Seit 2003 hat der Mann jedes Jahr ein neues Theaterstück geschrieben: Mike van Graan ist wohl der produktivste Bühnenautor Südafrikas. Im Artscape-Theater von Kapstadt, einem monumentalen Kulturbau aus der Apartheid-Zeit, laufen zur Zeit gleich zwei van-Graan-Stücke an einem Abend – zeitgenössisches Theater im Doppelpack.
Van Graan greift auf, was unter der Oberfläche brodelt, will provozieren und fühlt sich mit der Bezeichnung „politischer Autor“ dennoch falsch einsortiert: „Mit solchen Etiketten werden Autoren oft abgewertet“, meint er. „In meiner Arbeit will ich einfach die Verbindung zwischen der Mikro- und der Makro-Ebene schaffen, dem Individuum und dem Kollektiv, und wenn in der Apartheid-Zeit das Persönliche politisch war, gibt es keinen Grund zu glauben, dass das jetzt nicht mehr so ist.“
„Brothers in Blood“ sehen an dem Abend, an dem Bon Jovi vor 45.000 Fans im Fußballstadion von Kapstadt rockt, auf der kleinen Studio-Bühne im Artscape-Betonbau immerhin knapp 40 Menschen. Es geht um das schwierige Miteinander verschiedener Bevölkerungsgruppen: die Verletzungen der Vergangenheit, die Angst vor Kriminalität, um religiöse Überzeugungen von Juden, Moslems und Christen – am Kap alles sensible Themen.
In effektvollen kurzen, dramatischen Szenen entfaltet sich die Geschichte: Ein farbiger Muslim sucht eine neue Wohnung, wird von einem weißen Arzt, der sich in der Bürgerwehr gegen Kriminalität engagiert, angehalten und peinlich befragt, die Tochter des Moslems sucht eine Stelle bei dem Pfarrer einer der vielen christlichen Kirchen, der seine Tochter verstoßen hat, als sie einen Moslem heiratet. Die junge Frau befreundet sich mit einem somalischen Händler, wird schwanger, sie fühlt sich zu jung für ein Kind, der Somali kann ihre Entscheidung für eine Abtreibung nicht verwinden. Am Ende treffen alle in der Klinik aufeinander, in der der weiße Arzt arbeitet. Der weiße Doktor stöhnt, es sei ja jetzt schon ein Kreuz, als weißer Mann in Südafrika zu leben, aber dann auch noch Jude zu sein… (In Südafrika gibt es viel „Solidarität“ mit Palästina, bei den Moslems und auch beim ANC, der den Konflikt als koloniale Landnahme interpretiert).
„Rainbow Scars“, das zweite Stück des Abends, ist (etwas) leichter. Wenn es um die Schwierigkeiten einer (weißen) Mittelschicht-Mutter geht, die ein schwarzes Mädchen adoptiert und großgezogen hat, darf durchaus gelacht werden. Als Kind einer weißen Familie hat Lindiwe viele Möglichkeiten – und darf jetzt nach den Abiturprüfungen doch den „Schwarzen-Bonus“ in Anspruch nehmen, der die Aufnahme auf eine Universität so sehr erleichtert. Hautfarbe spielt eben heute weiter eine Hauptrolle im neuen Südafrika. Den Kontakt zu Lindiwes eigentlicher Familie hatte ihre neue Mutter immer unterbunden – aber als plötzlich ihr gerade aus dem Gefängnis entlassener Cousin auftaucht, wird Lindiwe auf ihre Herkunft und ihre Geschichte gestoßen.
Das Publikum für solche Stücke ist klein, der Beifall – wie immer in Südafrika – irritierend kurz, obwohl die Schauspieler durch die Bank hervorragend sind. In der Tiefgarage des Artscape verlieren sich die Autos der wenigen Theaterbesucher. Dabei war in der Stadt mit vielen Plakaten für die Stücke geworben worden.
Im kommenden Monat werden die beiden Inszenierungen auch beim renommierten Kulturfestival in Grahamstown gezeigt werden, zusammen mit den neuesten Stücken von Mike van Graan: „Writers Bloc“ (über die Schwierigkeiten eines Universitätslehrers in den USA, mit seiner südafrikanischen Vergangenheit klar zu kommen), und „Panic“ (über die Klimakatastrophe). Stoff hat van Graan jedenfalls genug.
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