Montag, 9. Mai 2016

Autoland Südafrika




Nachdem die Zahl der verkauften Neuwagen in Südafrika von 2010 bis 2013 jedes Jahr gestiegen war, ist sie seither ständig gefallen, 2014 um 0,7 Prozent und 2015 um 4,0 Prozent. Im April 2016 wurden 40 390 nagelneue Autos übergeben – das sind 9,2 Prozent weniger als im Vorjahr.
Unter ökologischen Gesichtspunkten oder wenn man im morgendlichen Stau in Kapstadt über den Stillstand flucht, mag man das begrüßen, es ist aber vor allem ein Signal über die angespannte ökonomische Situation. Die südafrikanische Wirtschaft wächst seit einigen Jahren kaum noch, und die Konsumausgaben leiden unter der hohen Privatverschuldung und der Inflation.
Die weiträumige Siedlungsstruktur des Landes und Sorgen um die eigene Sicherheit haben zur Folge, dass wer immer das irgendwie bezahlen kann, ein Auto fährt. Denn öffentlichen Nahverkehr gibt es erst in Ansätzen, und die allgegenwärtigen „Taxis“ (Minibusse, die vor allem die schwarzen townships bedienen, aber auch über Land fahren) sind nicht gerade bequem und durchaus gefährlich. Vor Feiertagen und verlängerten Wochenenden wird von der Regierung regelmäßig dazu aufgerufen, doch bitte vorsichtig zu fahren, und dennoch berichten die Nachrichten jeden Abend von tödlichen Unfällen. Über das lange Wochenende (Freedom Day - 27.4. - war an einem Dienstag) gab es allein in der Provinz KwaZulu-Natal 330 Verkehrstote. „Road Carnage“ wird so eine blutige Bilanz in Südafrika genannt.
617 749 neue Autos wurden im vergangenen Jahr verkauft, 287 000 Rand blättern die Südafrikaner dafür durchschnittlich auf den Tisch. Oft wird der Kauf durch einen Kredit finanziert, und weil nicht wenige Autobesitzer mit den Raten schnell in Rückstand geraten, betreiben die Banken eigene Lager für „repossessed cars“, die dann versteigert werden: One man’s loss is another man’s gain – mit diesem alten Spruch wirbt z.B. die ABSA-Bank für ihre Auktionen.
Die Autoindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der Fahrzeugbau ist im sich deindustrialisierenden Südafrika der wichtigste Sektor und trägt 7,3 Prozent zum Bruttosozialprodukt bei. 36 000 Menschen haben dort einen vergleichsweise guten Arbeitsplatz. Die deutschen Autobauer sind seit langem in Südafrika vertreten (das, daran sei erinnert, war während der Zeit des Widerstandes gegen die Apartheid heftig umstritten): VW im Ostkap (seit 1951), BMW in Gauteng (seit 1972), Mercedes ebenfalls im Ostkap (seit 1954).
Während der Absatz in Südafrika zurückgeht, floriert der Export: 2015 war ein Rekordjahr. Das Land exportierte 333 802 Fahrzeuge, in erster Linie nach Deutschland und in die USA. Dass die Ausfuhr so gut läuft, ist nicht allein dem schwachen Rand zu verdanken, sondern auch der Integration der südafrikanischen Werke in die globale Herstellungskette.
Ein eigenes Abkommen mit der EU zum Autoexport und das „African Growth and Opportunity Act“ (AGOA) der USA erlauben die zollfreie Einfuhr, das erleichtert den Marktzugang.  Die südafrikanische Regierung unternimmt ebenfalls erhebliche Anstrengungen, um die Autoproduktion zu fördern, und hat dazu zwei relativ ausgefeilte Programme (MDIP (1995), APDP (2013)) aufgelegt. Das APDP verlagert die export-basierten Anreize auf Zuschüsse und Einfuhr-/ Steuererleichterungen für lokal produzierende Unternehmen, unabhängig davon, ob die Endprodukte für den Export bestimmt sind oder nicht.
Die verschiedenen Anreize und Regelungen werden von Ökonomen durchaus kritisch gesehen: Von 100 Rand Steuereinnahmen gehen 20 Cent in die Autoproduktion, wird Mike Schüssler in der Sonntagszeitung „City Press“ zitiert.  Das Geld könne aber an anderer Stelle wirkungsvoller eingesetzt werden und sehr viel mehr Menschen in Arbeit bringen, etwa in der Nahrungsmittelindustrie und im Tourismus.   
Das Ziel der Autobauförderung ist ehrgeizig: 2020 sollen 1,2 Millionen Autos im Land gebaut werden. Auch wenn ein eigenes Fahrzeug für viele Südafrikaner weiterhin selbstverständlich oder ein unbedingt zu erreichendes Ziel sein wird, um mobil zu sein, ist für die großen Städte der Zuwachs eher ein Alptraum. Denn die meisten Bürgerinnen und Bürger werden auch in Zukunft lange Wege zur Arbeit zurücklegen müssen – die wohlhabenderen aus ihren „suburbs“ mit Einfamilienhäusern und die Ärmeren aus den kleinen Häuschen der townships. Kapstadt hat deshalb vor knapp sechs Jahren begonnen, öffentliche Busverbindungen einzurichten. Wo immer möglich, gibt es sogar eigene Busspuren, so dass man als Passagier nicht im Stau stehen muss. 42 elegante Stationen und 366 Haltepunkte gibt es bereits, und Busse fahren sogar weit in den Süden nach Hout Bay und 40 Kilometer in den Norden bis nach Atlantis, dieser trostlosen Ausgeburt der Apartheidpolitik. 
Schick, sauber und cool (im Wortsinn) sind die Busse, und man darf sogar sein Fahrrad mitnehmen (Your wheels are welcome). Fahrradfahrer sieht man inzwischen häufiger, allerdings eher am Wochenende und meist als Sportler. Die Stadt hat aber auch begonnen, eigene Spuren für Fahrradfahrer auszuweisen. Bei einer Fahrt am Samstag mit dem Bus von Du Noon (ein township im Norden der Stadt) wurde auch noch ein anderer Vorteil der Busse deutlich: Anders als im Taxi kann man den Kinderwagen mitnehmen. Und dann während der Fahrt auch aufs smartphone schauen. Dennoch: Bei den jüngsten Krawallen in Du Noon wurden auch Busstationen schwer beschädigt. Stadtplaner und Verkehrsmanager brauchen in Südafrika gute Nerven.         

Montag, 2. Mai 2016

George Bizos: Anwalt und Freund



Ende Januar 2016 ist den drei noch lebenden Angeklagten des Rivonia-Prozesses von 1963/64 in London der „Freedom of the City“-Status verliehen worden, die höchste Auszeichnung, die die britische Hauptstadt zu vergeben hat. Die drei wurden zusammen mit zweien ihrer Anwälte gewürdigt, George Bizos und Lord Joel Joffe. Große Ehre und großer Bahnhof.
Südafrika, das ja in manchem auch sehr britisch geprägt ist, legte nach: Am 20. April wurde Bizos und Mlangeni in Soweto die „Freedom of the City“- Auszeichnung verliehen; Ahmed Kathrada hatte sie schon 2012 bekommen. Andrew Mlangeni wurde von seinem Sohn vertreten, George Bizos braucht einen Stock als Gehilfe, ist aber sonst quicklebendig und auch weiter als Anwalt tätig und als Redner unterwegs.
Bizos, 1928 in Griechenland geboren und 1941 als Flüchtling nach Südafrika gekommen, ließ die Festversammlung an einigen seiner Erinnerungen teilhaben. „Ein Anwalt kann nur gut sein, wenn er gute Klienten hat“. Sein prominentester Klient war Nelson Mandela. Die beiden hatten sich 1948 im Studium an der Rechtsfakultät der Witwatersrand-Universität kennengelernt und waren Freunde geworden. Der Dekan hatte damals zu verhindert gewusst, dass Mandela sein berufliches Ziel, der erste schwarze „Advokat“ zu werden, erreichen konnte. Bizos hat Mandela und andere ANC-Mitglieder in politischen Verfahren verteidigt und später Mitglieder der Familie auch in anderen Angelegenheiten vertreten. 65 Jahre lang waren die beiden Freunde.
Mitglied des ANC ist Bizos trotzdem nicht geworden, erzählte er in Johannesburg. Als er 1990 einen Anruf von Cyril Ramaphosa erhielt, der ihn darüber informierte, dass er, George Bizos, ins Verfassungskomitee des ANC berufen worden sei, fragte Bizos, ob er dafür einen Mitgliedsausweis haben müsse. „Ach, wir sind nicht auf Deine 12 Rand angewiesen“, habe Ramaphosa ihm geantwortet. 12 Rand – das ist der jährliche Mitgliedsbeitrag des ANC. Was er denn machen müsse, hat Bizos von Ramaphosa wissen wollen. „Alles“, antwortete dieser, „ich könnte aber dafür sorgen, dass Du nicht toyi toyi tanzen musst“ (den berühmten Protesttanz südafrikanischer Oppositioneller).
Und das musste er dann auch nicht. Aber als Bizos bei einem Besuch in Deutschland in den Herrenhäuser Gärten die ungelenken Bewegungen einiger deutscher Frauen beim Tanz nach afrikanischen Rhythmen sah, da hat er seine Kollegen vom „Constitutional Committee“ aufgefordert: „Let’s show them the real thing“.  Und das geschah dann auch.
Zurück zu seinen Erinnerungen. Walter Sisulu, einer der weisen Männer des ANC, der lebenslange Haft zu gewärtigen hatte, habe damals zu ihm gesagt: „George, pass gut auf Dich auf, wir brauchen Dich da draußen, um unsere Leute zu verteidigen. Und auch, um unsere Frauen zu unterstützen.“ Die Apartheidregierung, so Bizos, habe es darauf abgesehen, auch die Frauen der ANC-Häftlinge zu drangsalieren. Albertina Sisulu sei allein dafür vor Gericht gestellt und verurteilt worden, dass sie bei einer Beerdigung eine Traueransprache für ihre Freundin Rose Mbele gehalten habe. „Unsere Justiz“, so Bizos, „war da im grossen und ganzen willfährig.“  
Und doch gab es auch Nuancen, so Bizos weiter. Insbesondere manche der Afrikaaner-Juristen fanden es unerträglich, Ehefrauen zu verurteilen. Richter Eloff, ein Mann, der die Apartheidpolitik immer verteidigt habe, habe im Fall von Albertina Sisulu vor dem Berufungsgericht gesagt: „Herr Bizos, ich will gar nicht hören, was sie zu sagen haben - Herr Staatsanwalt, wir sollten uns vielmehr fragen, was für ein Spiel wir hier eigentlich spielen.“ Albertina Sisulu wurde freigesprochen, vom Apartheidstaat freilich auch weiter auf vielfältige Weise behelligt.