Wie messbar ist der Zustand einer Gesellschaft? Diese Frage hat uns am Tag nach der Auszeichnung für Albie Sachs beschäftigt. Das Institute for Justice and Reconciliation (IJR) hatte zu einem Workshop in die Public Library von Kapstadt eingeladen, um sein Reconciliation Barometer zu diskutieren. Seit 2003 veröffentlicht das IJR dieses Barometer jedes Jahr und versucht so, den Stand der Versöhnung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen in Südafrika darzustellen. 3500 Leute, eine demographisch repräsentative Gruppe, werden dazu befragt. Wie sicher fühlen sich die Südafrikaner, wie viel Vertrauen haben sie in die Regierung, in die anderen politischen Institutionen, wie hoffnungsvoll sehen sie die wirtschaftliche Zukunft, wie sehen sie den Dialog der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, wie die Förderung bislang benachteiligter Rassen, wie die Geschichte Südafrikas?
Aus all diesen Elementen setzt sich das Barometer zusammen, das zum Beispiel belegt, wie sehr die Stimmung der verschiedenen Volksgruppen von der wirtschaftlichen Lage und der Einschätzung der Zukunft abhängt – allerdings wohl eine Binsenweisheit, zu der man nicht unbedingt diese Befragung gebraucht hätte. Interessant aber, dass das Vertrauen ins Parlament und in die Regierung bei allen Gruppen in den vergangenen Jahren konstant immer weiter verloren gegangen ist. Nur noch 50 % alle Südafrikaner glauben, dass die politische Führung richtig handelt; vor sechs Jahren waren das noch 68 %. Interessanterweise war dieser Prozentsatz bei den Whites 2003 beim ersten Barometer sehr niedrig und hatte sich bis 2006 fast verdoppelt, ist dann aber wieder gesunken; bei den Blacks hat die Zustimmung zur Regierung seit 2004 kontinuierlich abgenommen.
Der Workshop sollte nun diskutieren, wie dieses Barometer weiterentwickelt werden könnte – aber leider war die Diskussion sehr akademisch-abgehoben und sehr „weiß“ – und man kann in der Tat heute ja durchaus fragen, wie wichtig das Stichwort „Versöhnung“ für einen 16jährigen Schwarzen überhaupt noch ist, der von der Apartheid selbst nichts mehr mitbekommen hat.
Am Abend des gleichen Tages lernten wir den nächsten Index kennen: The Open Society Monitoring Index. Im Oppenheimer-Raum des Afrikanistik-Seminars der University of Cape Town stellte die gleichnamige Stiftung dieses neue Instrument: Der Index soll den Stand der Demokratie in Südafrika widerspiegeln. Mamphela Ramphele – eine der intellektuellen Stars des Landes – kritisierte bei dieser Gelegenheit einmal mehr die Medienpolitik der Regierung. Der „free flow of information“ ist eines der zentralen Kriterien des Indexes für den Stand der Demokratie, die anderen beiden sind das Vertrauen in die Regierung und die Möglichkeit, sie für ihre Taten verantwortlich zu machen, sowie „the rule of law“ – also die Möglichkeit, seine Interessen aufgrund von Gesetzen auch einzuklagen.
25 Fachleute waren eingeladen worden, die einzelnen Bereiche wie mit Schulnoten zu bewerte. Das Ergebnis: Südafrika ist Durchschnitt – keines der Kriterien wurde bei einer Skala von 1 (miserabel) bis 10 (ausgezeichnet) besser als mit 6,0 bewertet; einzige Ausnahme: das Kriterium „Freie und faire Wahlen“ erhielt die Note 7,4. Die Unabhängigkeit der Justiz wurde dagegen besonders kritisch gesehen: nur 3,4 Punkte; der Wille der Politik, diese Unabhängigkeit zu wahren, wurde sogar nur mit der Note 2,8 bewertet.
Insgesamt also kein berauschendes Bild – aber ein weiterer Beleg dafür, dass die Zivilgesellschaft in Südafrika ziemlich stark ist und sich einem Abbau demokratischer Rechte nicht kampflos gefallen lässt.
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