Freitag, 17. September 2010

Der längste Zug der Welt

Auf dem Weg die Westküste hoch kreuzen wir immer wieder eine eingleisige Eisenbahnlinie. Manchmal weist ein Strassenschild auf Abzweigungen (Loop 1, Loop 2…) hin, schmale Staubstraßen neben der Bahn. Aber es gibt keine Bahnhöfe, und wir sehen auch keine Züge.
Bis dann bei Elands Bay einer auftaucht. Nachdem mindestens 100 Waggons vor uns vorbeigezogen sind, stehen wir staunend am Strassenrand. Denn der Zug will nicht enden. Als wir endlich zu zählen anfangen, sind wir schnell bei weiteren 100 Waggons (und einigen Lokomotiven), geben aber auf, weil noch kein Ende in Sicht ist.
Später lernen wir: so ein Zug hat es schon mal in das Guiness-Buch der Rekorde geschafft. Das glauben wir sofort. Die Bahnlinie wurde Anfang der siebziger Jahre vom ISCOR-Konzern gebaut, um Eisenerz von Sishen im Northern Cape zum Hafen von Saldanha im Western Cape zu transportieren und ist 861 km lang. Und die Loops, 18 an der Zahl sind dazu da, dass Züge in entgegengesetzter Richtung nicht zusammenstoßen. Eine beeindruckende Erinnerung daran, dass Südafrika ein Rohstoffexportland ist.
Weiter im Norden, in Bitterfontein, gibt es einen Bahnhof, hier endet die Strecke von Kapstadt ins Namaqualand. Dass hier Menschen ein- und aussteigen, ist schwer vorstellbar, der Bahnhof ist verlassen und der kleine Ort mit ein paar hundert Einwohnern hat etwas Trostloses. Aber offenbar hat er aufregende Zeiten hinter sich, denn 1931 gab es hier einen spektakulären Diamantenraub, angeblich einer der größten der Welt (wir übernehmen keine Garantie für den Superlativ), es sollen Steine im Wert von (damals) 80 000 Pfund gestohlen worden sein.
Von der Diamantensuche in dieser Zeit erzählt das in der „Booktown“ Richmond erworbene Buch „Innocents in Africa“ über eine US-amerikanische Ingenieursfamilie. Drury Pifers Vater, „an American idealist with progressive notions about pay and working conditions, found himself caught between the insular hostility of the Afrikaners and the colonial arrogance of the English“. Pifer wird von seinem Sicherheitschef Ter Blanche in Kleinzee belehrt, dass er grundsätzlich jedem misstrauen müsse, dass die Arbeiter viele Wege finden, Diamanten zu verstecken und aus dem Gelände herauszuschmuggeln. Schon damals hat man übrigens Röntgengeräte eingesetzt, um im Körper verborgene Diamanten aufzuspüren. Ter Blanche: „These Boers refuse to believe a machine can look through solid flesh. They think it’s just a lot of de Beers propaganda”.
Zurück zum Bahnhof. Neben den Geleisen lagern Blöcke von „Bitterfontein Green“, einer Art Granit, die es nur hier gibt. Lange wurde die Bahn auch für den Transport des Kupfers aus der Mine in Nababeep (bei Springbok) benutzt; es wurde mit Lastwagen hierher gebracht. Dort hatte schon Simon van der Stel 1685 Kupfer entdeckt, die kommerzielle Ausbeutung begann aber erst 1852. Für den Personenverkehr und den Abtransport des Kupfers zum Hafen von Port Nolloth wurde eigens eine Bahnlinie gebaut. Zunächst wurden die Wagen von Maultieren gezogen, die Fahrt dauerte so zwei Tage, und für den Komfort der Gäste gab es in Klipfontein eigens ein Hotel. Später zogen Dampflokomotiven die Züge, die auch andere Waren transportierten und Personen mitnahmen.
Doch die Bahnlinie wurde nach demontiert, die Schienen als Altmetall verkauft. Das Kupfer wurde nun mit Lastwagen nach Bitterfontein gebracht. Vor dem Museum in Nababeep erinnert die Dampflokomotive „Clara“ an die gute alte Zeit. Denn abgebaut wird hier derzeit nicht mehr. Was machen die Menschen in den weit über fünfhundert durchnummerierten Häusern in Nabapeep heute? Früher gab es ein reges gesellschaftliches Leben hier, hören wir, ein Schwimmbad, einen Klub…
Davon ist auch etwas im Museum zu sehen; nach Fotos spielte das „Kupfer“-Team Cricket gegen die „Diamantent“-Truppe. Weiße gegen Weiße. So beeindruckend es ist, was hier im Museum an Zeugnissen zusammengetragen wurde, so spärlich ist die Beschriftung. Apartheid? Arbeitsbedingungen? Fehlanzeige! Unser Versuch, später im Museum von Springbok etwas zu erfahren, scheitert ebenfalls total: in der alten Synagoge lernen wir etwas über die jüdischen Familien am Ort, ansonsten: ein Sammelsurium. Was ist mit Apartheid, fragen wir die (farbige) Angestellte. „Ja, da haben wir leider noch nichts bekommen“. Museumspädagogisch ist Südafrika in seinen kleineren Städten wahrhaft ein Entwicklungsland. Dabei gäbe es doch - in Fortsetzung der Wahrheits- und Versöhnungskommission - so viel aufzuarbeiten, sich auf die gemeinsame Geschichte zu verständigen und zu ihr zu bekennen.
Aber auch andere Fenster gehen auf einmal auf. Im vollgepackten Museum in Nabapeep fällt uns am Eingang ein Schild auf „Wir sprechen deutsch“. Ein Exponat oder eine Einladung? Nach einiger Zeit versuchen wir es einfach - und hören bei den Antworten ein afrikaans eingefärbtes Deutsch. Die alte Frau kommt aus Hamburg-Harburg, erinnert sich noch gut an die Flut von 1962. Mit ihrem Mann, einem Automechaniker, ist sie nach Südafrika ausgewandert und hat bei Springbok fünf Kinder großgezogen. Das Leben war nicht einfach, immer das gleiche Brot, anfangs konnte man nur einmal die Woche (Ziegen-)Fleisch bestellen. Wahrscheinlich hätte die Familie im Wirtschaftswunder Deutschlands besser gelebt… Nicht jeder weiße Einwanderer hat hier in Saus und Braus gelebt.

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