Freitag, 15. Oktober 2010

Johannesburg, das Paradies

Für manche ist Johannesburg das Paradies. Wir haben jedenfalls Menschen kennen gelernt, die das so sehen – in Mayfair, mitten im Stadtzentrum, in dem man sich immer vorsichtig umschaut und sein Portemonnaie festhält. Als wir Rose, unserer Fahrerin, sagen, dass sie uns in anderthalb Stunden drei Straßenecken weiter wieder abholen kann und wir in der Zwischenzeit hier herumlaufen wollten, schaut sie uns zweifelnd an: Ob wir das wirklich für eine gute Idee hielten? Sie steigt mit aus und will erst einmal ein Gefühl für das Viertel bekommen, aber dann lässt sie uns dann doch gehen.
Wir wollen zu den Somalis in Johannesburg, und ihr Viertel liegt mitten in der Innenstadt, gleich neben dem „Oriental Place“. Wir fragen und werden zu einem Gebäude verwiesen, in dem viele kleine Läden und ein Open-Air-Restaurant sind. Im ersten Stock ist das Büro des Somali Community Board of South Africa (SCOB); es ist allerdings verschlossen. In 15 Minuten, heißt es, ist wieder jemand da; wir bestellen derweil im Restaurant einen Tee im Restaurant „Kismayo“. Somalis verfolgen hier die Al-Jazeera-Nachrichten. Der Tee wird mit viel Milch serviert.
Dass Journalisten sich über die Somalis informieren wollen, spricht sich schnell herum. Nach ein paar Minuten setzt sich ein junger Mann zu uns: der National Chairman der Somalis. Abdul Hakim Mohamed wollte eigentlich Pilot werden, erzählt er uns; stattdessen vertritt er jetzt die rund 30.000 Somalis in Südafrika. Die meisten von ihnen sind Händler und haben in den Townships kleine Läden – und viele werden angefeindet. Seit Jahren werden somalische Geschäftsinhaber ermordet, „xenophobia“, Fremdenfeindlichkeit, ist seit den Übergriffen gegen afrikanische Zuwanderer von 2008 ein Stichwort in der innenpolitischen Debatte Südafrikas.
Ja, diese Übergriffe gebe es immer noch, sagt der National Chairman, das habe nicht aufgehört. Seine Organisation versucht zu helfen, wo es geht – unterstützt somalische Halbwaisen, arbeitet mit der Polizei zusammen, hilft den Händlern bei Behördengängen. Aus eigenen Mitteln werden zwei Leute im Innenministerium finanziert, die bei der Bearbeitung der somalischen Anträge helfen und vermitteln.
Für Somalis ohne Identitätsdokumente ist es zum Beispiel schwierig, ein Bankkonto zu eröffnen; die Gangster wissen also, dass der Händler irgendwo im Laden sein Geld haben muss. Oft werden sie überfallen und solange gefoltert, bis sie das Versteck preisgeben. Das SCOB hat jetzt erreicht, dass eine Bank relativ unbürokratisch hilft; innerhalb kurzer Zeit wurden bereits fast 600 Konten eröffnet – für die Händler eine große Hilfe. Und für die Bank sicher kein schlechtes Geschäft.
Abdul Hakim erklärt uns das System: Da die Somalis zusammenarbeiten, können sie günstige Preise anbieten. Sie schlafen im Township-Laden, sparen soviel Geld wie möglich. Wenn die Ersparnisse reichen, ziehen sie in eine sicherere Gegend und holen aus Somalia einen Verwandten, der den Laden übernimmt. Der weiß noch nicht, dass ein Ladeninhaber ein großes Risiko eingeht.
Wer das zynisch findet, weiß nicht, wie es in Somalia zugeht. „Ja, in Somalia lebt man ständig in Gefahr, erschossen zu werden – hier aber wird der neue Händler im Schnitt nur einmal in der Woche überfallen: Das ist für ihn das Paradies.“ Und wenn die Geschäfte laufen, wird der nächste Verwandte ins „Paradies“ geholt, und er selbst kann dann in Mayfair in der Kneipe sitzen und seinen süßen Tee trinken. Johannesburg kann man auch so sehen…
somalisouthafrica.co.za

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