Montag, 10. April 2017

Safari zu den Erdmännchen



Morgens um 6 Uhr ist es in dieser Jahreszeit auch in Südafrika stockfinster, und im Auto ist es kalt. Wir stehen an der Kreuzung bei Oudtshoorn und warten, wollen auf Safari. Aber nicht zu den
Straußen, die die Stadt berühmt gemacht haben, sondern zu den meerkat: den Erdmännchen. Ein zweites Auto hält: ob wir zu den meerkat - okay! Ein paar Minuten später kommt eine Autokarawane auf uns zu und biegt ein - die übrigen meerkat-Liebhaber.
Ein Dutzend Wagen rumpeln einen Feldweg entlang, dann stoppt das Führungsfahrzeug. Für gut 20 Menschen gibt es jetzt erst einmal eine Tasse Kaffee und jede Menge Einweisungen. Devey Glinister, Chef der "meerkat adventures", erklärt, dass Erdmännchen scheue Tiere sind und sie lange gebraucht haben, sich an Menschen zu gewöhnen. Nun aber betrachten sie ruhig sitzende Menschen als Pflanzen – wer schon länger verheiratet sei, wisse ja, wie sich das anfühle. Nur eines sei streng verboten: aufzustehen. Dann sei es schnell vorbei mit dem Foto, dann bliebe nur ein Selfie.
Anderthalb Jahre, so erzählt auch Devey-Mitarbeiter Jaydi später, habe er die Erdmännchen immer wieder aufgesucht, die Distanz zu ihnen immer weiter verringert, ihnen vorgelesen, erzählt, Filme abgespielt, um sie an den Klang menschlicher Stimmen zu gewöhnen. Und jetzt würden diese Erdmännchen Menschen nicht mehr als Feinde ansehen.
Der Kaffee wirkt, mittlerweile ist es heller geworden, ein Mitarbeiter sucht mit dem Fernglas nach den meerkat. Sie bewohnen ein ausgedehntes unterirdisches Tunnelsystem, das 70 Eingänge haben kann, und bei Sonnenaufgang erscheinen sie irgendwo. Jetzt hat der Mann mit dem Fernglas sie entdeckt: Es sollte, so Jaydi, eine Familie mit zehn Mitgliedern sein.
Im Gänsemarsch machen wir uns auf den Weg, dann platziert uns Jaydi auf die klappbaren Regiestühle, und wir warten, während Jaydi die Stimme nicht einmal senkt, um ausführlich vom Leben der Erdmännchen zu erzählen. Und tatsächlich: nicht einmal zehn Meter entfernt von uns richtet sich eines der meerkat auf, schaut in unsere Richtung und lässt sich von Jaydis Erklärungen nicht im Geringsten stören.
Mittlerweile wärmt die Morgensonne sehr angenehm unseren Rücken, und genau wegen dieser Morgensonne recken sich immer mehr meerkat in die Höhe. Nach einigen Minuten sind es vier, fünf, und dann ist es fast die gesamte Familie: neun meerkat lassen sich ihr Bauchfell von der Sonne erwärmen. Jaydi kann die einzelnen Tiere sogar unterscheiden und weiß, dass wir das letzte Familienmitglied wohl nicht zu Gesicht bekommen werden: Es sei erst kürzlich zu der Familie gestoßen und habe den langen Erziehungsprozess nicht mitgemacht, betrachte also Menschen weiterhin als Feinde und tauche deshalb nicht auf.
Eine gute Viertelstunde dauert die Aufwärmphase, dann haben die Erdmännchen genug Sonne getankt und verschwinden. Wir klappen unsere Stühle zusammen und marschieren im Gänsemarsch zurück zu den Autos - und die Erdmännchen haben 20 neue Freunde gewonnen.

Dienstag, 21. März 2017

Blechschaden



An diesem Montag brummt das – kommerzielle – Leben in Kapstadts schon wieder weiter ausgebauten „Waterfront“. Und auch in der Park-Garage, pardon: den Parkgaragen ist es eng geworden. Jedenfalls hat das dort geparkte Auto einen heftigen Bumms abbekommen.
Der herbeigeholte Sicherheitsmann ist auch genervt, bejaht aber die Frage nach Kameraüberwachung und holt für all unsere Fragen per Funkgerät noch zwei ihm offenbar vorgesetzte Männer heran; der eine trägt so etwas wie ein Marine Outfit. Es geht hin und her, in der Zwischenzeit bleibt Zeit für small talk. Auf die Frage, wo er denn wohne, meint der erste Sicherheitsmann: „Ganz weit weg“. „In Khayelithsa?“, fragen wir. Da nickt er erstaunt, nach der Erwähnung einzelner Bezirke kommt die überraschte Gegenfrage: How do you know?
Viele weiße Südafrikaner, Weiße überhaupt, so heisst es immer wieder und wird auch manchmal beklagt, kennen gar keine townships. Wir haben bei ihm nun einen dicken Stein im Brett, werden mit guten Ratschlägen versehen und an der Schranke vorbei aus der Tiefgarage gelotst.
Wir sollen zur Polizei gehen und machen uns auf die Suche. Die Wache ist in der Dunkelheit gar nicht so einfach zu finden, liegt im Arbeits- und Lagerbereich des Hafens und ist, sagen wir, ziemlich schäbig neben dem blankpolierten Einkaufszentrum und den edlen Hotels. Zwei Frauen und zwei Männer schieben gemächlich Dienst: Spätschicht. Da das Unfallbuch gerade in Bearbeitung ist, müssen wir warten.
Im Raum liegt ein Stapel Zeitungen aus - die ANC-nahe "New Age" stand immer im Verdacht, ihre Auflage durch staatliche Gefälligkeits-Abos zu schönen. Und es läuft der Fernseher SABC 1, ein religiöses Unterhaltungsprogramm. Als von Gottes reichen Gaben die Rede ist, wird ein leeres Portemonnaie gezeigt. Danach der Sport. Als ein Athlet dort etwas von "meiner Ehefrau und meinem girlfriend", sagt, ist das Hallo unter den Beamten groß, und die Arbeit ruht erstmal. Eine der Polizistinnen nimmt sogar kopfschüttelnden Augenkontakt zu uns auf.  
Und dann kommen wir dran und auf Adolf Hitler. Erst mal muss der Führerschein vorgezeigt werden: „Aha, Ukrainian“. „Nein, German“. Zwei Minuten später: „Sie haben gesagt, dass sie aus den Niederlanden sind?“ Dann wird der volle Name in die engen Zeilen gezwängt, alle drei Vornamen: "Ah, Rudolf wie Hitler", meint der Polizist beim zweiten und wird freundlich. "Nein, das war Adolf". Auch gut: „Auf jeden Fall ein guter Mann“, kommt vom schwarzen Gegenüber hinter dem Gitter.  
"Aber der Mann hat mehr als sechs Millionen Menschen umgebracht!" Doch das macht auf den Polizisten nicht den gewünschten Eindruck und wird beiseite gewischt. Hitler habe Deutschland immerhin nach vorne gebracht, oder? Auf unseren erneuten Widerspruch gibt es keine Einsicht, aber für uns ein Kompliment: „Sie kennen aber Ihre Geschichte“. Worauf wir gerade noch – bewusst allgemein – entgegnen können, einen so grausamen Diktator vergesse man nicht. Dann ist das Formblatt ausgefüllt, wir haben unsere case number und können die Wache verlassen.  

Dienstag, 5. Juli 2016

Zensur beim SABC



Am 27. Juni 1985, ziemlich genau vor 31 Jahren, ist Lukhanyo Calatas Vater von der Apartheid-Polizei ermordet worden. Fort Calata war einer der „Cradock 4“ – vier junge Anti-Apartheid-Aktivisten aus dem kleinen Ort Cradock, die auf dem Weg zu einer UDF-Veranstaltung festgenommen, gefoltert und ermordet wurden. 80.000 Menschen kamen damals zu ihrer Beerdigung – die früheste Erinnerung, die Lukhanyo an seinen Vater hat. „Ich war damals dreieinhalb Jahre alt“, erzählte er der Zeitung „Cape Argus“, „und ich bin Journalist geworden, weil die vielen Journalisten, die uns in den Jahren danach interviewten, um die Wahrheit über die Ermordung meines Vaters herauszubekommen, mich beeindruckt haben.“
Lukhanyo Calata ist heute Parlamentsreporter für den südafrikanischen Sender SABC. Die Informationspolitik des Senders ist heftig umstritten, Mitarbeiter werfen der Führung Zensur vor, einer der Nachrichtenchefs ist aus Protest zurückgetreten, Journalisten haben vor dem SABC-Gebäude in Johannesburg für Meinungsfreiheit demonstriert.
Im Zentrum der Kritik steht Sender-Chef Hlaudi Motsoeneng – ein Mann, der sich bester Verbindungen zu Präsident Zuma rühmt, „der Sender bin ich“ und „ich bin alpha und omega“ sagt und jedem Kritiker mit Entlassung droht. Dabei ist Motsoenengs Bestallung als SABC-Chef von einem Gericht als unrechtmäßig eingestuft worden, da er über seinen Hochschulabschluss falsche Angaben gemacht hatte – ein Urteil, das folgenlos blieb.
Für die meisten Südafrikaner ist der SABC immer noch die wichtigste, für manche die einzig verfügbare Informationsquelle. Mehr als die Hälfte der 13,4 Millionen Fernseh-Haushalte Südafrikas müssen sich auf die SABC-Informationen verlassen. Eine von Motsoenengs Anweisungen: Gewalttätige Proteste gegen die ANC-Regierung nicht zu zeigen. Vor einem Monat stand die Region um die Hauptstadt in Flammen - überall sonst waren die Bilder von niedergebrannten Schulen, blockierten Straßen und aufgebrachten Demonstranten zu sehen, nur bei der SABC nicht. Auch die Proteste vor dem SABC-Gebäude gegen diese Zensur strich Motsoeneng aus den Nachrichtensendungen.
„Zensur“, sagt Hlaudi Motsoeneng, „das ist ein englisches Wort. In afrikanischen Sprachen gibt es das nicht. Ich kenne das Konzept gar nicht.“ Und er fügt hinzu: „Beim SABC sind alle glücklich.“
Nicht alle. Jimi Matthews, Journalist und lange rechte Hand von Motsoeneng, trat aus Protest gegen das „Terror-Regime“ seines Chefs zurück und veröffentlichte seinen Rücktrittsbrief auf Twitter. Andere SABC-Journalisten schlossen sich mit zugeklebtem Mund den Demonstranten vor dem Sender an. „Wir haben lange geschwiegen, aber jetzt sind sie zu weit gegangen“, sagt eine von ihnen. „Ich muss morgens noch in den Spiegel schauen können.“
Mindestens sieben SABC-Mitarbeiter sind mittlerweile suspendiert; auch Lukhanyo Calata ist unter ihnen. Ihm droht die Entlassung. „Tausende sind im Kampf für Demokratie, für Meinungsfreiheit gestorben“, sagt er, „wie können wir uns da zurücklehnen und jemandem erlauben, Diktator zu sein? In einer Demokratie geht so etwas nicht.“
Lukhanyo wird jetzt seinem dreijährigen Sohn Kwezi zu erklären versuchen, was Meinungsfreiheit bedeutet. „Ich weiß nicht, was auf mich zukommt, wenn ich das jetzt so sage. Aber mein Vater und Tausende andere haben ihr Leben für das gegeben, woran sie geglaubt haben. Ich kann nur mein sicheres Auskommen verlieren.“