(rwl) Kapstadt.com heißt ein Magazin, das „auf gut Deutsch“ über alles informiert, was Touristen interessieren könnte. Geworben wird ganz besonders für Angebote von Deutschen oder Deutschstämmigen. Oder von Deutsch sprechenden, wie dem Südtiroler Johann Innerhofer, der in Somerset West Wein und Oliven anbaut und vor gut einem Jahr ein Restaurant eröffnet hat. Dass viele Südtiroler sehr gut kochen, haben wir oft erlebt und genießen können, es ist also ein Besuch fällig. Und weil wir neugierig sind, machen wir uns schon am Nachmittag auf nach Sommerset West.
Die Stadt gehört zum Großraum Kapstadt, ist traditionell bei Deutsch(stämmig)en sehr beliebt - und wächst offenbar weiter. Links der Autobahn (von Kapstadt aus gesehen), schießen seit Jahren neue Wohnsiedlungen aus dem Boden (in Südafrika werden zuerst die Straßen gebaut und - heutzutage - auch die Umfriedung, meist Mauern).
Auf die Frage, wer in diesen vielen neuen Siedlungen (auch im Norden Kapstadt gibt es immer mehr davon) wohnt, wissen wir immer noch keine gute Antwort - die bisherigen Auskünfte reichen von jungen Kapstädtern, urlaubenden Johannesburgern über britische Rentner und deutsche „Schwalben“ (regelmässige Langzeiturlauber) bis hin zu aufstrebenden Mittelschichtangehörigen, insbesondere der Coloureds.
Die Fragezeichen werden noch größer, als wir die alte Sir Lowry’s Pass Road entlang fahren; sie verläuft etwas oberhalb der Autobahn, und man hat einen schönen Blick über die Bucht und die sie begrenzenden Berge. Links und rechts weitere umfriedete Wohnsiedlungen (gated communities), so neu, dass noch nicht einmal alle Straßen auf unserem neuen Stadtplan verzeichnet sind. Daneben, ebenfalls neu, ein paar Weingüter, und eines davon gehört dem Meerblick suchenden Südtiroler.
Noch ein Stück weiter ändert sich das Bild und die Stimmung: statt gefräßiger Erschließung (urban sprawl nennen das die Stadtplaner) ältere Häuser, manche leicht heruntergekommen, viele mit Elektrozaun gesichert. Ein Weingut steht zum Verkauf, offenbar schon länger, denn es sieht nicht so einladend aus wie die meist penibel gepflegten Anwesen. Auch hier sind fast alle Gebäude mit Elektrozaun umgeben. Ganz am Ende, jenseits eines unbeschränkten Bahnübergangs, wird die Straße nicht mehr gewartet, weil die Zufahrt auf die berühmte eigentliche Passstraße gesperrt ist. Eine Sackgasse also, langsam wächst sie von links und rechts zu. Plastikmüll und niedergedrücktes Buschwerk legen die Vermutung nahe, das hier Menschen gehaust haben. Wir kehren um.
Rechts geht es zu einem jahrhundertealten Weingut: Knoerhoek ("seit 1793"). Vor dem gesicherten Tor ein Auto der Sicherheitsfirma ADT, hinter dem Schlagbaum ein Wächter. Irgendwas stimmt hier nicht. Vom nicht sehr gesprächigen Wachmann erfahren wir, dass es viele Überfälle gegeben hat, und als unser Blick auf einen neuen Zaun mit verschärftem Stacheldraht fällt, sagt er: „Und jetzt haben wir auch noch Patrouillen mit Hunden aufgenommen“. Daneben ein neues Weingut, Wedderwill, ebenfalls mit Eingangskontrollen gesichert.
Zurück auf Sir Lowry’s Pass Road liegt links Sir Lowry’s Pass Village. Wir registrieren das Schild „Methodist Mission“ und eine stacheldrahtverbarrikadierte Polizeistation. Wir fahren weiter, weil uns leider erst beim nächsten Blick auf den Stadtplan auffällt, dass das Dorf eine besondere Geschichte haben muss. Die eine Hälfte heißt „Mission Grounds“, die andere, fein säuberlich durch die Straße getrennt und mit einem engeren Straßengeflecht, „Sun City“.
Inzwischen fahren wir so langsam, dass wir den Autoverkehr stören und mehrfach rechts ran müssen. Nicht gerade gepflegte Häuser, verrostende Maklerschilder, eine Abfahrt zu einem Altmetallhandel, ein Hinweis auf „Altona“, handgemalte Werbung für „Bratwurst“ und „Schnitzel“. Wir würden gerne wissen, was hier los ist.
Der Südtiroler Pionier (der tatsächlich sehr gut kocht) spricht später auf die Frage nach der „Gegend“ lieber von den Neu-Entwicklungen auf der anderen Seite. Wieder zuhause soll „google“ unsere Fragen beantworten. Zuerst tauchen deutsche Freiwillige auf, die Kinder unterrichten, von sozialen Problemen, Arbeitslosigkeit, häuslicher Gewalt, Kriminalität, Aids ist die Rede. Barbara Tofaute hat eine Stiftung „Hope and Light“ gegründet, die man auch von Deutschland aus unterstützen kann. Dann erklärt sich die angespannte Stimmung beim alten Weingut Knoerhoek. Der Farmer, Roy McGregor, ist im März so übel zugerichtet worden, dass er nur mit Glück überlebt hat. Brandstiftung ist ein gravierendes Problem. Eine andere Meldung erwähnt, dass in dem Gebiet besonders viel Metall gestohlen wird (insgesamt in Kapstadt ein Problem, die Polizei hat eine spezialisierte Einheit aufgestellt).
Langsam schält sich auch so etwas wie eine Geschichte heraus. Bis vor etwa 20 Jahren bestand das Dorf aus kleinen Landwirtschaftsbetrieben (small holdings) im Besitz von Weißen und der methodistischen Missionsstation, die für 800 Familien, meist Coloureds, kleine Häuser gebaut hatte. Dann wurden für einen ein Teil der Bewohner eines nahe gelegenen squatter camps (Sun City) 600 Häuschen (RDP houses) gebaut. Und dann haben sich viele weitere Menschen in selbstgebauten shacks niedergelassen, so dass jetzt insgesamt etwa 8.000 Menschen in dem „Dorf“ leben, darunter zunehmend viele zugewanderte Afrikaner aus dem Eastern Cape und den Nachbarländern.
An der Sir Lowry’s Pass Road stoßen also die Welten aufeinander, die sonst in Kapstadt meist räumlich voneinander getrennt sind. Stacheldraht ist die eine Reaktion, einkommenschaffende und soziale Projekte die andere. Der Getränkehersteller Amarula lässt hier seit 2003 inzwischen 85 Frauen gelb-goldene Bändchen für seine Flaschen fertigen. Die auf dem Knoerhoek-Gelände liegende 4-Sterne Bezweni Lodge wirbt damit, dass sie so viel wie möglich aus dem Dorf bezieht. Der Eco Residential Estate, der sich vor allem dem Ausrotten invasiver fremder Pflanzen verschrieben hat, will von den Bewohnern der dazu gehörenden Häuser sogar eine Entwicklungsabgabe (development levy) zugunsten von Sir Lowry’s Pass Village erheben. Und dann gibt es noch einen ausgefeilten, 21 Seiten langen Plan „Sir Lowry’s Pass Tourism & Business Development Trust“, der aus dem Ort eine „World Class Destination“ machen will (darunter tut man es hier selten).
Ein Mikrokosmos Südafrikas also, derzeit noch in einem ungemütlichen nebeneinander. Ein Mikrokosmos auch, was die Vorstellungen angeht, wie sich Bürger engagieren und Entwicklung bewerkstelligen können, wenn wie hier, die beiden Welten Südafrikas aufeinanderstoßen.
Der Südtiroler Johann Innerhofer hat sein Paradies gefunden, aber nicht das Paradies.
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