Dienstag, 24. August 2010

Von Kapstadt nach Kimberley

Nach dem bizarren Matjiesfontein war das bodenständige Beaufort West unser nächster Anlaufpunkt. Trucker machen hier gern Station, es gibt Geschäfte und Handwerksbetriebe. Der wohl berühmteste Sohn der Stadt war Christian Barnard, der als Sohn eines Missionars dort geboren wurde und später bekanntlich ein sehr glamouröses Leben führte. Es gibt ein kleines Museum zu seinen Ehren, in dem vor allem die zahlreichen Auszeichnungen des Herzspezialisten ausgestellt sind. Am Ende bekam der in aller Welt bekannte Doktor aus Rumänien sogar Heilmittel gegen seine Arthritis zugesandt.
Anders als in Kapstadt werden wir überall in Afrikaans angesprochen und bedauern es einmal mehr, dass wir diese schon sehr vertraut klingende Sprache nicht sprechen. Schon oft haben wir beobachtet, dass Argumente und Emotionen auf Afrikaans mit sehr viel mehr Verve vorgetragen werden. Ein Vortrag von Professor Sampie Terreblanche hörte sich auf Englisch trotz allem Eifer bieder an; als er ins Afrikaans fiel, klang das ganz wortgewaltig. Und auch der weltgewandte und derzeit in Washington lehrende Professor Charles Villa-Vicencio wechselte bei der Diskussion letzte Woche ins Afrikaans, als er etwas unterstreichen bzw. jemanden ansprechen wollte.
Wie präsent das Afrikaans im Western Cape ist, merkten wir beim vergeblichen Versuch, in Beaufort West eine englischsprachige Zeitung zu kaufen. Gelesen wird hier „Die Burger“ oder das Boulevardblatt „Son“. Bei CNA, der landesweiten Kette für Zeitungen/Zeitschriften und Schreibwaren, erhalten wir die Auskunft, man habe früher mal die linksliberale Wochenzeitung „Mail & Guardian“ angeboten, aber niemand habe ihn gekauft.
Eine wichtige und bittere Nachricht erfahren wir zwei Tage später bei Bloemfontein (hier hat das höchste Gericht des Landes seinen Sitz) aber doch. Im schönen Guesthouse wohnt auch Jeremy Gauntlett, der berühmte Anwalt, der vor dem SADC-Tribunal den Sieg der Farmersfamilie gegen Mugabe mit erstritten hat. Nun haben die SADC-Staaten bei ihrem letzten Gipfel beschlossen, das Tribunal nicht nur grundsätzlich zu überprüfen, sie haben einfach auch die Richter nicht mehr bestätigt, so dass es jetzt nicht mehr arbeiten kann. Ein Sieg für Mugabe und ein weiteres trauriges Beispiel dafür, dass Rechtsstaatlichkeit weiterhin nicht prioritär ist bzw. abgewürgt wird, wenn das Ergebnis nicht passt. Finanziert hat dieses Tribunal übrigens die EU.
Zurück nach Beaufort West. Am nächsten Morgen verlassen wir die Nationalstrasse 1 und fahren eine kleinere über Aberdeen nach Graaf-Reinet. Die Karoo-Landschaft ist eintönig, es gibt auch keine großen Tankstellen mehr, diese gut organisierten Versorgungsbetriebe, auf denen man erstehen kann, was man für die Reise braucht und manchmal auch, was die Region zu bieten hat.
Die Nationalstraßen sind hervorragend in Schuss, auch die nicht geteerten gravel roads (eine sind wir bisher gefahren) werden gepflegt. Überall wird ausgebessert und verbreitert. Gibt es eine Baustelle, wird sie von mindestens acht Schildern angekündigt, bevor man von einer Fahnenschwenkerin endgültig zum Halten bewegt oder durchgewunken wird. Irgendwo muss es eine Verordnung geben, nach der diese Tätigkeit an Frauen vergeben wird.
Wer den Film „Red Dust“ gesehen hat – aus Anlass der WM wieder im Fernsehen ausgestrahlt – erinnert sich vielleicht an die Einfahrt der Wagen der Wahrheits- und Versöhnungskommission in das Tal. Die Stadt rühmt sich, einer der historischen Glanzpunkte des Landes zu sein. Jedenfalls sind 200 Häuser unter Denkmalschutz gestellt, es gibt auch eine Reihe von Museen und mitten in der Stadt die alles überragende NG Kerk. Wir kommen gegen Mittag hier an, an einem Samstag. Eine ungünstige Zeit, wie sich herausstellt, denn die Museen sind bald zu.
Die Dame im Old Library Museum ermuntert uns zwar, noch schnell Eintritt zu zahlen, ist aber dann sehr hinterher, dass wir auch bald durch sind. Dabei interessiert uns der Raum über Robert Sobukwe, den Begründer des Pan Africanist African Congress. Er wurde in Graff-Reinet geboren, war später auf Robben Island inhaftiert und hat anschließend als Rechtsanwalt in Kimberley gearbeitet. Seine Witwe soll noch in Graaf-Reinet leben. Die Bitte um eine Fotokopie eines langen Artikels aus der „Sunday Times“ über das heutige Graaf-Reinet und diesen berühmten Sohn der Stadt stösst allerdings auf komplettes Unverständnis.
Auch in den anderen Städten und Museen (in Bloemfontein wurde der ANC begründet!) werden wir in den nächsten Tagen an berühmte schwarze Widerständler erinnert – der schwergewichtige deutsche Reiseführer von Iwanowski, der im vorderen Teil des Buch um Landeskundliches sehr bemüht ist, schreibt in den Absätzen über die meisten Städte eigentlich nur über die europäische Siedlungsgeschichte. Dabei bieten auch Graaf-Reinet, Bloemfontein und Kimberley township-Touren bzw. historische Spaziergänge an. In Bloemfontein ist noch zu spüren, dass der World Cup auch der Selbstpräsentation der Stadt auf die Sprünge geholfen hat.
50 km nördlich von Graaf-Reinet und abseits der großen Straße liegt Nieu Bethesda, unser nächstes Ziel. Von trockenem Karoo-Charme spricht Iwanowski. Damit meint er offenbar vorwiegend die dort lebenden Weißen, die in diesem abgelegenen Tal u.a. Käse produzieren, Bier brauen, Gäste beherbergen und Läden betreiben. Zum Ort gehören aber auch 50 inzwischen afrikaanssprechende Xhosa und etwa 900 Coloureds. Arbeit für sie gibt es nur wenig, die wenigen Farmer haben ja schon ein paar Arbeiter auf ihrem Gelände, allenfalls für die Schafschur können sie noch mal jemanden gebrauchen.
Ja, es gebe eine Schule, erfahren wir, aber die sei so schlecht, dass die Kinder, die später nach Graaaf-Reinet geschickt werden, oft nicht mal ihren Namen richtig schreiben können. Für die Lehrerinnen und Lehrer hat unsere Gesprächspartnerin nicht viel übrig. Ob sich überhaupt etwas geändert habe seit 1994? Eigentlich nicht. Und dabei ist die Camdeboo Municipality wie das ganze Eastern Cape fest in der Hand des ANC.
Die bange Frage nach den Arbeitsmöglichkeiten beschäftigt uns bei der Anfahrt auf jeden Ort, wenn wir die großen townships sehen; viele Häuschen sind neu, eine Leistung der Regierung, aber wo sollen die Bewohner Arbeit finden? Viele Arbeitsplätze in der Dienstleistungs-industrie sind für unsere Verhältnisse schon mehrfach besetzt.
Das ist auch in Middleburg so, dem nächsten Ort. Am Sonntag wirkt das Stadtzentrum wie ausgestorben, niemand flaniert oder fährt Rad, einige Häuser sind regelrecht verrammelt. Nur vor den wenigen geöffneten (Lebensmittel-)Läden hängen schwarze Südafrikaner herum, Langeweile und Trostlosigkeit vertreibt aber auch das wohl nicht.
Nach Middleburg ist die Reise erstmal zu Ende, unser rechte Hinterreifen ist total zerfetzt. Also auspacken und nachsehen, was sich unten im Kofferraum befindet. Derweil brausen die Autos mit 120 Stundenkilometern an uns vorbei. Von der sprichwörtlichen Hilfsbereitschaft ist nichts zu spüren. Wir schaffen es dann allein und verstehen am nächsten Tag beim Blick in die Zeitung, warum niemand angehalten hat: ein Reifenwechsel ist in Südafrika total normal, 12 Millionen Reifen verschleisst das Land pro Jahr. Das ist vermutlich Weltrekord…
Also (es ist weiterhin Sonntag) nicht mehr über Seitenstraßen zum Gariep Dam (ehemals H.F. Verwoerd Dam), dem größten Stausee Südafrikas, sondern auf der Asphaltpiste schnurstracks nach Bloemfontein, laut Reiseführer die „Hochburg“ des Burentums. Melanie (siehe den nächsten Eintrag) zeigt uns auf dem Stadtplan die sehenswerten Gebäude und rät uns, die Strassen abzufahren. Wir aber fahren mitten hinein, weil wir das lieber zu Fuß machen wollen. Doch wir landen – gefühlt – nicht in einer Hochburg des Burentums, sondern in einer quirligen afrikanischen Stadt. Statt der schönen historischen Sandsteingebäude stechen die furchtbar hässlichen Bausünden der sechziger/siebziger Jahre ins Auge, die nun mit vielen Menschen, Kleinhandel und Straßengeschäften zu neuem Leben erwachen. Richtig gemütliches Sightseeing gelingt da nicht.
Nächstes Ziel – inzwischen ist es Dienstag – ist Kimberley. Hier kann man nicht nur in das „große Loch“ schauen und etwas über das Diamantenfieber zwischen 1871 und 1914 lernen, wir lesen in einem der Museen auch von einem einst lebendigen Stadtviertel, in dem überwiegend Malaien und Inder wohnten. Es wurde dem Erdboden gleichgemacht, anders als in Kapstadts berühmten District Six wurden hier auch die religiösen Orte geschleift. Und wieder wurden wir an bedeutende Persönlichkeiten erinnert. Der Journalist und Autor Sol Plaatje hat hier gelebt; er war der erste Generalsekretär des ANC. Jetzt werden er und die Gewerkschafterin Frances Baard in den offiziellen Verwaltungsbezeichnungen gewürdigt.
In Kimberley wechselt unsere Expedition die Richtung: Ab Morgen geht es wieder zurück, Richtung Kapstadt.

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