerstörungen waren natürlich schlecht. Das zynische Ausnutzen von Tausenden armer Menschen, nur um die Ambitionen einer Handvoll Politiker zu befördern, war gleichfalls schlecht. Aber das Prinzip eines breit angelegten Streiks in der Landwirtschaft hat seine Verdienste. Allzu lange waren die Arbeitsbeziehungen sozusagen der Elefant in der Ecke des Obstgartens. Durch den Streik war es möglich zu reden, etwas Dampf abzulassen und – hoffentlich – etwa zu tun. Mich selbst hat lange umgetrieben, dass die Arbeiter, die auf meiner Farm leben, kostenlos dort wohnen können, während für die außerhalb der Farm das nicht gilt. Durch den Streik suche ich jetzt nach Wegen, wie das Leben außerhalb der Farm unterstützt werden kann. Kommenden April wird der Mindestlohn für Farmarbeiter hoffentlich deutlich erhöht. Das ist sicherlich nicht die Lösung aller ländlichen Übel, aber ausbeuterische Farmer sollten die Hitze spüren. Die meisten von ihnen könnten es sich leisten, mehr zu zahlen. Und die es nicht können, müssten der Tatsache ins Gesicht sehen, dass sie ihre fehlende Wirtschaftlichkeit mit billiger Arbeitskraft vertuschen.
Wenn man die Frage außer acht lässt, wer das Streichholz angezündet hat, bleibt eine Tatsache, dass der Streik sich schnell wie ein Waldbrand ausgebreitet hat. In ländlichen Gebieten herrscht tiefe Unzufriedenheit, und Farmer täten gut daran, darauf zu achten. Die Regierung aber sollte das auch tun. Die Unzufriedenheit – so argumentiere ich – hat mehr zu tun mit Armut, Arbeitslosigkeit und dem Verlust der Aussicht auf ein besseres Leben als mit den Arbeitsbeziehungen auf den Farmen. Dieser Streik war nicht nur ein Streik, das war auch soziale Unruhe.
„Wenn die Ministerin Joemat-Pettersson und Herr Ehrenreich den Farmarbeitern wirklich Gutes tun wollen“, schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Johan Fourie in seinem Blog, „sollten sie sich lieber um ein anderes Erbe der Apartheid sorgen: die miserable Arbeit der Schulen auf dem Lande, vor allem in den Provinzen, aus denen viele der Arbeitsmigranten kommen – und nicht so sehr um die Regierungsarbeit, den Mindestlohn zu ändern.“ Unglücklicherweise jedoch ist – wie Fourie auch ausführt – die Änderung des Mindestlohns viel einfacher, und es verkauft sich auch viel besser.
William Dicey
6. Dezember 2012
Quelle: www.politicsweb.co.za
Freitag, 7. Dezember 2012
Jeremy Gauntlett
Er ist einer der bekanntesten Juristen Südafrikas: Jeremy Gauntlett. Es gebe drei Typen von Anwälten, schreibt eine junge Jurastudentin aus Stellenbosch in ihrem Blog: gute Anwälte, für die komplizierteren Fälle großartige Anwälte - und für Fälle, wo alles verloren scheint, solche wie Jeremy Gauntlett.
Gauntlett macht in Südafrika Schlagzeilen: Zum vierten Mal ist er bei der Berufung profilierter Juristen auf hohe Richterstellen übergangen worden. „Soll das bedeuten, dass unser Land keinen Platz für Landeskinder hat, die weiß, klug und nicht zu Kompromissen bereit sind, wenn es um Prinzipien, Effizienz, Werte und Qualität geht?“, fragt in einem Kommentar der justizpolitische Sprecher der Inkatha Freedom Party im Parlament, Mario Oriani-Ambrosini, und sieht „Symptome einer nationalen Tragödie“.
Hohe Richter werden in Südafrika von der unabhängigen Judicial Service Commission (JSC) vorgeschlagen, die Kandidaten öffentlich anhört; offiziell ernannt werden sie dann vom Präsidenten. Bei der Suche nach Richtern für das Verfassungsgericht war Gauntlett zweimal übergangen worden, und in diesem Herbst blieb er ebenfalls zum zweiten Mal für einen Richterposten beim Western Cape High Court unberücksichtigt.
Begründet wurde dies nach Aussagen von Richtern unter Hinweis auf Hautfarbe und Temperament: Die Dominanz weißer Männer unter den Richtern dürfe sich nicht fortsetzen; auch war einigen JSC-Mitgliedern der Sarkasmus von Gauntlett nicht richterlich genug. Juristen haben daraufhin nachgezählt: Von 29 ständigen Richtern in der Kap-Provinz sind heute nur noch neun weiß und männlich; eine Berufung Gauntletts hätte an diesem Verhältnis also nur wenig verändert.
Ende September lieferte der Jurist einen weiteren Beleg für seine spitze Feder. Einen Monat zuvor hatten die Staatschefs des südlichen Afrika, die in der Southern African Development Community (SADC) zusammenarbeiten, auf einer Sitzung in Mosambik beschlossen, das SADC-Tribunal in Windhuk, den Gerichtshof für das südliche Afrika, entscheidend zu beschneiden: In Menschenrechtsfragen sollte das Tribunal nicht mehr urteilen dürfen; das individuelle Klagerecht für jede Bürgerin und jeden Bürger in dieser Sache wurde abgeschafft. Gauntlett fragte in einem Vortrag provokativ: „Why was Southern Africa’s ‘House of Justice’ pulled down?“ und rief die internationale Gemeinschaft zum Widerstand auf: “Das Tribunal wird überwiegend von Hilfsgeldern unterstützt, vor allem von Staaten der EU. Es gibt keinen Grund, damit fortzufahren (…). Ich schlage vor, dass diese Konferenz fordert, jede Finanzhilfe für das Tribunal und andere SADC-Organe einzustellen, bis individuelle Klagen wieder möglich sind.“
Das SADC-Tribunal kennt Gauntlett gut: Er war einer der Anwälte von Michael Campbell, dem Farmer aus Simbabwe, der Präsident Mugabe vor dem Tribunal verklagte – und gewann (vgl. unsere Blog-Einträge vom 1. August 2010 und 21. April 2011).
Mangosuthu Buthelezi, der langjährige Vorsitzende der Zulu-Partei Inkatha Freedom Party (IFP), kennt Gauntlett seit 40 Jahren. In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, mitten in der Apartheid-Ära, war Gauntlett Vorsitzender des Studentenrates der Universität Stellenbosch und hatte Buthelezi eingeladen, vor den Studenten dieser burischen Kaderschmiede zu sprechen. Premierminister John Vorster, damals auch Kanzler der Buren-Universität, intervenierte persönlich: Man möge Buthelezi diese prestigeträchtige Plattform nicht geben. Gauntlett aber sagte den Auftritt nicht ab. „Solch Charakter und Unabhängigkeit brauchen wir für einen Richter“, meint Oriani-Ambrosini.
Anfang nächsten Jahres wird wieder ein Richterposten frei in Südafrika: im Constitutional Court, dem Verfassungsgericht. Ende November war die letzte Anhörung der JSC dafür. IFP-Präsident Mangosuthu Buthelezi hat Jeremy Gauntlett für den Posten nominiert. Unterstützt wird die Nominierung von einem bekannten Menschenrechtsanwalt, Sir Sidney Kentridge, und der früheren Anti-Apartheid-Kämpferin und heutigen Geschäftsfrau Mamphele Ramphele.
Gauntlett macht in Südafrika Schlagzeilen: Zum vierten Mal ist er bei der Berufung profilierter Juristen auf hohe Richterstellen übergangen worden. „Soll das bedeuten, dass unser Land keinen Platz für Landeskinder hat, die weiß, klug und nicht zu Kompromissen bereit sind, wenn es um Prinzipien, Effizienz, Werte und Qualität geht?“, fragt in einem Kommentar der justizpolitische Sprecher der Inkatha Freedom Party im Parlament, Mario Oriani-Ambrosini, und sieht „Symptome einer nationalen Tragödie“.
Hohe Richter werden in Südafrika von der unabhängigen Judicial Service Commission (JSC) vorgeschlagen, die Kandidaten öffentlich anhört; offiziell ernannt werden sie dann vom Präsidenten. Bei der Suche nach Richtern für das Verfassungsgericht war Gauntlett zweimal übergangen worden, und in diesem Herbst blieb er ebenfalls zum zweiten Mal für einen Richterposten beim Western Cape High Court unberücksichtigt.
Begründet wurde dies nach Aussagen von Richtern unter Hinweis auf Hautfarbe und Temperament: Die Dominanz weißer Männer unter den Richtern dürfe sich nicht fortsetzen; auch war einigen JSC-Mitgliedern der Sarkasmus von Gauntlett nicht richterlich genug. Juristen haben daraufhin nachgezählt: Von 29 ständigen Richtern in der Kap-Provinz sind heute nur noch neun weiß und männlich; eine Berufung Gauntletts hätte an diesem Verhältnis also nur wenig verändert.
Ende September lieferte der Jurist einen weiteren Beleg für seine spitze Feder. Einen Monat zuvor hatten die Staatschefs des südlichen Afrika, die in der Southern African Development Community (SADC) zusammenarbeiten, auf einer Sitzung in Mosambik beschlossen, das SADC-Tribunal in Windhuk, den Gerichtshof für das südliche Afrika, entscheidend zu beschneiden: In Menschenrechtsfragen sollte das Tribunal nicht mehr urteilen dürfen; das individuelle Klagerecht für jede Bürgerin und jeden Bürger in dieser Sache wurde abgeschafft. Gauntlett fragte in einem Vortrag provokativ: „Why was Southern Africa’s ‘House of Justice’ pulled down?“ und rief die internationale Gemeinschaft zum Widerstand auf: “Das Tribunal wird überwiegend von Hilfsgeldern unterstützt, vor allem von Staaten der EU. Es gibt keinen Grund, damit fortzufahren (…). Ich schlage vor, dass diese Konferenz fordert, jede Finanzhilfe für das Tribunal und andere SADC-Organe einzustellen, bis individuelle Klagen wieder möglich sind.“
Das SADC-Tribunal kennt Gauntlett gut: Er war einer der Anwälte von Michael Campbell, dem Farmer aus Simbabwe, der Präsident Mugabe vor dem Tribunal verklagte – und gewann (vgl. unsere Blog-Einträge vom 1. August 2010 und 21. April 2011).
Mangosuthu Buthelezi, der langjährige Vorsitzende der Zulu-Partei Inkatha Freedom Party (IFP), kennt Gauntlett seit 40 Jahren. In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, mitten in der Apartheid-Ära, war Gauntlett Vorsitzender des Studentenrates der Universität Stellenbosch und hatte Buthelezi eingeladen, vor den Studenten dieser burischen Kaderschmiede zu sprechen. Premierminister John Vorster, damals auch Kanzler der Buren-Universität, intervenierte persönlich: Man möge Buthelezi diese prestigeträchtige Plattform nicht geben. Gauntlett aber sagte den Auftritt nicht ab. „Solch Charakter und Unabhängigkeit brauchen wir für einen Richter“, meint Oriani-Ambrosini.
Anfang nächsten Jahres wird wieder ein Richterposten frei in Südafrika: im Constitutional Court, dem Verfassungsgericht. Ende November war die letzte Anhörung der JSC dafür. IFP-Präsident Mangosuthu Buthelezi hat Jeremy Gauntlett für den Posten nominiert. Unterstützt wird die Nominierung von einem bekannten Menschenrechtsanwalt, Sir Sidney Kentridge, und der früheren Anti-Apartheid-Kämpferin und heutigen Geschäftsfrau Mamphele Ramphele.
Abonnieren
Posts (Atom)