„An meinem Garagentor habe ich ein großes ANC-Plakat von Jacob Zuma geklebt, damit die Leute wissen, wo ich wohne“, erzählt Denis Goldberg. „Es ist das einzige Zuma-Plakat in ganz Houtbay.“ Das Publikum schmunzelt. Goldberg, einer der letzten noch lebenden Anti-Apartheid-Kämpfer, die im sogenannten Rivonia-Prozess 1964 mit Nelson Mandela zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren, war gestern Abend in der Universität von Kapstadt, um auf einer von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gesponserten Veranstaltung über den ANC zu diskutieren, der in diesem Jahr sein hundertjähriges Bestehen feiert. Und obwohl der fast 80jährige Goldberg sehr verständnisvolle Worte für Präsident Zuma fand, übte er durchaus auch Kritik an seiner Partei.
Mit auf dem Podium saßen ein ehemaliger Staatssekretär im Arbeits- und im Außenministerium, Sipho Pityana, und der politische Analyst Eusebius McKaiser. McKaiser wäre, wie er sagte, gern Politiker geworden – im Parlament zu sitzen und Gesetze zu beraten, das sei seine Leidenschaft. Aber er ist (nur?) politischer Beobachter, denn der ANC könne mit offener Kritik nicht umgehen. Als ein junger Politikstudent aus dem Publikum fragt, was der ANC ihm, der als 18jähriger die Apartheid nicht mehr kennengelernt habe, denn anbieten könne, antwortet McKaiser messerscharf, der ANC sei vermutlich nichts für ihn: Kritische Debatten könne man in der Partei nicht führen, das werde sofort als Verrat an der Parteilinie begriffen; eine politische Auseinandersetzung um den besseren Kurs sei vermutlich eher bei der Opposition, der „Democratic Alliance“, möglich. Aber die dort vorherrschende Ideologie mache ein Engagement für ihn unmöglich – also sei er eben politischer Analyst geworden.
Auch Sipho Pityana, immer noch ANC-Mitglied und heute Vorsitzender eines Vereins zur Förderung der südafrikanischen Verfassung (CASAC), ist erstaunlich offen. Die Parteispitze messe mit zweierlei Maß, sagt er, wenn Verstöße gegen die Parteidisziplin bei dem einen bestraft, bei dem anderen aber gar nicht geahndet werden. Den Kommunisten im ANC attestiert er eine hohe Glaubwürdigkeit, aber die verschwinde, wenn die Partei ihren Prinzipien untreu werde. Wo ist Parteichef Blade Nzimande, fragt Pityana rhetorisch, wenn es darum geht, sich für die Interessen der Arbeiter und der Arbeitslosen einzusetzen, wo ist er, wenn es darum geht, dass die Kinder eine anständige Schulbildung bekommen?
Auch im Publikum sitzen ANC-Leute. Neben dem (weißen) Hardliner, der weltweit den Neoliberalismus für die Probleme verantwortlich macht, gibt es durchaus (selbst)kritische Stimmen. Einer fragt sich, ob die Parteispitze überhaupt all die schönen Papiere lese, die der ANC verabschiedet – eigentlich müsste sie sich anders verhalten, wenn sie Parteibeschlüsse wirklich ernst nehme. Und eine ehemalige Botschafterin beklagt den Verfall der Institutionen im Land: Der mache ihr wirklich Sorgen.
Denis Goldberg gibt dem jungen Politikstudenten am Schluss noch einen Rat: Keine Partei gebe der Jugend freiwillig ein Podium – man muss es sich nehmen, sagt Denis: „Tretet die Türen ein – natürlich nur im übertragenen Sinn! Nur so haben wir die Apartheid besiegt: Wir haben die Tür eingetreten.“
Eine Diskussion ohne Schaufensterreden und abgedroschene Weisheiten; es wurde präzise argumentiert, ernsthaft zugehört und gefragt. Und mit einer gehörigen Portion Selbstironie war es auch unterhaltsam – das britische Erbe war gestern abend zu spüren. Mehr davon würde dem ANC gut tun. Stattdessen muss sich der Abgeordnete Ben Turok - auch er ein alter (weißer) Anti-Apartheid-Kämpfer - in dieser Woche vor einem Disziplinarkomitee der Partei verantworten, weil er kurz vor der Abstimmung im Parlament über das neue Informations-Gesetz den Saal verlassen hatte und so der Parteilinie zuwider handelte.
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