Montag, 31. August 2020

Gar nicht verrückt

Hendrik Verwoerd - das ist ein Name, der bei den meisten Südafrikanern noch heute Bitterkeit hervorruft: Er gilt als „Architekt“ der Apartheid, war von 1950 bis zu seinem gewaltsamen Tod 1966 ihr knallharter Propagandist. Seine Ermordung im Parlament sorgte für Schlagzeilen in aller Welt, bis heute wird die Tat einem „geisteskranken“ Parlamentsangestellten zugeschrieben.

Doch Dimitri Tsafendas wusste genau, was er tat. Das kann man jetzt in einer faszinierenden Biographie nachlesen. Er war bei klarem Verstand und hatte auch ein Motiv: seine Gegnerschaft zur Apartheidpolitik, seine Ablehnung von Rassismus und Kolonialismus. Sein Vater, ein griechischer Anarchist, war im Zweiten Weltkrieg nach Mosambik gekommen. Er beugte sich aber der damaligen Konvention und heiratete nicht seine schwangere mosambikanische Hausangestellte, sondern die von der Familie ausgesuchte Griechin, in deren Familie das Stiefkind freundlich aufgenommen wurde.

Dimitri entwickelte sich zu einem belesenen und wachen jungen Mann, der Vater kümmerte sich um Lektüre und politische Bildung. „Befreiung“ wird sein Lebensziel, er hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg, gilt als „Roter“, die portugiesischen Börden stufen ihn als Kommunist ein. 1937 legt die portugiesische Geheimpolizei (PIDE) eine Akte über Tsafendas an, die bis 1966 auf 130 Seiten anwächst. Als er Mosambik 1939 verlässt, kann er 24 Jahre nicht zurückkehren.

Als Staatenloser kommt Tsafendas weit in der Welt herum. Er findet Arbeit und Freunde, wird aber auch immer wieder aufgegriffen und inhaftiert. Dass man einem Gefängnis entkommen kann, wenn man sich merkwürdig verhält, hat er schnell begriffen und nutzt es immer wieder. Von einem irischen Seemann lernt er, dass es nützlich sein kann, so zu tun, als habe man einen Bandwurm. Immer wieder ist ein Krankenhaus, meist ein psychiatrisches, sein Refugium, in Hamburg z.B. lebt er 1955 mehrere Monate im Krankenhaus Ochsenzoll.

Mit seinen Ansichten hält Dimitri nicht hinter dem Berg, Nazismus, Kolonialismus, Rassismus attackiert er scharf und bei jeder Gelegenheit, er bezeichnet sich selbst als Kommunist. Von Mosambik aus gelingt es ihm schließlich, sich 1965 nach Durban einzuschiffen, wo er Arbeit als Gerichtsübersetzer findet, u.a. durch eine Empfehlung eines griechischen Freundes seines Vaters, der nichts von den politischen Ansichten des Sohnes weiß. Das Schreiben des Mannes, der Mitglied und Förderer der regierenden Nationalpartei (NP) ist, hilft Tsafendas 1966 dabei, eine Anstellung als Parlamentsbote zu finden. Damit ergibt sich die Gelegenheit, den verhasstesten Mann in Südafrika umzubringen und damit einen Wandel einzuleiten, Tsafendas sieht das als seine Pflicht an. Er besorgt sich ein Messer und sticht dann am 6. September 1966 zu.

In den nun folgenden Verhören macht er aus seiner politischen Motivation kein Hehl. Genau das aber beunruhigt General van den Bergh, den Sicherheitschef, zutiefst. Wie hatte der Mann überhaupt einreisen können? Welche Sicherheitslücke hatte es ihm ermöglicht, den Job im Parlament und damit Verwoerd nahe zu kommen? Henrik van den Bergh lässt gründlich recherchieren, erstaunlich umfassend, wenn man in Rechnung stellt, dass man noch persönliche Gespräche führen oder per Telegramm oder Telefon anfragen musste.  

Was da zusammengetragen wurde, so van den Bergh, darf nicht öffentlich werden, einen politischen Überzeugungstäter kann das Regime auf keinen Fall gebrauchen. Ein durchgeknallter Täter ohne Motiv würde die Regierung besser aussehen lassen.

Tsafendas wird brutal gefoltert, Tag für Tag. Um das nicht länger ertragen zu müssen, greift er nach knapp drei Wochen auf die erprobte List zurück, verhält sich – sehr gezielt und sehr geschickt – merkwürdig, spricht wieder vom Bandwurm. Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaft kommt das sehr gelegen, die zuvor gemachten, glasklaren Aussagen Tsafendas gegenüber der Polizei verschwinden im Archiv. Auch die sorgsam zusammengestellte Verteidigung arbeitet mit daran, Tsafendas als schizophrenen Verrückten darzustellen.

Damit beginnt ein subtiler Prozess der Manipulation der Öffentlichkeit und des Gerichtsverfahrens. Ein vorgetäuschtes rechtsstaatliches Verfahren in der angelsächsischen Tradition, das, so der Autor, doch eher einem sowjetischen Showtribunal glich.

Als „Verrückter“ konnte Tsafendas nicht verurteilt werden, kommt aber nicht in eine psychiatrische Einrichtung, der Richter schickt ihn ins Gefängnis. Dort wird er 23 Jahre in Isolationsheft gehalten und jahraus/jahrein Jahre weiter gedemütigt und gefoltert, die Wachen leben dabei auch ihren Hass auf den Mörder ihres Idols aus. Er lebt erst auf, als er Ende 1993 nach einem Schlaganfall in ein Gefängniskrankenhaus verlegt und anständig behandelt wird, er freundet sich mit Mitgefangenen an, bekommt ein Radio und ab und zu Besuch, z.B. von griechischen Priestern und ehemaligen Mitgefangenen.

Nach den Wahlen von 1994 besucht ihn der Rechtsanwalt Jody Kollapen, der sich für seine Rehabilitierung/Freilassung einsetzt. Doch die neue Regierung ist ängstlich, will mitten in der Versöhnungspolitik nicht provozieren, fürchtet, dass Tsafendas Ziel eines Anschlags werden könnte. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission selbst hat andere Prioritäten.

Tsafendas wird nicht freigelassen, aber in ein psychiatrisches Krankenhaus verlegt, das miserabel ausgestattet ist und in dem der lange so wache Mann zunehmend verfällt. Jody Kollapen bemüht sich, ihn in die Obhut seiner Familie oder einer Einrichtung der griechischen Gemeinde zu entlassen, hat aber keinen Erfolg. Am Ende stirbt Tsafendas am 7. Oktober 1999 im Alter von 81 Jahren in dem ungeliebten Heim in Sterkfontein.

Immerhin hat er seine Geschichte noch erzählen können. Die Filmemacherin Liza Key macht schließlich auch Tsafendas Aussagen gegenüber der Polizei im Nationalarchiv ausfindig, die bestätigen, dass er bei klarem Verstand war und ein gut begründetes Motiv hatte, den Architekten der Apartheid umzubringen.  Wie intensiv er sich mit der damit verbundenen Schuld auseinandergesetzt hat, zeigt sich am Ende in seiner Eischätzung der Wahrheits- und Versöhnungskommission. Amnestie für Täter im Namen der Apartheid – für ihn grotesk. Amnestie für Gewalttaten im Kampf gegen die Apartheid – für den Tyrannenmörder nicht akzeptabel.      

Harris Dousemetzis hat die Geschichte von Südafrikas am längsten inhaftierten politischen Gefangenen in mühevoller Kleinarbeit zehn Jahre lang recherchiert und zunächst ein umfangreiches Dossier für den südafrikanischen Justizminister erarbeitet. Fünf namhafte Juristen, darunter Jody Kollapen und George Bizos, Anwalt und Freund Nelson Mandelas, haben die Arbeit und das Anliegen, das Bild von Tsafendas zu korrigieren, mitgetragen. Man kann das Dokument (2193 Seiten!) auf der web-Seite www.sahistory.org.za nachlesen. Die Kommunistische Partei Südafrikas (SACP) nahm Tsafendas posthum wieder als Mitglied auf, aber sonst ist offenbar nicht viel passiert. Der Attentäter hat immer noch keinen Grab-/Gedenkstein bekommen.

Damit Dimitri Tsafendas endlich den Platz in der Öffentlichkeit und in den zukünftigen Geschichtsbüchern bekommt, den er verdiene, hat Harris Dousemetzis dann noch ein dickes Buch geschrieben. Der britisch-griechische Akademiker (Universität Newcastle) hat dafür den Journalisten Garry Loughran als Ko-Autor gewonnen. So ist aus der gründlichen und deshalb kleinteiligen Recherche ein spannendes Buch geworden. Auch wenn der Titel irritiert, denn Tsafendas Hoffnung hat sich nicht erfüllt: Apartheid lebte nach dem Tod Verwoerds noch lange weiter.    

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