Sonntag, 14. Mai 2017

Kann Südafrika Bahn?



„Denken Sie daran, dass Südafrika vieles gut kann – der öffentliche Nahverkehr allerdings gehört nicht dazu“, heißt es in einer Broschüre über das schöne Riebeek-Tal nördlich von Kapstadt. Also einen Leihwagen nehmen, um dort hinzukommen. Erste Station ist Tulbagh. Die Kleinstadt war 1969 von einem Erdbeben erschüttert; 70 % der Häuser, auch das schöne Ensemble der „Church Street“, wurden damals beschädigt. Heute gibt es dort, in Haus Nr. 4, ein Museum. Calvin S. van Wyk, der Kurator, überrascht mit Auskünften in fließendem Deutsch, mehr noch aber mit der Aussage, dass er in Kapstadt wohnt und mit dem Zug pendelt. Mit dem Zug, wirklich mit dem Zug? „Ja“, bestätigt später ein jüngerer Mann auf der Hauptstraße, „das geht, ich habe es fünf Jahre lang gemacht. Und teuer war es auch nicht.“
Wo aber ist der Bahnhof? Einfach zu finden, man fährt, na klar, die „Stationsstraße“ lang, mehrere Kilometer. Und dann die nächste Überraschung: Aus der Ferne ist ein Zug zu sehen. Ein Zug! Leider hält er nicht, und noch ist ein Kilometer zu fahren. Doch dann: noch ein Zug, aus der Gegenrichtung! Und was für einer, es ist der berühmte Shosholoza Meyl, aber ach, auch er hält nicht.
Endlich an der Station angekommen, wird klar, warum. Einen Bahnhof gibt es eigentlich nicht, nur noch einen Fußgängerübergang und Reste eines Bahnsteigs. Dazu fünf geparkte Autos – das sind offensichtlich die Pendler. Das Bahnhofsgebäude ist ein Opfer des Vandalismus und gnädig abgerissen worden, erzählt Frau Erasmus, die gegenüber dem Bahnhof wohnt. Auch sie bestätigt, dass man mit dem Zug fahren kann; es gebe viel mehr Pendler, als die fünf Autos signalisierten - die kämen frühmorgens mit dem Taxi und stiegen dann um 5.30 Uhr in den Zug. Am Samstag seien es manchmal sogar noch mehr. Abends bringt sie dann ein weiterer Zug zurück. Die anderen führen hier nur durch; auch der sagenhafte „Blue Train“, ein Luxus-Zug, komme manchmal vorbei.
Weiter geht es entlang der Bahnstrecke, die bald wieder eingleisig ist; die beiden Züge, die wir gesehen haben, mussten sich also in Tulbagh begegnen. 14 km westlich liegt Gouda, hier führt der „Station“-Weg am Ortseingang gleich zum Bahnhof. Auch hier ein ähnliches Bild: kein Bahnhofsgebäude, nur ein paar Sitzflächen und die gleiche Art Fußgängerbrücke, nur etwas rostiger. Ansonsten Plastikflaschen, Glassplitter, Kronkorken. Und ein Ortsschild „Gouda“, gleich sechs davon gibt es auf dem übersichtlichen Gelände.
Immerhin hat dieser Bahnhof, so kann man nachlesen, ein wenig Eisenbahngeschichte geschrieben. Die Bürger dieser kleinen Stadt haben nämlich mit vielen Eingaben dafür gekämpft, dass die für die Sicherheit auf den Schienenwegen verantwortliche Behörde den Bahnhof am 24. August 2015 geschlossen hat: keine Toiletten, ungenügende Beleuchtung und Züge, die länger sind als der real existierende Bahnsteig. PRASA, das für den Transport von Menschen verantwortliche Unternehmen, hatte daraufhin durch seinen Pressesprecher Sitho Sithole angekündigt, im Januar eine neue Plattform zu bauen. Passiert aber ist offenbar nichts.
Aber dann bewegt sich auf einmal etwas. Aus einem nahegelegenen Haus kommt ein Mann, auf dem Anorak das Logo der Municipal Workers‘-Gewerkschaft (SAMWU), der Interessenvertretung der Arbeiter im öffentlichen Dienst. Einer ziemlich großen Gewerkschaft. „Heute Abend“, sagt er, „wird es eine Sitzung des Stadtrates geben, da geht es um die Zukunft des Bahnhofes“. Derzeit werden die Pendler mit dem Bus nach Wellington gebracht, was mit vielen Unbequemlichkeiten verbunden ist und immerhin 414,84 Rand im Monat kostet, wie eine Anfrage im Parlament ergeben hat.
Voelvlei ist die nächste Station, wiederum ohne Schild, ein verlassenes Gelände, hier hält ganz bestimmt kein Zug. Rechts von der Bahn war ein Wehrturm aus dem angloburischen Krieg zu sehen, im Museum in Tulbagh hatte es geheißen, dass diese massiven Steingebäude auch errichtet worden waren, um die Bahnlinie zu schützen. Sie war schon 1876 fertiggestellt wurden, also fast ein Vierteljahrhundert vor dem bitteren Krieg.
Der nächste Bahnhof liegt in Hermon: ein verblasstes Schild, drei Wartehäuschen und ein eingezäuntes ehemaliges Bahnhofsgebäude – das ist die besterhaltene Station. Hermon war sogar ein kleiner Verkehrsknotenpunkt, denn von hier geht eine Zweigstrecke nach Porterville ab, vorbei an Riebeek West und Riebeek Kasteel.
Die Bahn hatte einst große wirtschaftliche Bedeutung für die landwirtschaftlich intensiv genutzte Region. 300 Ochsenwagen sollen Ware nach Hermon gebracht haben, wenn der Zug kam. Heute donnern ganze Kolonnen von Lastwagen die neben der Bahn liegende Straße entlang. Ein „Boland Blitz“ - so, man fasst es nicht, heißt der Pendlerzug nach Kapstadt - ist aber nirgends zu sehen. Er fährt ja auch nur jeden Tag einmal in jede Richtung. Und dann ist es um diese Jahreszeit noch oder schon wieder dunkel.
Doch jetzt hat der Präsident versprochen, dass wieder alles besser werden soll. Jacob Zuma, der derzeit genau überlegen muss, wo er auftritt, da er Gefahr läuft, auch von den eigenen Leuten ausgebuht zu werden, hat ein auf 20 Jahre angelegtes Modernisierungsprogramm versprochen, Rundumreparaturen und neue Züge. Sipho Sithole, inzwischen zum Strategiechef von PRASA aufgestiegen, hat im Verkehrsausschuss des Parlaments sogar angekündigt, dass das Unternehmen innerhalb eines Jahres von rot auf grün umgesteuert würde. „Turn around“ ist eine beliebte Formulierung, wenn es um die defizitären und wenig kundenfreundlichen parastaatlichen Unternehmen geht. „Wolkenkuckucksheim“ hat die Opposition auch diesmal gespottet. In Gouda wird man vermutlich ähnlich denken.

Handwerker



Wer sich selbst viel zutraut und nur Hilfskräfte braucht, kann am Straßenrand jemanden anheuern. An strategischen Stellen sitzen oder stehen Männer, die mit Malerrolle oder Motorsäge signalisieren, was sie können. Wer am frühen Morgen nicht mitgenommen wird, versucht es dennoch weiter. Nicht wenige sind aus Südafrikas Nachbarländern und oft gut gebildet. Man kann ihnen nur wünschen, dass sie am nächsten Tag mehr Glück haben.
Wer nicht viel Geld hat oder ausgeben möchte, kann sich umhören und informelle Handwerker anheuern, zum Fliesenlegen z.B. Da diese kein Kapital und oft auch kein „Bakkie“ für den Transport haben, muss man dann selbst Fliesen holen und für den Tag eine Schneidemaschine ausleihen. So kann man preiswert zu einem neuen Fußbodenbelag kommen, man kann aber auch Überraschungen erleben. Das freundliche Angebot, die Arbeit am Wochenende zu erledigen, wird, einmal angenommen, nachträglich mit der Forderung nach einem „Sonntagszuschlag“ verbunden. Südafrikas moderne Arbeitsgesetze sind auch im township bekannt. Ruft man die bekannte Nummer an, weil nachgearbeitet werden muss, wird erst „first thing in the morning“ versprochen und dann das Gespräch in den nächsten Tagen einfach nicht mehr angenommen. Auf Nimmerwiedersehen.
Solider wird es, wenn man eine der kleinen, selbständigen Handwerker anheuert, ebenfalls nach Empfehlung. Das sind in Kapstadt oft „Coloureds“, eine Bevölkerungsgruppe, die eine lange Tradition in vielen handwerklichen Berufen hat.  Oft leisten sie gute Arbeit – und machen im Gespräch ihrem Ärger darüber Luft, dass die ANC-Regierung nun einseitig Schwarze bevorzugt und ihre Kinder auf einen Job im Staatsdienst kaum eine Chance haben.
Heuert man einen Handwerksbetrieb mit einem europäischen Namen an, kann man ganz unterschiedliche Dinge erleben. Manche beschränken sich darauf, ihre meist angelernten Mitarbeiter zu beaufsichtigen, andere arbeiten selbst mit oder allein. Zum Beschneiden eines alten, wilden Olivenbaums kommen sechs Mann: der (weiße) Chef steht am Rand und raucht, während fünf schwarze Männer aus dem „Eastern Cape“, alle miteinander verwandt, den schweren Ästen mit geradezu artistischem Geschick zu Leibe rücken und sie gleich in Kaminholzstücke zerlegen.
Und schließlich gibt es auch Generalunternehmer oder Handwerksbetriebe, die ein ausgefeiltes Angebot in Form einer Excel-Tabelle vorlegen und gleich mehrere Baustellen bewirtschaften. Smartphones erleichtern dann die Kommunikation mit den Mitarbeitern. Der Unternehmer hat einiges an Logistik zu bewältigen; die Arbeiter aus den townships haben lange Wege zur Arbeit, die oft mit Unwägbarkeiten verbunden sind, auch das Bakkie des Chefs muss dann durch den dicken Morgenverkehr. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben mit Widrigkeiten eines in vielerlei Hinsicht immer noch gespaltenen Landes zu kämpfen. Ein Chef, der ein gutes Team bilden kann, beeindruckt deshalb genauso wie ein Fliesenleger, der schon relativ früh in der Stadt ist, sich über die auf der Baustelle verordnete Zwangspause (kein Lärm!) ärgert und erst den weiten Weg nach Hause antritt, wenn es dunkel wird.

Montag, 1. Mai 2017

Streik bei SAA



Vergangenen Mittwoch ging auf O.R. Tambo, dem Flughafen von Johannesburg, nicht mehr viel; 50 Flüge wurden gestrichen. Wer z.B. nach Kapstadt wollte, wurde immer wieder vertröstet; am Ende brachte eine Maschine von British Airways wenigstens einige der zunehmend wütenden Passagiere ans Kap.
Die Maschinen der „South African Airways“ (SAA) blieben am Boden, weil das Kabinenpersonal streikte. Ihre Forderung: 170 US-Dollar Essensgeld pro Tag bei Auslandsflügen. 170 Dollar für Frühstück, Mittagessen, Abendbrot und vielleicht einen Kaffee zwischendurch.
Wirklich? Der Versuch, diese hübsche Summe elektronisch zu verifizieren, fördert Erstaunliches zu Tage. Einige Medien, u.a. die „African News Agency“ (ANA), beziffern die Forderung der Streikenden mit 170 Rand – weder der sehr hohe noch der sehr niedrige Betrag scheinen irgendjemandem aufgefallen zu sein.
Doch die „SA Airways Cabin Crew Association“ (SACCA), die nach eigenen Angaben drei Viertel des Kabinenpersonals vertritt, fordert tatsächlich 170 US-Dollar. Die Mitarbeiter bekämen bisher nur 131 US-Dollar am Tag, und seit sechs Jahren sei dieser Betrag nicht mehr angehoben worden. Zur Begründung ihrer Forderung verweisen sie auf die Piloten, die mehr, eben 170 Dollar, bekämen, und auf eine New Yorker Beraterfirma, die 59 Millionen Dollar für ein halbes Jahr Arbeit kassiert habe, um die defizitäre und schlecht geführte Fluggesellschaft wieder auf einen soliden Kurs zu bringen.
„Sie vergleichen sich eben mit den Piloten“, sagt Tlali Tlali, der Sprecher von SAA, im „Cape Talk“-Radio. Das zeugt von sympathischem Selbstbewusstsein, denn schließlich kosten Hühnchen oder Rindfleisch im Ausland für alle gleich viel. Andererseits aber überschreitet diese Forderung für viele Südafrikaner doch die Grenzen des guten Geschmacks, denn wer gibt am Tag schon derart viel für Speis und Trank aus. Viele Landsleute müssen mit diesem Betrag einen ganzen Monat auskommen
Der Luftfahrtexperte Guy Leitch versteht gut, dass der südafrikanische Normalbürger die Forderung des Kabinenpersonals als unangemessen kritisiert, verweist aber darauf, dass die Stewardessen und Stewards mit dem Essensgeld ihre Gehälter aufstocken. Dem pflichtet auch die Gewerkschaft der Metallarbeiter (NUMSA) bei, die ihre Solidarität mit den Streikenden erklärte.
Mathew Kleinhans, Sprecher der SACCA, sagt das im Interview mit Pelane Phakgadi von „Eye Witness News“  ganz offen: „Wir brauchen die Zulage, um unsere Gehälter aufzustocken, die sind nämlich erbärmlich niedrig. Nur wenn ich das Essensgeld dazu nehme, kann ich überhaupt an so etwas wie eine Hypothek denken. Andernfalls lacht die Bank mich aus.“  Damit spricht er an, wie schwer es für viele Südafrikanerinnen und Südafrikaner ist, ein Mittelschichtleben zu finanzieren. Verglichen mit den anderen Fluggesellschaften seien die SAA-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter aber nicht schlecht gestellt, relativiert wiederum Guy Leitch im „Cape Talk“. 
In den unterschiedlichen Perspektiven auf den geforderten Betrag zeigen sich die Dilemmata eines Schwellenlandes. Während die einen ordentlich, oft gut bezahlte (Arbeits-)Plätze im formalen Sektor mit seinen Arbeitnehmerrechten gefunden haben, müssen die anderen von bescheidenen staatlichen Transferleistungen oder ganz ohne Einkommen leben, sich als Tagelöhner am Straßenrand anbieten.    
SAA hat noch am Mittwoch eine einstweilige Anordnung gegen den Streik erwirkt. Damit ist erst einmal Zeit gewonnen für Verhandlungen und Schlichtungsverfahren. Ausgestanden ist der Streit um das Essensgeld aber nicht. Die Gewerkschaftsvorsitzende Zazi Nsibanyoni-Anyiam hat bereits angekündigt, dass wieder gestreikt würde, wenn die Arbeitsbedingungen nicht verbessert und nicht mehr fürs Essen im Ausland gezahlt würde.
Der Streik hat wieder einmal offengelegt, dass bei SAA vieles nicht stimmt. Das hat Dudu Myeni zu verantworten, die Vorsitzende des Aufsichtsrats. Sie habe das Unternehmen gegen die Wand gefahren und herrsche eher wie ein „corporate warlord“, sagt Alf Lees von der Oppositionspartei „Democratic Alliance“ der Nachrichtenagentur ANA.  Alle Versuche, sie zur Rechenschaft zu ziehen oder abzuberufen, sind daran gescheitert, dass Myeni eine enge Vertraute von „No. 1“ ist, von Südafrikas Präsident Jacob Zuma.