Freitag, 20. August 2010

Matjiesfontein

Der Reiseführer spricht von der „skurrilsten Übernachtungs-möglichkeit in Südafrika“. Recht hat er! Matjiesfontein wird in den Broschüren nur selten erwähnt – und als wir vor der N1-Autobahn abfahren, wissen wir auch, warum. Die Ortschaft besteht nur aus wenigen Gebäuden, vor allem aus einem: dem „Lord Milner Hotel“.
Gebaut hat es der Schotte Jimmy Logan, der 1874 als junger Mann nach Südafrika kommt und in dem kleinen Nest Matjiesfontein an der Bahnlinie die Versorgung der Passagiere mit Lebensmitteln übernimmt. Bald ist Matjiesfontein ein beliebter Erholungsort für Kapstädter; während des Anglo-Buren-Krieges sind hier 10.000 britische Soldaten mit 20.000 Pferden stationiert, und das gerade gebaute „Lord Milner Hotel“ wird ein Lazarett für britische Offiziere. Dann gerät der Ort in Vergessenheit und wird erst 1968 aus dem Dornröschenschlaf gerissen: Das „Lord Milner“ wird restauriert, ist aber immer noch – siehe oben – ein leicht bizarrer Ausflug in die Geschichte.
Der Eingang pompös mit viel rotem Teppich, der Portier in roter Uniform arbeitet schon 23 Jahre für das „Lord Milner“, die Dielen knarren für Jahrhunderte, die Honeymoon-Suite hat ein Badezimmer mit zwei(!) Wannen, ist aber ohne Heizung und mit einem Teppichboden ausgestattet, der vor einem halben Jahrhundert verlegt worden sein muß und augenscheinlich schon viel erlebt hat. Einige Jahrzehnte vorwegnehmend wurde das Bad aber schon mit einem Radioempfänger versehen, man kann wählen zwischen English, Afrikaans, Springbok und Musik. Der Balkon in Richtung Bahnhof ist riesengroß: Alles ist irgendwie skurril, auf koloniale Grandezza ausgelegt und doch nur spärlich bewohnt. Im Winter ist das Hotel kaum gebucht – wir zählen acht, neun Gäste.
Beim Einchecken verspricht ein Zettel für nachmittags um sechs eine Stadtrundfahrt, und als wir nachfragen, heißt es: „Ja, wir können Jonny bitten, heute eine Tour zu machen.“ Es dürfte die kürzeste und abgedrehteste Stadtrundfahrt dieser Hemisphäre sein: Knapp zehn Minuten tuckern wir mit einem ausrangierten britischen Doppeldecker zweimal dieselben Straßen hinunter und hören vom Fahrer – „it’s show time“ – hundert Jahre alte Geschichten – und die von der britischen Königin, die nach dem Zweiten Weltkrieg im „Lord Milner Hotel“ teatime hatte (die Räume sind noch heute sehenswert). Big fun! Und Stimmenimitator ist Jonny auch noch: Zum Abschluß gibt’s eine Kostprobe von Eugene Terre’Blanche und Nelson Mandela.
Ab 19 Uhr wird im Hotel das Dinner serviert: alle Tische sind mit Kerzen illuminiert, die Stühle etwas altersschwach, die Möbel wohl fast 100 Jahre alt. Die Damen der Bedienung tragen weiße Häubchen, die an die schwarzen Mammies aus „Vom Winde verweht“ erinnern. Der Reiseführer hatte von einer gnadenlos schlechten Erlebnisgastronomie geschrieben – aber das Karoo-Lamm ist excellent, ebenso das Steak.
Der Barkeeper in der ebenso alten Bar des Hotels stammt auch aus Matjiesfontein. 370 Menschen leben hier, erzählt er – und sie leben für und mit dem Lord Milner“. Außer dem Hotel gibt es hier keine Arbeit. Nun ist der Besitzer in der vergangenen Woche verstorben, und niemand weiß so recht, wie es weitergeht. Eine Stiftung scheint Geld in das Dorf hineinstecken zu wollen – ein Spa und Konferenzzentrum ist geplant, und dreimal die Woche (wenn wir das richtig verstanden haben) halten Touristenzüge, Jonny macht seine Show, und die Bar bekommt Kundschaft.
Dabei fällt dann alles mögliche aus der globalen Welt ab. Am Nachmittag fragt uns ein freundlicher Mann, ob er mit uns sprechen könne. Aus der Tasche zieht er einen Geldschein, 1 Dinar der Bank von Bahrein. Ob wir wüssten, wie viel das wert sei. Nein, aber das könne man dann doch im I… - Ag ne, man, doch nicht in Matjiesfontein. Ob wir den Schein in Rand tauschen können? Wir geben ihm 10 und versprechen, jemanden zu fragen. Morgen wüssten wir dann, ob das zu wenig gewesen sei. Dann könnten wir ihm doch gleich 20 „bucks“ geben, dann müsse er morgen nicht wiederkommen. Die Logik ist bestechend, mit 20 Rand zieht er ab und erzählt noch von den ausländischen Münzen, die er gelegentlich von den Touristen bekommt.
Irgendwie kommen die Leute also über die Runden. Trotzdem will der Barkeeper das Hotel bald verlassen: Nein, in fünf Jahren werde er nicht mehr hier sein! Jungen Leuten wie ihm kann Matjiesfontein keine Zukunft bieten. Er hat schon ein Angebot, in der 25 Kilometer entfernten nächsten größeren Stadt zu arbeiten. Vielleicht will er auch in die Politik gehen – in die DA oder den ANC? Egal, sagt er, aber ich will etwas für meine Leute tun. Die, die bisher die Stimmen abgeräumt haben, haben nichts getan. Der letzte hatte einen Laden versprochen, aber dann doch nur eine „tavern“ aufgemacht.
Das ist dann nicht mehr skurril, sondern eine alltägliche Erfahrung in Südafrika…

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