(rwl) Die "Toilettenwahl" - so hat die Wochenzeitung Mail & Guardian die Kommunalwahlen am 18. Mai charakterisiert. Für die neue Demokratie, gerade erst 17 Jahre alt, wie immer betont wird, ist das ein peinliches, aber für die gegenwärtige Katerstimmung auch charakteristisches Verdikt. Der Streit um die Toiletten währt nun schon viele Monate. Angefangen hat alles 2009 in Kapstadt.
Eine Stadt wie Kapstadt so zu regieren, dass die Bürgerinnen und Bürger zufrieden sind, ist ein harter Job. Die Bewohner der wohlhabenderen Vororte möchten, dass die guten Standards der Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen aufrecht erhalten werden. Sie verweisen gern darauf, dass sie ja schließlich Steuern zahlen. Die in den townships lebenden Menschen möchten, dass sich ihre Lebensbedingungen verbessern, sie möchten solide Häuser, geteerte Straßen, eine Klinik in der Nähe. Die Neuzuwanderer (jedes Jahr kommen 18 000 Familien zusätzlich nach Kapstadt) in den „informal settlements“, erst jüngst errichteten Siedlungen mit shacks (selbstgebauten Buden), möchten ein stabiles Dach über dem Kopf und überhaupt erst einmal Anschluss an das Wasser- und Stromnetz. Und neben diesen konkurrierenden Interessen gibt es ja noch andere Aufgaben, will die Stadt weitere Arbeitsplätze schaffen und Touristen anziehen. Nun wirbt die regierende Democratic Alliance im Wahlkampf damit, dass sie für alle sorge („Delivery for All“).
Wahrscheinlich verflucht sie den Tag, als sie sich 2009, wohl in guter Absicht, einfallen ließ, bei der Verbesserung der Lebensbedingungen, upgrade genannt, in einem dieser informal settlements einen unkonventionellen Weg zu gehen. Die nationale (ANC-)Regierung hat festgelegt, dass pro fünf Familien ein Toilettenhäuschen errichtet wird. Damit dennoch mit dem gleichen Budget jede Familie eine Toilette bekommt, vereinbarte die DA-Regierung mit der „community“, dass sie nur die Toiletten liefert und ans Netz anschließt, dafür aber die Familien das Häuschen darum selbst bauen. Die ganz große Mehrheit (1265 Familien) machte das auch, 51 Familien aber konnten oder wollten den Sicht- und Wetterschutz nicht errichten.
Das war der Beginn des Kapstädter Toilettenkrieges, der nun seit Wochen das ganze Land beschäftigt: Die Jugendliga des ANC erkannte schnell die gute Gelegenheit, aus der Verlegenheit der Nutzer der im Freien stehenden Toiletten politisches Kapital zu schlagen und die verhasste Stadtregierung in Verlegenheit zu bringen: Seht, so geht die DA mit armen Leuten um! Sie reichte Klage bei der Menschenrechtskommission ein, die DA reagierte darauf mit der Umkleidung der Toiletten mit Wellblech, Bürgermeister Don Plato kam höchstpersönlich, um sie zu übergeben. Doch die Jugendliga verjagte den Bürgermeister und riss einen Teil der „minderwertigen“ Wellblechverkleidungen gleich wieder ein. Daraufhin ließ der Bürgermeister die Klos ganz abbauen. Ein Versuch von ihm und Gouverneurin Helen Zille, in einem Gespräch eine Lösung zu finden, endete im Chaos, die Jugendliga drohte damit, die ganze Stadt unregierbar zu machen.
Die Menschenrechtskommission sah die Würde der Menschen verletzt und hielt der Stadt vor, die community nicht ausreichend und nicht angemessen konsultiert zu haben. Die Stadt wiederum fühlte sich zu Unrecht an den Pranger gestellt, hatte sie sich doch an die nationalen Regeln gehalten und versucht, das Beste daraus zu machen. Am Ende musste das Oberste Gericht der Westkap-Provinz (angerufen von der Jugendliga des ANC) entscheiden. Richter Nathan Erasmus ordnete an, dass die Stadt die Toiletten ordentlich verkleiden muss. Und er rügte die Konfliktparteien heftig - die Stadt in ihrer rechthaberischen Arroganz und die Jugendliga des ANC für die unappetitliche Doppelrolle ihres lokalen Vorsitzenden. Andili Lili war nämlich vom Bauunternehmen dafür angestellt worden, die Bevölkerung über die geplanten Maßnahmen und Bauarbeiten zu informieren und die Firma zu beraten.
Doch kaum war der Jubel vor dem Gericht verklungen, tauchten im Internet die ersten Vorhersagen auf: Dem ANC würden seine Freudenbekundungen, die DA-regierte Stadt vorgeführt zu haben, noch im Halse stecken bleiben. Denn es gebe ja genügend ANC-Kommunen, in denen die Menschenwürde verletzt würde. Die nächsten unverkleideten Toiletten waren schnell gefunden: Im township Rammulotsi nahe Viljoenskron im ANC-regierten Free State stehen sie seit Jahren im Freien. Und der zuständige Minister, eben jener Sicelo Shiceka (vgl. unseren Blog vom XX.XX.2011) soll das auch gewusst haben (was er mittlerweile bestritten hat).
Der ANC versuchte, zu retten, was zu retten ist, rückte mit viel Prominenz ins township ein, beteuerte, nichts von den unverkleideten Toiletten gewusst zu haben, befand, dies sei ein großer Skandal, versprach umgehende Abhilfe und forderte, bei den Verantwortlichen müssten jetzt „Köpfe rollen“. Was die Krisen-PR angeht, ist der ANC mit seiner schnellen, populistischen Reaktion der immer noch streng auf ihre gute Absicht und die Spielregeln pochenden DA um einiges voraus.
Von den größeren Zusammenhängen ist in der Wahlkampf-Stänkerei kaum noch die Rede. Gavin Silver von der Social Justice Coalition in Khayelitsha hält es für das Grundproblem, dass die informellen Siedlungen als temporär angesehen und nicht als dauerhaft akzeptiert werden. Südafrika erlebt seit dem Ende der Apartheid eine verspätete Verstädterung, die die Versorgung mit grundlegenden Diensten zum „moving target“ macht: Während man neue Siedlungen baut, entstehen gleich daneben die nächsten informellen Hütten.
Grundlegender noch hat sich gezeigt, dass die Vergabe von Häusern an Menschen, die keine Arbeit haben, neue Probleme schafft: Brauchen sie Geld, wird das Haus verkauft oder im kleinen Hinterhof ein „shack“ errichtet und an Neuzuzügler vermietet. Sehr viele Häuser sind zudem so schlecht gebaut, dass sie grundlegend saniert werden müssen. Das hat der für Wohnungsbau zuständige Minister Tokyo Sexwale jüngst eingeräumt. Und er hat auch durchblicken lassen, dass die Regierung nicht auf Dauer Häuser bauen und kostenlos abgeben könne.
Damit wird ein weiterer Konfliktpunkt sichtbar: Jan Hofmeyr vom Kapstädter Institute of Justice and Reconciliation stellte bei einem Seminar der Hanns-Seidel-Stiftung die Frage, was auf Gesellschaften zukomme, wenn die sozialen Grundrechte in der Verfassung garantiert seien, der Staat aber kein Geld habe, die entsprechenden Versorgungsleistungen zu finanzieren.
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