Nach den Minenarbeitern haben in diesen Monaten in Südafrika auch Farmarbeiter in der Kapprovinz gestreikt. Sie forderten ebenfalls eine drastische Erhöhung des Mindestlohns. Die aber kann nach den Gesetzen frühestens im April kommenden Jahres erfolgen. Anfang Dezember wurde nach langen Verhandlungen noch einmal einen Tag gestreikt, seitdem herrscht weitgehend Ruhe. Gelöst wurde keines der Probleme; jetzt sollen für jede Farm gesonderte Lohnverhandlungen folgen. William Dicey, Umweltschützer, Autor und Obstfarmer aus Ceres, findet, dass dieser Streik nur Verlierer hat.
Im Streik der Farmarbeiter gibt es keine Gewinner. Traktorfahrer Michael Daniels starb durch eine Polizeikugel. Saisonarbeiter Bongile Ndleni kam durch die Kugel eines privaten Sicherheitsmitarbeiters ums Leben. Der Farmer Tienie Crous, 81, wäre fast getötet worden, als Streikende ihn bedrängten (seine Hörgerät musste ihm aus der Haut herausgeschnitten werden). Kleinstädte wurden geplündert, Eigentum zerstört. Scheunen und Holzfässer und Traktoren und Weinberge gingen in Flammen auf.
Die Farmer sind nervös und wütend und haben Angst. Manche reden davon, ihre Farm zu verkaufen und auszuwandern. Fest angestellte Farmarbeiter sind ebenso nervös und wütend und haben Angst. Sie können allerdings nicht ihr Bündel schnüren. Sie müssen diesen Sturm abwettern und abwarten, ob sie im April noch einen Job haben werden oder nicht.
Die Streikenden, die ihr Heil im gewalttätigen Protest gesucht haben, sind ebenfalls Verlierer. Sie haben ihren Anteil an Gummikugeln der Polizei abbekommen und ohne Zweifel ein gut Teil Polizeibrutalität. Sie mussten auch mit dem Zorn der Arbeiter leben, die von ihnen so eingeschüchtert worden waren, dass sie zu Hause blieben. Der erste Protesttag mag noch so etwas wie Spaß gemacht haben, aber nach vier Tagen ohne Lohn waren die Leute verzweifelt.
Die Politiker waren klare Verlierer. Helen Zille, Premier der Kap-Provinz, noch die beste unter einem Haufen schlechter - aber nur deshalb, weil sie nicht marktschreierisch aufgesprungen ist. Sie zauderte und ließ Führerstärke vermissen – vermutlich wollte sie sich weder auf die Seite der Farmer noch auf die der Coloured-Arbeiter schlagen, beide traditionel Anhänger der Democratic Alliance. Die Partei-Erklärungen für die Presse konnte man allerdings kaum von denen der Farmer-Verbände wie der Agri SA unterscheiden. Zilles Oppositions-Gegenüber Marius Fransman, Provinz-Chef des ANC, startete ziemlich aggressiv und sagte den Farmern, „Julle gaan kak“ (kak = Scheiße), hielt sich dann aber stärker zurück.
Landwirtschaftsministerin Tina Joemat-Pettersson lieferte eine katastrophale Vorstellung. In einer Rede vor einer großen Gruppe Streikender in De Doorns gratulierte sie ihnen zu ihrem „Sieg“; keiner von ihnen, so sagte sie, werde disziplinär belangt oder angeklagt werden. Schwierig zu sagen, welche dieser beiden Statements bizarrer ist: eine Landwirtschaftsministerin, die Farmarbeitern zu einem illegalen Streik beglückwünscht, bei dem Weinberge niedergebrannt wurden, oder eine Ministerin ohne juristische Zuständigkeit, die Leuten Immunität vor gerichtlicher Verfolgung verspricht, die an einer Orgie von kriminellen Handlungen teilgenommen haben, inklusive der Verbarrikadierung einer Nationalstraße und dem Steinewerfen auf vorbeifahrende Fahrzeuge. Als Sahnehäubchen ihrer Vorstellung kündigte die Ministerin an, dass die Mindestlöhne in der Landwirtschaft binnen zweier Wochen überprüft würden – was schon von der Verfassung her unmöglich ist. (…)
Aber vielleicht bin ich zu hart gegenüber Joemat-Pettersson. Sie ist so ineffizient und wankelmütig, dass es schwierig ist, ihr Vorwürfe zu machen. So etwas von bösartigem Handeln überfordert möglicherweise schon ihre intellektuellen Fähigkeiten. Der Schurke in dem Stück dagegen ist die Verkörperung böswilliger Absicht: Tony Ehrenreich, Cosatus rasiermesser-scharfer Provinzsekretär.
Aber bevor wir Ehrenreichs Rolle beleuchten, muss ich noch einiges zu den Ursachen des Streiks sagen. Viele Aspekte des Streiks sind komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheinen, und sie sind von Region zu Region verschieden. Selbst zum Beispiel ein so einfaches Wort wie „Streikende“ beschreibt nicht immer dasselbe. „Farmarbeiter“ und „Streikende“ und „Demonstranten“ sind genau umschriebene Gruppen von Menschen. In De Doorns überlappen sie sich, nicht so stark aber in Ceres.
Als der Streik Anfang November in De Doorns begann, waren die Demonstranten – das sind die Leute, die Autoreifen verbrannten und Fahrzeuge mit Steinen bewarfen – Farmarbeiter. Es gibt unterschiedliche Angaben darüber, ob diese Demonstranten Saisonarbeiter aus Lesotho waren, deren Arbeitserlaubnis nicht erneuert worden war, oder ob da mehrere Gruppen zusammenkamen. Wie auch immer, es waren verärgerte Saisonarbeiter, die die fest angestellten Farmarbeiter im Tal einschüchterten und zum Mitmachen aufforderten. Ein Freund von mir betreibt eine Farm in De Doorns. Die Arbeiter auf seiner Farm erhielten drohende SMS: „Wir werden Dich holen“, hieß es da in Afrikaans, „wir wissen, auf welcher Weinfarm Du bist“. Mein Freund hat den ganzen Tag eingeschüchterte Arbeiter von einer Ecke seiner Farm in die andere gefahren. Dann hat er ihnen gesagt, sie sollten zu Hause bleiben.
Die Saisonarbeiter in De Doorns hatten vermutlich vernünftige Gründe zu streiken. In den vergangenen ein, zwei Jahrzehnten sind die Gewinnmargen der Farmer im Hex River-Tal bei Tafeltrauben dramatisch geschrumpft (30 Prozent der Farmen im Tal haben in den vergangenen fünf Jahren den Besitzer gewechselt). Viele Farmer haben deshalb verstärkt Saisonarbeiter beschäftigt und ihnen nur den Mindestlohn gezahlt. Es ist schwierig, das gutzuheißen – 69 Rand ist ein erbärmlicher Lohn -, aber ziemlich leicht nachzuvollziehen.
In Wolseley und Ceres (zwei Regionen, über die ich mit einiger Autorität reden kann: Mein Bruder betreibt eine Farm in Wolseley, ich eine in Ceres) ist die Situation ganz anders. Farmer bauen Äpfel an, Birnen und Pflaumen. Trotz einiger Probleme sind die Gewinnspannen hier höher. Das spiegelt sich in den Löhnen wider. Die Farmen um mich herum zahlen ihren am schlechtesten bezahlten Arbeitern alle zwischen 85 Rand und 90 Rand pro Tag. Zusätzlich erhalten Arbeiter einen Zuschlag pro abgeernteten Baum oder pro gepflückten Sack. Das macht übers Jahr gerechnet rund 25 Rand pro Tag. Dazu gibt es noch einen jährlichen Bonus, kostenlosen Transport, einen Zuschuss für Arztbesuche, den kostenlosen Kindergarten und die Zahlung der Schulgebühren. Arbeiter, die auf der Farm leben, zahlen keine Miete, und der Strom wird bezuschusst. Wenn man das alles einberechnet, erhält ein auf der Farm lebender Arbeiter im Durchschnitt 140 Rand am Tag und der nicht auf der Farm lebende Arbeiter 120 Rand. Diejenigen, die sich durch besondere Leistungen auszeichnen, verdienen deutlich mehr, ebenso wie die ausgebildeten Arbeiter wie die Teamleiter, die Menschen in der Verwaltung und die Traktorfahrer.
Vergleichbare Löhne gibt es auf vielen Farmen in Ceres und Wolseley und auch im weiteren Boland. Das ist nicht furchtbar viel Geld, aber da die Arbeitskosten 40 Prozent der Kosten ausmachen, ist das nun mal soviel, wie eine gut geführte Obstfarm vernünftigerweise zahlen kann. Im nationalen Vergleich verdienen 60 Prozent aller Haushalte weniger als das, und daher verleitet dieser Lohn selbst nicht gerade zu gewalttätigem Protest. Aber jetzt kommt eben die Politik ins Spiel.
So abgestimmt und effizient, wie der Streik sich an einem einzigen Tag von De Doorns in 15 andere Städte im Boland ausgebreitet hat, spricht alles für sorgfältige Planung und ausgeklügelte Mobilisierung von Menschen und Ressourcen. Es gibt nur wenig Zweifel, dass der ANC in der Kapprovinz und sein Allianzpartner Cosatu hinter dieser Mobilisierung stecken. In Villersdorp wurde ein Flugblatt mit ANC-Kopf verteilt, und im ganzen Boland gab es Berichte über Einschüchterungen durch Cosatu-Mitglieder (obwohl es im Boland kaum gewerkschaftlich organisierte Farmen gibt). Das würde die Fremden erklären, die nachts am Bahnhof von Wolseley ankamen, und die Busse in Nduli, dem Township außerhalb von Ceres. Ich bin kein Anhänger der reaktionären Politik der DA, aber Pieter van Dalen, ihr landwirtschaftlicher Sprecher, ist der Wahrheit vermutlich ziemlich nahe gekommen, als er den Streik als „letzten Bestandteil in der Kampagne des ANC, die Kapprovinz unregierbar zu machen“, bezeichnete.
Nicht ein einziger Arbeiter auf meiner Farm wollte streiken. Die in Nduli wohnen, erhielten die Botschaft, dass ihre Familien und ihre Häuser bedroht seien, falls sie zur Arbeit gingen. Die Arbeiter auf der Farm wurden in Telefonanrufen und SMS bedroht. Ob diese Drohungen wirklich wahrgemacht worden wären, ist nicht von Belang. Die Arbeiter waren eingeschüchtert und kehrten in ihre Häuser zurück.
Tony Ehrenreich ist im vergangenen Jahr 50 geworden. Ein gefährliches Alter für einen Mann. Ein Alter, in dem er versucht sein könnte, auf sein Leben zurückzublicken und zu fragen, was er bislang erreicht hat, und was noch kommen könnte. Ehrenreich war 2011 Bürgermeister-Kandidat für Kapstadt und von Patricia de Lille vernichtend geschlagen worden. Er ist ganz klar ein ehrgeiziger Mann und mit seinem Job als Provinzsekretär von Cosatu nicht zufrieden, einer Organisation, der er vor mehr als 20 Jahren beigetreten ist.
Ehrenreichs Rolle im Streik kann man nur als schändlich bezeichnen. Anzukündigen, dass ‚Marikana zu den Farmen im Westkap komme’, ist nicht nur extrem unverantwortlich, es ist auch ungeniert opportunistisch. Als Ehrenreich Marikana zum zweiten mal zitierte – auf einem Plakat mit seinem Foto über dem fröhlichen Ausruf „FÜHLE ES!! Marikanas Western Cape ist hier!“ -, reichte die Demokratische Allianz eine Klage wegen Aufrufs zur Gewalt ein. Von Ehrenreich ist auch der Ausspruch überliefert: „Der Streik … könnte die Wiederholung des niedrigschwelligen Bürgerkriegs bedeuten, dessen Zeuge wir alle vor wenigen Wochen auf den Farmen waren.“
Die einzige Schlussfolgerung, die man aus diesen aufwieglerischen Äußerungen ziehen kann, ist die, dass Ehrenreich die Kapprovinz brennen sehen will. Warum? Vermutlich will er seinen politischen Bossen gefallen, und zweifellos will er das Profil schärfen von Tony Ehrenreich Inc., Bürgermeisterkandidat und Retter der Armen. Dabei ist er alles andere als ein Retter der Armen. Eine der traurigen Ironien des Streiks: Die Mehrheit der Demonstranten – jedenfalls in Ceres und Wolseley – waren entweder arbeitslos oder Saisonarbeiter. Hätten sie ihr Ziel, den Mindestlohn auf 150 Rand pro Tag zu steigern, erreicht, hätten sie sich selbst für lange Zeit von einem Arbeitsplatz ausgeschlossen. Ehrenreichs politische Schachfiguren sind genau die Leute, die bei einem erfolgreichen Streik am meisten verloren hätten.
Ehrenreich ist – obwohl es genau andersherum aussieht – auch ein Verlierer des Streiks. Er ist das Opfer von so vielen Hass-Mails, wie ich es in der Blogosphäre noch nie erlebt habe; er hat bei den Arbeitern Hoffnungen geweckt, nur um sie zu enttäuschen, und wenn man Cosatus Verrenkungen in der zweiten Runde des Streiks anschaut, ist er von den Granden des ANC kielgeholt worden. Das Marikana im Nordwesten hat der Wirtschaft solch einen schädlichen Schlag versetzt, dass die Regierung wohl wenig Lust auf eine Wiederholung im Westkap hatte.
Trotz der Tatsache, dass es keine Gewinner gab, war der Streik nicht vollkommen schlecht. Das Aufhetzen und die Einschüchterungen und die Gewalt und die Zerstörungen waren natürlich schlecht. Das zynische Ausnutzen von Tausenden armer Menschen, nur um die Ambitionen einer Handvoll Politiker zu befördern, war gleichfalls schlecht. Aber das Prinzip eines breit angelegten Streiks in der Landwirtschaft hat seine Verdienste. Allzu lange waren die Arbeitsbeziehungen sozusagen der Elefant in der Ecke des Obstgartens. Durch den Streik war es möglich zu reden, etwas Dampf abzulassen und – hoffentlich – etwa zu tun. Mich selbst hat lange umgetrieben, dass die Arbeiter, die auf meiner Farm leben, kostenlos dort wohnen können, während für die außerhalb der Farm das nicht gilt. Durch den Streik suche ich jetzt nach Wegen, wie das Leben außerhalb der Farm unterstützt werden kann. Kommenden April wird der Mindestlohn für Farmarbeiter hoffentlich deutlich erhöht. Das ist sicherlich nicht die Lösung aller ländlichen Übel, aber ausbeuterische Farmer sollten die Hitze spüren. Die meisten von ihnen könnten es sich leisten, mehr zu zahlen. Und die es nicht können, müssten der Tatsache ins Gesicht sehen, dass sie ihre fehlende Wirtschaftlichkeit mit billiger Arbeitskraft vertuschen.
Wenn man die Frage außer acht lässt, wer das Streichholz angezündet hat, bleibt eine Tatsache, dass der Streik sich schnell wie ein Waldbrand ausgebreitet hat. In ländlichen Gebieten herrscht tiefe Unzufriedenheit, und Farmer täten gut daran, darauf zu achten. Die Regierung aber sollte das auch tun. Die Unzufriedenheit – so argumentiere ich – hat mehr zu tun mit Armut, Arbeitslosigkeit und dem Verlust der Aussicht auf ein besseres Leben als mit den Arbeitsbeziehungen auf den Farmen. Dieser Streik war nicht nur ein Streik, das war auch soziale Unruhe.
„Wenn die Ministerin Joemat-Pettersson und Herr Ehrenreich den Farmarbeitern wirklich Gutes tun wollen“, schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Johan Fourie in seinem Blog, „sollten sie sich lieber um ein anderes Erbe der Apartheid sorgen: die miserable Arbeit der Schulen auf dem Lande, vor allem in den Provinzen, aus denen viele der Arbeitsmigranten kommen – und nicht so sehr um die Regierungsarbeit, den Mindestlohn zu ändern.“ Unglücklicherweise jedoch ist – wie Fourie auch ausführt – die Änderung des Mindestlohns viel einfacher, und es verkauft sich auch viel besser.
William Dicey
6. Dezember 2012
Quelle: www.politicsweb.co.za
Im Streik der Farmarbeiter gibt es keine Gewinner. Traktorfahrer Michael Daniels starb durch eine Polizeikugel. Saisonarbeiter Bongile Ndleni kam durch die Kugel eines privaten Sicherheitsmitarbeiters ums Leben. Der Farmer Tienie Crous, 81, wäre fast getötet worden, als Streikende ihn bedrängten (seine Hörgerät musste ihm aus der Haut herausgeschnitten werden). Kleinstädte wurden geplündert, Eigentum zerstört. Scheunen und Holzfässer und Traktoren und Weinberge gingen in Flammen auf.
Die Farmer sind nervös und wütend und haben Angst. Manche reden davon, ihre Farm zu verkaufen und auszuwandern. Fest angestellte Farmarbeiter sind ebenso nervös und wütend und haben Angst. Sie können allerdings nicht ihr Bündel schnüren. Sie müssen diesen Sturm abwettern und abwarten, ob sie im April noch einen Job haben werden oder nicht.
Die Streikenden, die ihr Heil im gewalttätigen Protest gesucht haben, sind ebenfalls Verlierer. Sie haben ihren Anteil an Gummikugeln der Polizei abbekommen und ohne Zweifel ein gut Teil Polizeibrutalität. Sie mussten auch mit dem Zorn der Arbeiter leben, die von ihnen so eingeschüchtert worden waren, dass sie zu Hause blieben. Der erste Protesttag mag noch so etwas wie Spaß gemacht haben, aber nach vier Tagen ohne Lohn waren die Leute verzweifelt.
Die Politiker waren klare Verlierer. Helen Zille, Premier der Kap-Provinz, noch die beste unter einem Haufen schlechter - aber nur deshalb, weil sie nicht marktschreierisch aufgesprungen ist. Sie zauderte und ließ Führerstärke vermissen – vermutlich wollte sie sich weder auf die Seite der Farmer noch auf die der Coloured-Arbeiter schlagen, beide traditionel Anhänger der Democratic Alliance. Die Partei-Erklärungen für die Presse konnte man allerdings kaum von denen der Farmer-Verbände wie der Agri SA unterscheiden. Zilles Oppositions-Gegenüber Marius Fransman, Provinz-Chef des ANC, startete ziemlich aggressiv und sagte den Farmern, „Julle gaan kak“ (kak = Scheiße), hielt sich dann aber stärker zurück.
Landwirtschaftsministerin Tina Joemat-Pettersson lieferte eine katastrophale Vorstellung. In einer Rede vor einer großen Gruppe Streikender in De Doorns gratulierte sie ihnen zu ihrem „Sieg“; keiner von ihnen, so sagte sie, werde disziplinär belangt oder angeklagt werden. Schwierig zu sagen, welche dieser beiden Statements bizarrer ist: eine Landwirtschaftsministerin, die Farmarbeitern zu einem illegalen Streik beglückwünscht, bei dem Weinberge niedergebrannt wurden, oder eine Ministerin ohne juristische Zuständigkeit, die Leuten Immunität vor gerichtlicher Verfolgung verspricht, die an einer Orgie von kriminellen Handlungen teilgenommen haben, inklusive der Verbarrikadierung einer Nationalstraße und dem Steinewerfen auf vorbeifahrende Fahrzeuge. Als Sahnehäubchen ihrer Vorstellung kündigte die Ministerin an, dass die Mindestlöhne in der Landwirtschaft binnen zweier Wochen überprüft würden – was schon von der Verfassung her unmöglich ist. (…)
Aber vielleicht bin ich zu hart gegenüber Joemat-Pettersson. Sie ist so ineffizient und wankelmütig, dass es schwierig ist, ihr Vorwürfe zu machen. So etwas von bösartigem Handeln überfordert möglicherweise schon ihre intellektuellen Fähigkeiten. Der Schurke in dem Stück dagegen ist die Verkörperung böswilliger Absicht: Tony Ehrenreich, Cosatus rasiermesser-scharfer Provinzsekretär.
Aber bevor wir Ehrenreichs Rolle beleuchten, muss ich noch einiges zu den Ursachen des Streiks sagen. Viele Aspekte des Streiks sind komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheinen, und sie sind von Region zu Region verschieden. Selbst zum Beispiel ein so einfaches Wort wie „Streikende“ beschreibt nicht immer dasselbe. „Farmarbeiter“ und „Streikende“ und „Demonstranten“ sind genau umschriebene Gruppen von Menschen. In De Doorns überlappen sie sich, nicht so stark aber in Ceres.
Als der Streik Anfang November in De Doorns begann, waren die Demonstranten – das sind die Leute, die Autoreifen verbrannten und Fahrzeuge mit Steinen bewarfen – Farmarbeiter. Es gibt unterschiedliche Angaben darüber, ob diese Demonstranten Saisonarbeiter aus Lesotho waren, deren Arbeitserlaubnis nicht erneuert worden war, oder ob da mehrere Gruppen zusammenkamen. Wie auch immer, es waren verärgerte Saisonarbeiter, die die fest angestellten Farmarbeiter im Tal einschüchterten und zum Mitmachen aufforderten. Ein Freund von mir betreibt eine Farm in De Doorns. Die Arbeiter auf seiner Farm erhielten drohende SMS: „Wir werden Dich holen“, hieß es da in Afrikaans, „wir wissen, auf welcher Weinfarm Du bist“. Mein Freund hat den ganzen Tag eingeschüchterte Arbeiter von einer Ecke seiner Farm in die andere gefahren. Dann hat er ihnen gesagt, sie sollten zu Hause bleiben.
Die Saisonarbeiter in De Doorns hatten vermutlich vernünftige Gründe zu streiken. In den vergangenen ein, zwei Jahrzehnten sind die Gewinnmargen der Farmer im Hex River-Tal bei Tafeltrauben dramatisch geschrumpft (30 Prozent der Farmen im Tal haben in den vergangenen fünf Jahren den Besitzer gewechselt). Viele Farmer haben deshalb verstärkt Saisonarbeiter beschäftigt und ihnen nur den Mindestlohn gezahlt. Es ist schwierig, das gutzuheißen – 69 Rand ist ein erbärmlicher Lohn -, aber ziemlich leicht nachzuvollziehen.
In Wolseley und Ceres (zwei Regionen, über die ich mit einiger Autorität reden kann: Mein Bruder betreibt eine Farm in Wolseley, ich eine in Ceres) ist die Situation ganz anders. Farmer bauen Äpfel an, Birnen und Pflaumen. Trotz einiger Probleme sind die Gewinnspannen hier höher. Das spiegelt sich in den Löhnen wider. Die Farmen um mich herum zahlen ihren am schlechtesten bezahlten Arbeitern alle zwischen 85 Rand und 90 Rand pro Tag. Zusätzlich erhalten Arbeiter einen Zuschlag pro abgeernteten Baum oder pro gepflückten Sack. Das macht übers Jahr gerechnet rund 25 Rand pro Tag. Dazu gibt es noch einen jährlichen Bonus, kostenlosen Transport, einen Zuschuss für Arztbesuche, den kostenlosen Kindergarten und die Zahlung der Schulgebühren. Arbeiter, die auf der Farm leben, zahlen keine Miete, und der Strom wird bezuschusst. Wenn man das alles einberechnet, erhält ein auf der Farm lebender Arbeiter im Durchschnitt 140 Rand am Tag und der nicht auf der Farm lebende Arbeiter 120 Rand. Diejenigen, die sich durch besondere Leistungen auszeichnen, verdienen deutlich mehr, ebenso wie die ausgebildeten Arbeiter wie die Teamleiter, die Menschen in der Verwaltung und die Traktorfahrer.
Vergleichbare Löhne gibt es auf vielen Farmen in Ceres und Wolseley und auch im weiteren Boland. Das ist nicht furchtbar viel Geld, aber da die Arbeitskosten 40 Prozent der Kosten ausmachen, ist das nun mal soviel, wie eine gut geführte Obstfarm vernünftigerweise zahlen kann. Im nationalen Vergleich verdienen 60 Prozent aller Haushalte weniger als das, und daher verleitet dieser Lohn selbst nicht gerade zu gewalttätigem Protest. Aber jetzt kommt eben die Politik ins Spiel.
So abgestimmt und effizient, wie der Streik sich an einem einzigen Tag von De Doorns in 15 andere Städte im Boland ausgebreitet hat, spricht alles für sorgfältige Planung und ausgeklügelte Mobilisierung von Menschen und Ressourcen. Es gibt nur wenig Zweifel, dass der ANC in der Kapprovinz und sein Allianzpartner Cosatu hinter dieser Mobilisierung stecken. In Villersdorp wurde ein Flugblatt mit ANC-Kopf verteilt, und im ganzen Boland gab es Berichte über Einschüchterungen durch Cosatu-Mitglieder (obwohl es im Boland kaum gewerkschaftlich organisierte Farmen gibt). Das würde die Fremden erklären, die nachts am Bahnhof von Wolseley ankamen, und die Busse in Nduli, dem Township außerhalb von Ceres. Ich bin kein Anhänger der reaktionären Politik der DA, aber Pieter van Dalen, ihr landwirtschaftlicher Sprecher, ist der Wahrheit vermutlich ziemlich nahe gekommen, als er den Streik als „letzten Bestandteil in der Kampagne des ANC, die Kapprovinz unregierbar zu machen“, bezeichnete.
Nicht ein einziger Arbeiter auf meiner Farm wollte streiken. Die in Nduli wohnen, erhielten die Botschaft, dass ihre Familien und ihre Häuser bedroht seien, falls sie zur Arbeit gingen. Die Arbeiter auf der Farm wurden in Telefonanrufen und SMS bedroht. Ob diese Drohungen wirklich wahrgemacht worden wären, ist nicht von Belang. Die Arbeiter waren eingeschüchtert und kehrten in ihre Häuser zurück.
Tony Ehrenreich ist im vergangenen Jahr 50 geworden. Ein gefährliches Alter für einen Mann. Ein Alter, in dem er versucht sein könnte, auf sein Leben zurückzublicken und zu fragen, was er bislang erreicht hat, und was noch kommen könnte. Ehrenreich war 2011 Bürgermeister-Kandidat für Kapstadt und von Patricia de Lille vernichtend geschlagen worden. Er ist ganz klar ein ehrgeiziger Mann und mit seinem Job als Provinzsekretär von Cosatu nicht zufrieden, einer Organisation, der er vor mehr als 20 Jahren beigetreten ist.
Ehrenreichs Rolle im Streik kann man nur als schändlich bezeichnen. Anzukündigen, dass ‚Marikana zu den Farmen im Westkap komme’, ist nicht nur extrem unverantwortlich, es ist auch ungeniert opportunistisch. Als Ehrenreich Marikana zum zweiten mal zitierte – auf einem Plakat mit seinem Foto über dem fröhlichen Ausruf „FÜHLE ES!! Marikanas Western Cape ist hier!“ -, reichte die Demokratische Allianz eine Klage wegen Aufrufs zur Gewalt ein. Von Ehrenreich ist auch der Ausspruch überliefert: „Der Streik … könnte die Wiederholung des niedrigschwelligen Bürgerkriegs bedeuten, dessen Zeuge wir alle vor wenigen Wochen auf den Farmen waren.“
Die einzige Schlussfolgerung, die man aus diesen aufwieglerischen Äußerungen ziehen kann, ist die, dass Ehrenreich die Kapprovinz brennen sehen will. Warum? Vermutlich will er seinen politischen Bossen gefallen, und zweifellos will er das Profil schärfen von Tony Ehrenreich Inc., Bürgermeisterkandidat und Retter der Armen. Dabei ist er alles andere als ein Retter der Armen. Eine der traurigen Ironien des Streiks: Die Mehrheit der Demonstranten – jedenfalls in Ceres und Wolseley – waren entweder arbeitslos oder Saisonarbeiter. Hätten sie ihr Ziel, den Mindestlohn auf 150 Rand pro Tag zu steigern, erreicht, hätten sie sich selbst für lange Zeit von einem Arbeitsplatz ausgeschlossen. Ehrenreichs politische Schachfiguren sind genau die Leute, die bei einem erfolgreichen Streik am meisten verloren hätten.
Ehrenreich ist – obwohl es genau andersherum aussieht – auch ein Verlierer des Streiks. Er ist das Opfer von so vielen Hass-Mails, wie ich es in der Blogosphäre noch nie erlebt habe; er hat bei den Arbeitern Hoffnungen geweckt, nur um sie zu enttäuschen, und wenn man Cosatus Verrenkungen in der zweiten Runde des Streiks anschaut, ist er von den Granden des ANC kielgeholt worden. Das Marikana im Nordwesten hat der Wirtschaft solch einen schädlichen Schlag versetzt, dass die Regierung wohl wenig Lust auf eine Wiederholung im Westkap hatte.
Trotz der Tatsache, dass es keine Gewinner gab, war der Streik nicht vollkommen schlecht. Das Aufhetzen und die Einschüchterungen und die Gewalt und die Zerstörungen waren natürlich schlecht. Das zynische Ausnutzen von Tausenden armer Menschen, nur um die Ambitionen einer Handvoll Politiker zu befördern, war gleichfalls schlecht. Aber das Prinzip eines breit angelegten Streiks in der Landwirtschaft hat seine Verdienste. Allzu lange waren die Arbeitsbeziehungen sozusagen der Elefant in der Ecke des Obstgartens. Durch den Streik war es möglich zu reden, etwas Dampf abzulassen und – hoffentlich – etwa zu tun. Mich selbst hat lange umgetrieben, dass die Arbeiter, die auf meiner Farm leben, kostenlos dort wohnen können, während für die außerhalb der Farm das nicht gilt. Durch den Streik suche ich jetzt nach Wegen, wie das Leben außerhalb der Farm unterstützt werden kann. Kommenden April wird der Mindestlohn für Farmarbeiter hoffentlich deutlich erhöht. Das ist sicherlich nicht die Lösung aller ländlichen Übel, aber ausbeuterische Farmer sollten die Hitze spüren. Die meisten von ihnen könnten es sich leisten, mehr zu zahlen. Und die es nicht können, müssten der Tatsache ins Gesicht sehen, dass sie ihre fehlende Wirtschaftlichkeit mit billiger Arbeitskraft vertuschen.
Wenn man die Frage außer acht lässt, wer das Streichholz angezündet hat, bleibt eine Tatsache, dass der Streik sich schnell wie ein Waldbrand ausgebreitet hat. In ländlichen Gebieten herrscht tiefe Unzufriedenheit, und Farmer täten gut daran, darauf zu achten. Die Regierung aber sollte das auch tun. Die Unzufriedenheit – so argumentiere ich – hat mehr zu tun mit Armut, Arbeitslosigkeit und dem Verlust der Aussicht auf ein besseres Leben als mit den Arbeitsbeziehungen auf den Farmen. Dieser Streik war nicht nur ein Streik, das war auch soziale Unruhe.
„Wenn die Ministerin Joemat-Pettersson und Herr Ehrenreich den Farmarbeitern wirklich Gutes tun wollen“, schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Johan Fourie in seinem Blog, „sollten sie sich lieber um ein anderes Erbe der Apartheid sorgen: die miserable Arbeit der Schulen auf dem Lande, vor allem in den Provinzen, aus denen viele der Arbeitsmigranten kommen – und nicht so sehr um die Regierungsarbeit, den Mindestlohn zu ändern.“ Unglücklicherweise jedoch ist – wie Fourie auch ausführt – die Änderung des Mindestlohns viel einfacher, und es verkauft sich auch viel besser.
William Dicey
6. Dezember 2012
Quelle: www.politicsweb.co.za
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