„Denken Sie daran, dass Südafrika vieles gut kann – der
öffentliche Nahverkehr allerdings gehört nicht dazu“, heißt es in einer
Broschüre über das schöne Riebeek-Tal nördlich von Kapstadt. Also einen
Leihwagen nehmen, um dort hinzukommen. Erste Station ist Tulbagh. Die
Kleinstadt war 1969 von einem Erdbeben erschüttert; 70 % der Häuser, auch das
schöne Ensemble der „Church Street“, wurden damals beschädigt. Heute gibt es
dort, in Haus Nr. 4, ein Museum. Calvin S. van Wyk, der Kurator, überrascht mit
Auskünften in fließendem Deutsch, mehr noch aber mit der Aussage, dass er in
Kapstadt wohnt und mit dem Zug pendelt. Mit dem Zug, wirklich mit dem Zug? „Ja“,
bestätigt später ein jüngerer Mann auf der Hauptstraße, „das geht, ich habe es
fünf Jahre lang gemacht. Und teuer war es auch nicht.“
Wo aber ist der Bahnhof? Einfach zu finden, man fährt, na
klar, die „Stationsstraße“ lang, mehrere Kilometer. Und dann die nächste
Überraschung: Aus der Ferne ist ein Zug zu sehen. Ein Zug! Leider hält er
nicht, und noch ist ein Kilometer zu fahren. Doch dann: noch ein Zug, aus der
Gegenrichtung! Und was für einer, es ist der berühmte Shosholoza Meyl, aber
ach, auch er hält nicht.
Endlich an der Station angekommen, wird klar, warum. Einen
Bahnhof gibt es eigentlich nicht, nur noch einen Fußgängerübergang und Reste
eines Bahnsteigs. Dazu fünf geparkte Autos – das sind offensichtlich die
Pendler. Das Bahnhofsgebäude ist ein Opfer des Vandalismus und gnädig
abgerissen worden, erzählt Frau Erasmus, die gegenüber dem Bahnhof wohnt. Auch
sie bestätigt, dass man mit dem Zug fahren kann; es gebe viel mehr Pendler, als
die fünf Autos signalisierten - die kämen frühmorgens mit dem Taxi und stiegen
dann um 5.30 Uhr in den Zug. Am Samstag seien es manchmal sogar noch mehr. Abends
bringt sie dann ein weiterer Zug zurück. Die anderen führen hier nur durch;
auch der sagenhafte „Blue Train“, ein Luxus-Zug, komme manchmal vorbei.
Weiter geht es entlang der Bahnstrecke, die bald wieder
eingleisig ist; die beiden Züge, die wir gesehen haben, mussten sich also in
Tulbagh begegnen. 14 km westlich liegt Gouda, hier führt der „Station“-Weg am
Ortseingang gleich zum Bahnhof. Auch hier ein ähnliches Bild: kein
Bahnhofsgebäude, nur ein paar Sitzflächen und die gleiche Art Fußgängerbrücke,
nur etwas rostiger. Ansonsten Plastikflaschen, Glassplitter, Kronkorken. Und
ein Ortsschild „Gouda“, gleich sechs davon gibt es auf dem übersichtlichen
Gelände.
Immerhin hat dieser Bahnhof, so kann man nachlesen, ein
wenig Eisenbahngeschichte geschrieben. Die Bürger dieser kleinen Stadt haben
nämlich mit vielen Eingaben dafür gekämpft, dass die für die Sicherheit auf den
Schienenwegen verantwortliche Behörde den Bahnhof am 24. August 2015
geschlossen hat: keine Toiletten, ungenügende Beleuchtung und Züge, die länger
sind als der real existierende Bahnsteig. PRASA, das für den Transport von
Menschen verantwortliche Unternehmen, hatte daraufhin durch seinen
Pressesprecher Sitho Sithole angekündigt, im Januar eine neue Plattform zu
bauen. Passiert aber ist offenbar nichts.
Aber dann bewegt sich auf einmal etwas. Aus einem
nahegelegenen Haus kommt ein Mann, auf dem Anorak das Logo der Municipal
Workers‘-Gewerkschaft (SAMWU), der Interessenvertretung der Arbeiter im
öffentlichen Dienst. Einer ziemlich großen Gewerkschaft. „Heute Abend“, sagt
er, „wird es eine Sitzung des Stadtrates geben, da geht es um die Zukunft des
Bahnhofes“. Derzeit werden die Pendler mit dem Bus nach Wellington gebracht,
was mit vielen Unbequemlichkeiten verbunden ist und immerhin 414,84 Rand im
Monat kostet, wie eine Anfrage im Parlament ergeben hat.
Voelvlei ist die nächste Station, wiederum ohne Schild, ein
verlassenes Gelände, hier hält ganz bestimmt kein Zug. Rechts von der Bahn war
ein Wehrturm aus dem angloburischen Krieg zu sehen, im Museum in Tulbagh hatte
es geheißen, dass diese massiven Steingebäude auch errichtet worden waren, um
die Bahnlinie zu schützen. Sie war schon 1876 fertiggestellt wurden, also fast
ein Vierteljahrhundert vor dem bitteren Krieg.
Der nächste Bahnhof liegt in Hermon: ein verblasstes Schild,
drei Wartehäuschen und ein eingezäuntes ehemaliges Bahnhofsgebäude – das ist
die besterhaltene Station. Hermon war sogar ein kleiner Verkehrsknotenpunkt,
denn von hier geht eine Zweigstrecke nach Porterville ab, vorbei an Riebeek
West und Riebeek Kasteel.
Die Bahn hatte einst große wirtschaftliche Bedeutung für die
landwirtschaftlich intensiv genutzte Region. 300 Ochsenwagen sollen Ware nach
Hermon gebracht haben, wenn der Zug kam. Heute donnern ganze Kolonnen von
Lastwagen die neben der Bahn liegende Straße entlang. Ein „Boland Blitz“ - so,
man fasst es nicht, heißt der Pendlerzug nach Kapstadt - ist aber nirgends zu
sehen. Er fährt ja auch nur jeden Tag einmal in jede Richtung. Und dann ist es
um diese Jahreszeit noch oder schon wieder dunkel.
Doch jetzt hat der Präsident versprochen, dass wieder alles
besser werden soll. Jacob Zuma, der derzeit genau überlegen muss, wo er
auftritt, da er Gefahr läuft, auch von den eigenen Leuten ausgebuht zu werden,
hat ein auf 20 Jahre angelegtes Modernisierungsprogramm versprochen,
Rundumreparaturen und neue Züge. Sipho Sithole, inzwischen zum Strategiechef
von PRASA aufgestiegen, hat im Verkehrsausschuss des Parlaments sogar
angekündigt, dass das Unternehmen innerhalb eines Jahres von rot auf grün
umgesteuert würde. „Turn around“ ist eine beliebte Formulierung, wenn es um die
defizitären und wenig kundenfreundlichen parastaatlichen Unternehmen geht. „Wolkenkuckucksheim“
hat die Opposition auch diesmal gespottet. In Gouda wird man vermutlich ähnlich denken.
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