Montag, 16. August 2010

Alltagserfahrungen

Strom kommt auch in Südafrika aus der Steckdose. Aber nicht unbedingt automatisch aus der Leitung. Er kommt in vielen Haushalten nur, wenn man zuvor Einheiten erworben hat. Man geht in einen Laden, gibt seine Kundennummer an, bezahlt (zum Beispiel) 300 Rand, bekommt einen Code, den man zuhause eintippt. Das Gerät sollte man gut im Auge behalten, umso mehr, als die Uhr nun schneller läuft, da die Strompreise gerade erst kräftig erhöht wurden. Die Regierung hat notwendige Investitionen verschleppt, nun müssen schnell neue Kraftwerke gebaut werden. Dazu wurde ein Weltbankkredit beantragt (und bewilligt), dazu werden aber auch die Stromkunden zur Kasse gebeten.
Von einem indischen Restaurant in der Kloofnek Road haben wir am Freitag abend beobachtet, dass in der Küche beschäftigte Frauen (die alle Plastikhauben tragen) zum gegenüber liegenden Laden (Friendly Shoppe) liefen, aber weder Brot noch irgendwie sonst etwas Erkennbares erwarben. Möglicherweise sollten sie „Strom“ kaufen. Kurze Zeit später gingen nämlich die Lichter aus, der Kellner räumte - leicht verlegen - ein, man habe offenbar versäumt, rechtzeitig Einheiten zu erwerben.

Geld kann man an Automaten (ATMs) ziehen. Entweder bei der Bank, aber auch in verschiedenen Geschäften. In letzteren kann man nur 1000 Rand (100 Euro) ausgezahlt bekommen, dafür aber auch sein Handy aufladen. „Air Time“ heisst das, und ist ein ganz begehrtes Gut. Von Wissenschaftlern der Universität Kapstadt befragt, artikulierten Jugendliche im Township Du Noon ihren Wunsch nach „Air Time“, von den Forschern flugs als moderner Ausdruck von Hunger bzw. als Wunsch der Teilhabe an Modernität interpretiert. Jedenfalls gibt es mehr cell phones als Festnetzanschlüsse (durchaus auch ein Sinnbild für das Versagen des Staates in Afrika), während handys weit verbreitet sind und inzwischen auch erfolgreich für Bankgeschäfte überhaupt genutzt werden können. Wir staunen, dass selbst Studenten blackberrys haben…
Geldautomaten müssen natürlich auch wieder aufgefüllt werden, und das ist in Südafrika ein aufregender Vorrang. Als wir jüngst zum nahegelegenen Lifestyle Center spazieren, einer Art Mini-Shopping Mall, kreuzte uns ein Mann in Kampfanzug und mit Maschinengewehr. Natürlich dachten wir eine Sekunde an Kino, aber der Mann bezog Position vor dem netten kleinen Schreibwarenladen. Eine weitere Sekunde später erinnerten wir uns an einen Bericht im politischen Magazin „On Assignment“ (eine der ganz wenigen, wenn nicht die einzige sehenswerte Sendung des südafrikanischen Fernsehens SABC) über brutale Überfälle auf Geldtransporte. Und dann sahen wir auch das verbarrikadierte Gefährt auch auf der Straße stehen.

Buchläden sind eher selten. Kapstadt hat aber zwei ganz hervorragende, die auch häufig Lesungen anbieten, einmal Kalk Bay Books und zum anderen die Booklounge in der Innenstadt. Und natürlich existiert auch immer noch Clarke’s in der Long Street. Exclusive Books gibt es im ganzen Land (und inzwischen auch in anderen afrikanischen Ländern) - nicht schlecht, aber eben auch mit einem zentral gesteuerten Angebot. Ich erinnere mich noch gut an den Ausgangspunkt, den „linken“ Buchladen im damals (1991) trendigen Johannesburger Stadtteil „Hillbrow“.
Im Lifestyle Center gibt es auch einen kleinen Laden von „Exclusive Books“. Wie andere Buchläden auch, überarbeitet er gerade sein Sortiment, die verbilligten Bücher werden auf einer Art Tapetentisch vor dem Laden angeboten. Macht der Laden zu, werden sie nicht etwa hereingetragen; vielmehr werden Pappen darüber ausgebreitet - und über alles soll dann eine Frau wachen. Die aber findet das ziemlich langweilig und blickt lieber auf den kleinen Bildschirm ihres cell phones.

Menschen statt Maschine. Im Keller des Lifestyle Centers ist eine (drei Stockwerke) tiefe Garage. An der Einfahrt gab es einst einen Automaten, aus dem man ein Ticket zog. Der Automat ist seit ungefähr zwei Jahren defekt. Seitdem sitzt dort ein Mensch, meist eine Frau, und schreibt erst mit der Hand die Zeit auf das Ticket und hält dann eine „disc“ an einen kleinen Kasten, was wiederum auslöst, dass die Schranke angehoben wird. In einem Land mit fast vierzig Prozent Arbeitslosigkeit ist das ziemlich erfreulich.
Heute abend um 19.41 hatte die Einleserin aber die Füsse hochgelegt und schlief fest. Unsere freundliche Ansprache weckte sie keinesfalls auf. Also hielten wir die Disc selbst an den Kasten, die Schranke ging nach oben. Was unsere Worte nicht vermochten, löste das elektronische Signal aus: sie machte die Augen auf und schrieb uns ein Ticket. Um gleich darauf die Augen wieder zuzumachen. Die nächste Einparkerin verdrehte uns gegenüber die Augen, musste aber auch etwas schmunzeln.

Diebe haben es in der Innenstadt (CBD genannt) nicht mehr so leicht, es gibt nicht nur Überwachungskameras, sondern auch an jeder Ecke Wachpersonal, zu Fuss, per Rad und manchmal auch zu Pferde. Dennoch sah Ekkehard auf einmal einen Finger an seiner Kleidung entlangfahren und machte gerade noch rechtzeitig eine abschreckende Bewegung, woraufhin der Mann Leine zog. Alles war gut gegangen, doch das Straßenleben war nun anders. Die uns als nächstes begegnende Frau merkte an: That man has been following you. Daraufhin sagte der Türsteher des gegenüberliegenden Hotels: „Der hatte es auf sie abgesehen, ich habe ihn genau beobachtet.“ Den Mann festzuhalten und zu klären, ob etwas gestohlen worden war - das hatte niemand als wichtig erachtet Stattdessen nahm sich der kräftige schwarzeTürsteher einen kleineren farbigen Mann mit Leuchtweste vor: „Hier, sag den Leuten von deiner Organisation, von der Stadt, dass sie ihre Arbeit nicht tun, dass sie nicht aufpassen.“ Doch der war nur für die Reinigung eingeteilt, dem Hotelmann sprachlich nicht gewachsen, aber doch seiner begrenzten Rolle so sicher, dass er kehrend von dannen zog.

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