Montag, 30. August 2010

Die Goema-Symphonie von Mac McKenzie

Mac McKenzie und Renate haben geheiratet - so hatte uns Regina geschrieben und gebeten, mit Wein, Buch und Glückwunschkarte in Bridgetown vorbeizufahren. Bridgetown ist Teil von Kapstadt, ein Wohngebiet für Coloureds der unteren Mittelklasse. In dem kleinen Haus des südafrikanisch-schweizerischen Ehepaares herrscht gute Stimmung, es wird gekocht und musiziert, und alle paar Minuten kommt jemand vorbei oder meldet sich per Handy für weitere Absprachen. Mac ist Musiker - ein gefragter Mann, arbeitet gleichzeitig an mehreren Projekten und war auch schon auf Deutschland-Tournee. Als wir in der kleinen Ein-Raum-Wohnung vorbeischauen, probt Mac gerade mit Godfrey, dem musikalischen Leiter des Fugard-Theaters, und mit Pieter-Dirk Uys soll auch eine neue Show einstudiert werden.
An einer Weltpremiere nehmen wir zehn Tage später teil: das Cape Town Goema Orchester mit 27 Mitwirkenden führt Macs erste Goema-Symphonie auf. Goema, so wird die Kapstädter Karneval-Musik genannt, aber sie ist noch mehr, sagt Mac: „Das ist die Musik von Kapstadt, nicht nur zum Karneval. Der Rhythmus geht in jedes Herz und jede Seele – Goema ist die Art, wie wir gehen und tanzen, wie wir reden, wiie wir miteinander umgehen. Goema ist ganz einfach eine Sprache.“
Mac hat mit diesen Elementen eine richtige Symphonie komponiert – für die klassischen Geiger, Cellisten und Flötistinnen eine echte Herausforderung, wie uns Renate in der Pause erzählt. Mit Gitarre, Bass, Marimba und Mbira kombiniert ergibt das eine manchmal sehr witzige Mischung. Im SABC-Studio in Greenpoint hat sich zur Premiere ein bunt gemischtes Publikum eingefunden, ein eher seltenes Zusammentreffen: In der Regel gibt es weiter eine „weiße“ und eine „schwarze“ Kultur. Macs Goema-Symphonie schlägt hier eine Brücke, und das Publikum hat sichtlich Spaß an der Musik. Auch den Musikern gefällt es; drei Tage lang haben sie intensiv geprobt, und die erste Geigerin atmet sichtbar auf, als der Schlussakkord erklingt. Der Rundfunk hat mit aufgezeichnet; Dokumentarfilmer haben den Abend gefilmt – und Mac McKenzie und Renate hoffen auf eine baldige zweite Aufführung. Genug kleine Festivals gäbe es.

Streik im öffentlichen Dienst

Seit über einer Woche streiken in Südafrika mehr als eine Million Angestellte des öffentlichen Dienstes – vor allem Lehrer und das Gesundheitspersonal. „Gehen Sie mal aufs Amt, wenn sie einen Antrag abgestempelt haben wollen“, sagt uns ein Südafrikaner. „Da sitzen die Leute herum, und alles dauert ziemlich lange. Aber wenn sie streiken, dann tanzen und springen sie (toyi-toying genannt) und entwickeln sie plötzlich eine ungeahnte Energie, als ob sie an den Olympischen Spielen teilnehmen wollten.“
Der Tanz der Streikposten vor den Polizisten in Kimberley lässt ein wenig von dieser Energie ahnen: Vor der City Hall kämpfen tanzend ungefähr 100 Streikende – ihnen stehen fast ebenso viele Polizisten gegenüber. Am Ende zieht sich die Polizei mit ihrem Wasserwerfer langsam zurück. Sein Wasser ist mit blauer Farbe versetzt – sie lässt sich von der Haut nur schwer wieder abwaschen und erleichtert die Festnahmen, erklärt uns ein wohlgenährter Passant vor seinem Auto. Er hat Verständnis für die Streikenden: „Sie wehren sich dagegen, dass die Regierung sie ausplündert.“ Die Streikenden selbst erzählen, dass die hellblaue Flüssigkeit unangenehm auf der Haut ist.
Die Gewerkschaft verlangt 8,6 Prozent mehr Lohn und 1000 Rand Wohngeld, die Regierung will nur 7 Prozent und 700 Rand geben. Ein junger Lehrer verdient 12.000 Rand im Monat, umgerechnet 1.200 Euro. Wenn man einer (alleinerziehenden) Lehrerin zuhört, die eine Hypothek auf ihrem Haus abzahlt und klagt, dass sie sich nicht einmal ein Auto leisten könne, kann man den Streik schon verstehen.
Die Regierung aber bleibt diesmal hart, argumentiert - ebenfalls verständlich -, dass diese wieder über der Inflationsrate liegenden Lohnerhöhungen auf Kosten drängender anderer Ausgaben (für die Menschen ganz ohne Job und für die Infrastruktur) gehen würden. In den letzten fünf Jahren haben sich die Ausgaben für den öffentlichen Dienst fast verdoppelt. Weil der Streik zudem essentielle öffentliche Bereiche trifft, sammelt die Regierung mit ihrer harten Haltung bei der Bevölkerung im Moment Punkte (sogar im SABC-Fernsehen locker „brownie points“ genannt).
Angesehen ist der Lehrerberuf ohnehin nicht. Immer wieder hören wir Schauergeschichten aus südafrikanischen Schulen: von Lehrern, die überhaupt nicht zum Unterricht erscheinen, weil sie keine Lust haben oder nebenbei ein Taxiunternehmen betreiben; von Schülern, die beim Schulabschluss noch nicht einmal ihren Namen richtig schreiben können; von Schulen, die korrupte Ministerialbeamte erfunden haben, um Gelder für sie abrechnen zu können, die aber niemals existiert haben. Südafrika gibt viel Geld für Bildung aus, aber die Qualität der Schulbildung in vielen öffentlichen Schulen ist so miserabel, dass das Land in internationalen Vergleichsstudien à la Pisa schlecht abgeschnitten hat – seitdem nimmt es an vielen Studien gar nicht mehr teil.
Selbst Rita Weissenberg von „Shine“, die für die Arbeit mit pensionierten Lehrern im vergangenen Jahr den „Reconciliation Award“ des „Institute for Justice and Reconciliation bekommen hat, sagt nach einem Halbsatz mit Hinweis auf gute Pädagogen über die Lehrergewerkschaft SADTU: „I’m fed up with them.“ Und der „Mail & Guardian“ kommentierte letzte Woche: „Die Lehrergewerkschaft gehört ganz eindeutig zu den Haupthindernissen für die Reform eines vergleichsweise teuren und auf groteske Weise unzureichenden Bildungssystems.“

Orania

Orania
… ist aus Funk und Fernsehen wahrscheinlich bekannt. Dort haben sich dickköpfige Buren angesiedelt, denen das neue Südafrika von Anfang an nicht geheuer war, die gern von diesem unabhängig sein wollen. Wir sind, weil wir noch eine größere Strecke vor uns hatten, nicht reingefahren, haben aber in diesem trockenen Terrain die vielen bewässerten Felder registriert. Und mit Erstauen gelesen, was die offizielle Touristenbroschüre über das diesen Ort geschrieben hat:
„Orania ist ein Beispiel für die ‚traditionelle’ Art der Afrikaaner zu leben und zeigt darüber hinaus den Erfindungsreichtum einer marginalisierten Gemeinschaft mit modernen Bewässerungstechniken, die sie in enger Zusammenarbeit mit Pionieren in Israel anwenden. Außerdem gibt es dort den einzigen umfassend organisch betriebenen Weinbau im Südlichen Afrika, eine ebenfalls nach ausgeklügelten Methoden arbeitende Milchwirtschaft, und schließlich werden auch noch Pecan-Nüsse für den Export angebaut.“

Stille Waters

„Übernachtet doch auf der Farm“, rief Dieter ins Telefon, als wir uns bei ihm aus Kimberley meldeten. Richmond lag dafür in der Tat günstig, in diesem großen Land nur ein paar hundert Kilometer entfernt, und so lernten wir „Stille Waters“ kennen, eine Farm in der Karoo.
David und Kerstin mit ihren kleinen Kindern John und Hannah sind seit einem guten Jahr auf dieser Farm. Der nächste Kindergarten ist 60 Kilometer entfernt, der nächste große Laden auch – Holz für den Kamin, Milch, Tomaten und Bohnen hatten wir unterwegs für den Abend eingekauft.
5000 Hektar ist die Farm groß, vier Arbeiter leben mit ihren Familien auf der Farm. David erzählt, dass Vieh auch gewildert wird. Vor kurzem war ein Schaf getötet und das Fleisch im Graben versteckt worden – was der Farmer aber entdeckt hatte. Nachts legten er sich mit einem seiner Farmarbeiter in der Nähe auf die Lauer und erwischte einen Mann, der das Fleisch wegbringen wollte. „Die Täter sind hier cleverer als die Polizei“, erzählt er. Sie operieren zu dritt, einer fährt mit dem Fahrrad ganz harmlos vorbei und sondiert die Lage, ein anderer kommt dann zu Fuß, wenn die Luft rein zu sein scheint. Und der dritte beobachtet mit dem Fernrohr, was passiert und gibt per Handy Anweisungen. „Technisch sind die besser ausgerüstet als wir“, meint David.
Ein Polizist aber ist wachsam. Als wir auf der Farm übernachteten, kam abends um elf Uhr ein Streifenwagen vorbei. Der Polizist hatte Licht in dem Haus gesehen, in dem wir übernachteten und wollte wissen, ob alles in Ordnung sei. Dem Farmer hat er erzählt, dass er allein unterwegs sei, weil seine Kollegen lieber in der Wachstube säßen. Er hat versucht, von seinem Chef ein „unmarked“ Auto zu bekommen, also eines, das nicht gleich als Polizeifahrzeug erkennbar ist. Solche hat die Station auch. Aber der Chef hatte abgewunken…
Dieses Engagement ist schon außergewöhnlich – es gibt genug Geschichten, dass die Farmer oft ganz auf sich allein gestellt sind und von den Behörden keinerlei Hilfe erhalten. Und wenn sie mal jemand „red-handed“ (auf frischer Tat) geschnappt haben, dann wird der Fall oft so schlampig aufgenommen, dass kein Gerichtsverfahren möglich ist. Aber nun scheint es besser zu werden, ein patenter Polizist wurde nach Richmond versetzt, und die Farmer haben bereits ein Treffen mit der Polizei abgehalten. „Wir können nur Erfolg haben, wenn wir auch ihre Probleme verstehen“, sagt David.
Am nächsten Morgen machen wir uns nach einem Spaziergang um das Wasserreservoir (es weht ein kalter Wind!) wieder auf den Weg, schauen noch an der Hauptstraße von Richmond bei den Buch-Häusern vorbei (mittlerweile fünf Häuser im Dorf sind mit alten Büchern gefüllt, die Bibliotheken aussortiert haben; man kann stöbern und kaufen, und im Oktober gibt es ein Buch-Festival mit vielen Autoren, die dann in Richmond lesen – aber das ist eigentlich schon wieder eine ganz eigene Geschichte), und wir haben neue Hochachtung vor dem Farmerleben gewonnen.

Sonntag, 29. August 2010

Alles Roger

Wenn wir an die T-Kreuzung nach Calitzdorp kämen, sollten wir unbedingt bei dem Fotografen reinschauen, hatte uns Charles vom Guesthouse in Prince Albert gesagt. Drei Häuser stehen an der Kreuzung, und als wir die Klingel suchen, kommt ein Mann auf uns zu: Wir haben Roger, den Fotografen, gefunden.
Seit vier Jahren wohnt Roger hier in der Einsamkeit. Der Garten ist eine Pracht. Ein Gärtner hilft ihm; der Verkauf der Pflanzen steuert zum Einkommen bei. Im Haus ist Rogers Werkstatt: Eigentlich ist er Tischler. Ein großer, alter Schrank beherrscht den Raum – nein, alt sei der nicht, sagt Roger, den habe er getischlert. Das Holz stamme aus Südamerika und sei heute gar nicht mehr zu bekommen. Ein wunderbares Stück, das ein Kunde in Johannesburg zwar bestellt habe, dann aber nicht bezahlen konnte, weil seine Geschäfte mit China zusammengebrochen seien. „Aber er war ein gentleman und hat den schon ausgelieferten Schrank zurückexpediert.“
Nebenan ist Rogers Werkstatt, penibel aufgeräumt – gerade ist ein Tisch aus African Rosewood in Arbeit. Bei Roger würden auch wir sofort tischlern lassen.
Und Fotographieren kann er auch noch – ein kleines Zimmer ist mit großen Bildern vollgestellt. Sehr schade, dass es noch keinen Fotoband von ihm gibt; viele seiner Schwarz-Weiß-Bilder zeigen starke Geschichten – die vom Arbeiter, der in der trockenen Karoo-Erde ein Grab für seinen fünf Monate alten Sohn ausheben muss; die township-Hunde, die ein neues Zuhause gefunden haben und herumtollen.
Eine halbe Stunde verbringen wir mit Roger Young – seine Mailadresse scheint nicht zu lügen: „everyoung“ heißt sie. Wir sollten wiederkommen, meint er, dann könnten wir in Ruhe einen Kaffee trinken.

Konzentrationslager

In Hopetown entdecken wir an einer Tankstelle auf der Schnellstraße ein Werbeblättchen: Ein paar Kilometer entfernt liegt eine kleine Farm, auf deren Gebiet noch Überbleibsel aus dem „Anglo-Boer War“ zu finden seien. Kurz entschlossen fahren wir dort hin und klingeln. Ja, sagt Rina Wiid, die Farmersfrau, sie könne uns das alles zeigen. Wir klettern vorn ins Bakkie: Zwei Stunden dauert die Tour mit Rina.
Als die Wiids Mitte der 90er Jahre die Farm kauften, ahnten sie nichts von der Geschichte dieses Geländes. Aber mit der Zeit entdeckten sie, dass um 1900 hier tausende britische Soldaten stationiert waren – und ein Konzentrationslager errichtet wurde. Wer mit Rina über das Gelände geht, entdeckt lauter Kleinigkeiten: verrostete Dosen, Flaschenöffner, Uniformknöpfe, Pfeifenteile, Munitionsreste – alle Fundstücke hat sie sorgfältig dokumentiert. Mit den Jahren ist Rina eine Expertin in Sachen Burenkrieg geworden. Und sie zweifelt die offizielle Geschichtsschreibung an: Es seien vermutlich sehr viel mehr Buren umgekommen als bis jetzt angenommen.
Auch ein kleiner Friedhof mit einem Mahnmal gehört zu ihrer Farm. Aus dem Kriegsmuseum in Bloemfontein wissen wir, dass in den Lagern vor allem Kinder umgekommen sind. Als Erdmännchen auf ihrem Friedhof einige Knochen ausgebuddelt hatten und Rina sie in Pretoria untersuchen ließ, stellte sich heraus, dass es Knochen von zwei Kindern waren – obwohl laut offizieller Liste eine erwachsene Frau in dem Grab beerdigt sein sollte. Rina vermutet, dass sie darunter liegt - ein Beleg dafür, dass es mehr Tote gegeben hat, als die offiziellen Listen besagen.
In der Nähe des Friedhofes hat sie in einem Häuschen, Teil des ehemaligen Krankenhauses, ein kleines Museum eingerichtet, in dem viele Fotos und Fundgegenstände die Geschichte des Lagers dokumentieren. Für uns neu: In diesem Lager waren schwarze und weiße Südafrikaner gemeinsam inhaftiert. „Sie haben die Schwarzen benutzt, um die Buren zu demütigen“, sagt Rina dazu. In den Archiven sei bei manchen Kindern „Vater unbekannt“ notiert worden, das seien von Briten oder von schwarzen Südafrikanern gezeugte Kinder gewesen. Das habe man aber vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten versucht.
Steine markieren, wie groß die Zelte waren, in denen die Gefangenen leben mussten. Zwei Dutzend Menschen auf engstem Raum – und das bei 45 Grad Hitze im Sommer und Minustemperaturen im Winter.
Auch Nachfahren der Buren, die hier inhaftiert waren, haben das Museum bereits besucht. Und Rina hat ihr Wissen auch zu Papier gebracht, mit Fotos als Belegen und Fußnoten mit Verweisen auf Literatur und Archive. Und das alles in diesem spärlich ausgestatteten Framhaus.„Das ist alles aus privater Initiative geschehen“, sagt sie. „Der Staat hat kein Interesse an dieser Geschichte.“ Demnächst wird sie aber in Bloemfontein im Museum über das berichten, was sie auf ihrer Farm gefunden, dokumentiert und in verschiedenen Broschüren festgehalten hat.
Zurück in Kapstadt werden wir das neue Buch von Bill Nasson über den Anglo-Burischen in der „Book Lounge“ abholen und nun bestimmt bald lesen.

Prince Albert

„Als ich vor elf Jahren hierher zog, war hier nichts los“, erzählt uns der Galerist, „wenn zwei Autos in der Stunde die Hauptstraße entlang fuhren, haben wir schon gesagt, ‚Oh, heute ist ja ganz schön Betrieb.’“ Prinz Albert ist immer noch ein Geheimtipp, wird das aber wohl nicht mehr lange bleiben: Der abgelegene Ort am Rande der Karoo hat sich mittlerweile ganz schön gemausert. Beim Frühstück in Graaff-Reinet hatte uns das nette Ehepaar aus „P.E“ (Port Elizabeth, ganz korrekt: Nelson Mandela Metropole) gesagt, dass wir Prince Albert dringend besuchen sollten.
Schon die Anfahrt war ein Erlebnis: Nach der trockenen und manchmal doch etwas eintönigen Karoo ein fruchtbares Tal, mittendrin eine Weinfarm, bei der man schon beim Durchfahren sieht, dass hier nicht Winzer, sondern Investoren am Werk sind. Und dann auf einmal Blumen, Büsche, gepflegte Gärten: Prince Albert. Viele Gästehäuser, ein altehrwürdiges Hotel (das gerade versteigert werden soll), viktorianische Häuser, die liebevoll restauriert worden sind oder restauriert werden, einladende Cafés, Galerien – und kein einziger Stacheldraht- oder Elektrozaun um die Grundstücke, die Schilder „Armed Response“ sucht man hier vergeblich. Hier sind nur die Polizeistation und das kleine Gefängnis mit Zäunen und Gittern so geschützt wie andernorts die Wohnhäuser. Der Antiquitätenhändler ist seit einigen Tagen in Kapstadt, seine teuren Waren hat er aber draußen auf der Veranda stehen lassen. Unser Guesthouse hat einen wunderbar gepflegten Rasen, aber keinen Zaun; viele Anwohner halten Schwätzchen auf der Straße, es herrscht eine von Wohlstand und Sicherheit genährte Freundlichkeit. Fast jeder grüßt - auch uns, die Fremden. Auf der breiten Straße wird sogar Fahrrad gefahren. Wir reiben uns die Augen.
„Ja, einige Ausländer haben hier Grundstücke gekauft“, sagt uns Charles, der Guesthouse-Besitzer. Aber noch haben die Südafrikaner die Mehrheit. „Wir sind keine Wochenend-Stadt wie das näher an Kapstadt liegende Greyton“, meint die Frau, die uns einen betörenden Apfelkuchen verkauft, „man muß hier schon herziehen, und dann engagiert man sich auch für die Gemeinde.“ Mittlerweile hat Prince Albert gute Restaurants, eine sehr interessante Galerie (wir kaufen dort eine Foto-Serie über die Karoo), eine Kochschule, eine wunderbare Käserei (siehe Bild!) und ist weit mehr als das in den Reiseführern beschriebene Dorf mit umliegendem Obstanbau.
Mit der Abgeschiedenheit erklärt man uns auch, dass es so gut wie keine Kriminalität gibt, die nächst größeren Städte sind alle etwa 150 km entfernt. Alkoholprobleme gibt es auch hier, das zeigen schon die „Drankwinkel“ gegenüber dem township. Aber es gibt keine harten Drogen, keine Bandenkriege, und die Zuwanderung hält sich in Grenzen.
Aber was machen Sie denn, wenn Sie eine englischsprachige Zeitung lesen oder ein Buch kaufen wollen? fragen wir den Galeristen. Das ist kein Problem, sagt er, Bücher lassen wir von Amazon kommen, und wenn wir eine Zeitung wollen, dann wissen wir schon, wer an diesem Tag in die Stadt fährt (zum Beispiel nach Oudtshorn), der bringt sie uns dann mit.
Das glauben wir gern.

Dienstag, 24. August 2010

Wie Gott in Frankreich

Ein Tisch im (Korn)Veld - auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Die kulinarischen Genüsse in Südafrika suchen ihresgleichen. Auch wenn der Plastiktisch in der Halbwüste wie hier nach einer Traktorfahrt beim "Ouden Kraal" vor Bloemfontein nur der Vorbote für den obligatorischen Sundowner ist...
„Hi, I’m Gordon“, wurden wir an der Tür begrüßt, als wir in Graaf-Reinet beim B&B nach einer Übernachtungsmöglichkeit fragten. Schnell war klar: Gordon war vor drei Jahren Besitzer geworden, um der Koch sein zu können. Als junger Mann hatte er eine Lehre zum Koch wegen des mühseligen Kartoffelschälens abgebrochen, studierte lieber Jura und arbeitete anschließend als Investment Banker.
Man kann sich bei Gordon nicht einfach an den Tisch setzen, man muß vielmehr in der Lounge Platz nehmen. Wenn – endlich – alle Gäste eingetroffen sind, erscheint der Chef mit einem kleinen Notizheft am Kamin und erklärt seinen Gästen, was ihnen gleich aufgetischt werden soll. Sie haben die Wahl zwischen zwei Vorspeisen, zwei Hauptgerichten und zwei Nachtischen – und Gordon wirbt mit einprägsamen Worten für jede der Möglichkeiten. Für einen der Nachtische habe er zwei Tage gebraucht, und er sei jede Minute wert; das Wild für das Hauptgericht – Kudu-Steak – habe er selbst geschossen, und wir würden uns die Finger danach lecken. Um die gute Qualität nicht zu überdecken, wird es gar nicht erst gewürzt, sondern nur mit Olivenöl eingerieben.
Als überzeugter Slow-Food-Anhänger hatte Gordon es nicht eilig, und seine afrikanische Küchenmannschaft ist mittlerweile so gut trainiert, dass er sich noch länger mit seinen Gästen unterhalten kann, während die kombinierten Suppen und die Frühlingsrolle schon serviert werden. Und wirklich: Der Abend ist ein einziger Genuß. Der zelebrierende Koch und die moderne Karoo-Küche sind inzwischen schon Kult, die Botschafter verschiedener Länder sind deswegen schon nach Graaf-Reinet gekommen.
Am Tag zuvor, in Beaufort-West, hatten wir schon ein Karoo-Buffet nach Hausfrauenart kennnengelernt, ebenfalls sehr schmackhaft, magenfüllend und ausgesprochen preiswert.
„De Oude Kraal“ 35 Kilometer vor Bloemfontein schoss dann aber den Vogel ab. Die riesige Farm „Wilhelmshöhe“, auf der Kühe, Schafe und drei Strauße weiden, wird seit fast zwei Jahrzehnten auch als Guesthouse geführt – und was für eins! Die Kochkünste der Besitzerin sind berühmt, auch wir waren nach dem ersten Fünf-Gang-Menü hingerissen. Das Ambiente war gleichzeitig familiär und hochprofessionell. Während wir zum Abschluss an der Bar noch einen guten Cognac tranken, hatte ein freundliches Wesen in unseren Zimmern die Heizdecken eingeschaltet, so dass wir dann äußerlich und innerlich gewärmt einschlafen konnten.
Außerhalb von Südtirol haben wir kaum je so gut gegessen. Kurz entschlossen haben wir unseren Aufenthalt um einen Tag verlängert, um das Dinner noch ein zweites Mal miterleben zu können. Kein Wunder, dass „De Oude Kraal“ viele Stammgäste hat und auch in diesen Wintertagen fast ausgebucht war. Unser Gourmet-Tipp daher: Vorbuchen!!

Ein Quilt zum "Burenkrieg"

Was bei uns „Burenkrieg“ genannt wird (wohl wegen der einseitigen Parteinahme), heißt in Südafrika „Anglo-Boer War“ – und obwohl er schon mehr als einhundert Jahre zurückliegt, sind wir immer wieder erstaunt darüber, wie sehr dieser Krieg heute noch im Bewusstsein der Südafrikaner verankert ist. Ein Gutteil der Ressentiments zwischen afrikaanssprachigen Buren und englischsprachigen Südafrikanern lässt sich damit begründen.
In Bloemfontein haben wir ein Museum besucht, das diesem Anglo-Boer War gewidmet ist, wir waren fast alleine dort. Es ist ein althergebrachtes, eher düsteres Museum, in dem brav ein Ausstellungsstück neben das andere gereiht wurde. Wir haben auch aber neues gelernt, etwa, dass die burischen Gefangenen auch in Lager in andere britische Kolonien verschifft wurden und dass es auch Konzentrationslager für Schwarze gab.
Detailliert ist im Museum festgehalten, was Frauen und Kinder in den einzelnen Konzentrationslagern – zumeist Zeltstädten – in Südafrika erlitten. Unter den Toten überwiegen die Kinder, die den eiskalten Winter oft nicht überstanden haben.
Ein Ausstellungsstück im Museum sticht hervor: ein riesiger, aus der Ferne dreidimensional wirkender Quilt, der auf 15 Teilen das Schicksal der Frauen in diesem Krieg darstellt. Melanie vom „Ouden Kraal“ hatte uns darauf aufmerksam gemacht: Ihre historisch interessierte und handwerkliche begabte Mutter hat diesen Quilt produziert und dem Museum gestiftet; am 9. August, dem südafrikanischen Frauentag war er dort aufgehängt worden. Ihr war nur gesagt worden, er könne ruhig groß sein – dass er soooo groß werden würde, habe das Museum wohl nicht geahnt, meinte Melanie lächelnd. Nun ist der Quilt im 1. Stock des Museums kaum zu übersehen.

Von Kapstadt nach Kimberley

Nach dem bizarren Matjiesfontein war das bodenständige Beaufort West unser nächster Anlaufpunkt. Trucker machen hier gern Station, es gibt Geschäfte und Handwerksbetriebe. Der wohl berühmteste Sohn der Stadt war Christian Barnard, der als Sohn eines Missionars dort geboren wurde und später bekanntlich ein sehr glamouröses Leben führte. Es gibt ein kleines Museum zu seinen Ehren, in dem vor allem die zahlreichen Auszeichnungen des Herzspezialisten ausgestellt sind. Am Ende bekam der in aller Welt bekannte Doktor aus Rumänien sogar Heilmittel gegen seine Arthritis zugesandt.
Anders als in Kapstadt werden wir überall in Afrikaans angesprochen und bedauern es einmal mehr, dass wir diese schon sehr vertraut klingende Sprache nicht sprechen. Schon oft haben wir beobachtet, dass Argumente und Emotionen auf Afrikaans mit sehr viel mehr Verve vorgetragen werden. Ein Vortrag von Professor Sampie Terreblanche hörte sich auf Englisch trotz allem Eifer bieder an; als er ins Afrikaans fiel, klang das ganz wortgewaltig. Und auch der weltgewandte und derzeit in Washington lehrende Professor Charles Villa-Vicencio wechselte bei der Diskussion letzte Woche ins Afrikaans, als er etwas unterstreichen bzw. jemanden ansprechen wollte.
Wie präsent das Afrikaans im Western Cape ist, merkten wir beim vergeblichen Versuch, in Beaufort West eine englischsprachige Zeitung zu kaufen. Gelesen wird hier „Die Burger“ oder das Boulevardblatt „Son“. Bei CNA, der landesweiten Kette für Zeitungen/Zeitschriften und Schreibwaren, erhalten wir die Auskunft, man habe früher mal die linksliberale Wochenzeitung „Mail & Guardian“ angeboten, aber niemand habe ihn gekauft.
Eine wichtige und bittere Nachricht erfahren wir zwei Tage später bei Bloemfontein (hier hat das höchste Gericht des Landes seinen Sitz) aber doch. Im schönen Guesthouse wohnt auch Jeremy Gauntlett, der berühmte Anwalt, der vor dem SADC-Tribunal den Sieg der Farmersfamilie gegen Mugabe mit erstritten hat. Nun haben die SADC-Staaten bei ihrem letzten Gipfel beschlossen, das Tribunal nicht nur grundsätzlich zu überprüfen, sie haben einfach auch die Richter nicht mehr bestätigt, so dass es jetzt nicht mehr arbeiten kann. Ein Sieg für Mugabe und ein weiteres trauriges Beispiel dafür, dass Rechtsstaatlichkeit weiterhin nicht prioritär ist bzw. abgewürgt wird, wenn das Ergebnis nicht passt. Finanziert hat dieses Tribunal übrigens die EU.
Zurück nach Beaufort West. Am nächsten Morgen verlassen wir die Nationalstrasse 1 und fahren eine kleinere über Aberdeen nach Graaf-Reinet. Die Karoo-Landschaft ist eintönig, es gibt auch keine großen Tankstellen mehr, diese gut organisierten Versorgungsbetriebe, auf denen man erstehen kann, was man für die Reise braucht und manchmal auch, was die Region zu bieten hat.
Die Nationalstraßen sind hervorragend in Schuss, auch die nicht geteerten gravel roads (eine sind wir bisher gefahren) werden gepflegt. Überall wird ausgebessert und verbreitert. Gibt es eine Baustelle, wird sie von mindestens acht Schildern angekündigt, bevor man von einer Fahnenschwenkerin endgültig zum Halten bewegt oder durchgewunken wird. Irgendwo muss es eine Verordnung geben, nach der diese Tätigkeit an Frauen vergeben wird.
Wer den Film „Red Dust“ gesehen hat – aus Anlass der WM wieder im Fernsehen ausgestrahlt – erinnert sich vielleicht an die Einfahrt der Wagen der Wahrheits- und Versöhnungskommission in das Tal. Die Stadt rühmt sich, einer der historischen Glanzpunkte des Landes zu sein. Jedenfalls sind 200 Häuser unter Denkmalschutz gestellt, es gibt auch eine Reihe von Museen und mitten in der Stadt die alles überragende NG Kerk. Wir kommen gegen Mittag hier an, an einem Samstag. Eine ungünstige Zeit, wie sich herausstellt, denn die Museen sind bald zu.
Die Dame im Old Library Museum ermuntert uns zwar, noch schnell Eintritt zu zahlen, ist aber dann sehr hinterher, dass wir auch bald durch sind. Dabei interessiert uns der Raum über Robert Sobukwe, den Begründer des Pan Africanist African Congress. Er wurde in Graff-Reinet geboren, war später auf Robben Island inhaftiert und hat anschließend als Rechtsanwalt in Kimberley gearbeitet. Seine Witwe soll noch in Graaf-Reinet leben. Die Bitte um eine Fotokopie eines langen Artikels aus der „Sunday Times“ über das heutige Graaf-Reinet und diesen berühmten Sohn der Stadt stösst allerdings auf komplettes Unverständnis.
Auch in den anderen Städten und Museen (in Bloemfontein wurde der ANC begründet!) werden wir in den nächsten Tagen an berühmte schwarze Widerständler erinnert – der schwergewichtige deutsche Reiseführer von Iwanowski, der im vorderen Teil des Buch um Landeskundliches sehr bemüht ist, schreibt in den Absätzen über die meisten Städte eigentlich nur über die europäische Siedlungsgeschichte. Dabei bieten auch Graaf-Reinet, Bloemfontein und Kimberley township-Touren bzw. historische Spaziergänge an. In Bloemfontein ist noch zu spüren, dass der World Cup auch der Selbstpräsentation der Stadt auf die Sprünge geholfen hat.
50 km nördlich von Graaf-Reinet und abseits der großen Straße liegt Nieu Bethesda, unser nächstes Ziel. Von trockenem Karoo-Charme spricht Iwanowski. Damit meint er offenbar vorwiegend die dort lebenden Weißen, die in diesem abgelegenen Tal u.a. Käse produzieren, Bier brauen, Gäste beherbergen und Läden betreiben. Zum Ort gehören aber auch 50 inzwischen afrikaanssprechende Xhosa und etwa 900 Coloureds. Arbeit für sie gibt es nur wenig, die wenigen Farmer haben ja schon ein paar Arbeiter auf ihrem Gelände, allenfalls für die Schafschur können sie noch mal jemanden gebrauchen.
Ja, es gebe eine Schule, erfahren wir, aber die sei so schlecht, dass die Kinder, die später nach Graaaf-Reinet geschickt werden, oft nicht mal ihren Namen richtig schreiben können. Für die Lehrerinnen und Lehrer hat unsere Gesprächspartnerin nicht viel übrig. Ob sich überhaupt etwas geändert habe seit 1994? Eigentlich nicht. Und dabei ist die Camdeboo Municipality wie das ganze Eastern Cape fest in der Hand des ANC.
Die bange Frage nach den Arbeitsmöglichkeiten beschäftigt uns bei der Anfahrt auf jeden Ort, wenn wir die großen townships sehen; viele Häuschen sind neu, eine Leistung der Regierung, aber wo sollen die Bewohner Arbeit finden? Viele Arbeitsplätze in der Dienstleistungs-industrie sind für unsere Verhältnisse schon mehrfach besetzt.
Das ist auch in Middleburg so, dem nächsten Ort. Am Sonntag wirkt das Stadtzentrum wie ausgestorben, niemand flaniert oder fährt Rad, einige Häuser sind regelrecht verrammelt. Nur vor den wenigen geöffneten (Lebensmittel-)Läden hängen schwarze Südafrikaner herum, Langeweile und Trostlosigkeit vertreibt aber auch das wohl nicht.
Nach Middleburg ist die Reise erstmal zu Ende, unser rechte Hinterreifen ist total zerfetzt. Also auspacken und nachsehen, was sich unten im Kofferraum befindet. Derweil brausen die Autos mit 120 Stundenkilometern an uns vorbei. Von der sprichwörtlichen Hilfsbereitschaft ist nichts zu spüren. Wir schaffen es dann allein und verstehen am nächsten Tag beim Blick in die Zeitung, warum niemand angehalten hat: ein Reifenwechsel ist in Südafrika total normal, 12 Millionen Reifen verschleisst das Land pro Jahr. Das ist vermutlich Weltrekord…
Also (es ist weiterhin Sonntag) nicht mehr über Seitenstraßen zum Gariep Dam (ehemals H.F. Verwoerd Dam), dem größten Stausee Südafrikas, sondern auf der Asphaltpiste schnurstracks nach Bloemfontein, laut Reiseführer die „Hochburg“ des Burentums. Melanie (siehe den nächsten Eintrag) zeigt uns auf dem Stadtplan die sehenswerten Gebäude und rät uns, die Strassen abzufahren. Wir aber fahren mitten hinein, weil wir das lieber zu Fuß machen wollen. Doch wir landen – gefühlt – nicht in einer Hochburg des Burentums, sondern in einer quirligen afrikanischen Stadt. Statt der schönen historischen Sandsteingebäude stechen die furchtbar hässlichen Bausünden der sechziger/siebziger Jahre ins Auge, die nun mit vielen Menschen, Kleinhandel und Straßengeschäften zu neuem Leben erwachen. Richtig gemütliches Sightseeing gelingt da nicht.
Nächstes Ziel – inzwischen ist es Dienstag – ist Kimberley. Hier kann man nicht nur in das „große Loch“ schauen und etwas über das Diamantenfieber zwischen 1871 und 1914 lernen, wir lesen in einem der Museen auch von einem einst lebendigen Stadtviertel, in dem überwiegend Malaien und Inder wohnten. Es wurde dem Erdboden gleichgemacht, anders als in Kapstadts berühmten District Six wurden hier auch die religiösen Orte geschleift. Und wieder wurden wir an bedeutende Persönlichkeiten erinnert. Der Journalist und Autor Sol Plaatje hat hier gelebt; er war der erste Generalsekretär des ANC. Jetzt werden er und die Gewerkschafterin Frances Baard in den offiziellen Verwaltungsbezeichnungen gewürdigt.
In Kimberley wechselt unsere Expedition die Richtung: Ab Morgen geht es wieder zurück, Richtung Kapstadt.

Freitag, 20. August 2010

Matjiesfontein

Der Reiseführer spricht von der „skurrilsten Übernachtungs-möglichkeit in Südafrika“. Recht hat er! Matjiesfontein wird in den Broschüren nur selten erwähnt – und als wir vor der N1-Autobahn abfahren, wissen wir auch, warum. Die Ortschaft besteht nur aus wenigen Gebäuden, vor allem aus einem: dem „Lord Milner Hotel“.
Gebaut hat es der Schotte Jimmy Logan, der 1874 als junger Mann nach Südafrika kommt und in dem kleinen Nest Matjiesfontein an der Bahnlinie die Versorgung der Passagiere mit Lebensmitteln übernimmt. Bald ist Matjiesfontein ein beliebter Erholungsort für Kapstädter; während des Anglo-Buren-Krieges sind hier 10.000 britische Soldaten mit 20.000 Pferden stationiert, und das gerade gebaute „Lord Milner Hotel“ wird ein Lazarett für britische Offiziere. Dann gerät der Ort in Vergessenheit und wird erst 1968 aus dem Dornröschenschlaf gerissen: Das „Lord Milner“ wird restauriert, ist aber immer noch – siehe oben – ein leicht bizarrer Ausflug in die Geschichte.
Der Eingang pompös mit viel rotem Teppich, der Portier in roter Uniform arbeitet schon 23 Jahre für das „Lord Milner“, die Dielen knarren für Jahrhunderte, die Honeymoon-Suite hat ein Badezimmer mit zwei(!) Wannen, ist aber ohne Heizung und mit einem Teppichboden ausgestattet, der vor einem halben Jahrhundert verlegt worden sein muß und augenscheinlich schon viel erlebt hat. Einige Jahrzehnte vorwegnehmend wurde das Bad aber schon mit einem Radioempfänger versehen, man kann wählen zwischen English, Afrikaans, Springbok und Musik. Der Balkon in Richtung Bahnhof ist riesengroß: Alles ist irgendwie skurril, auf koloniale Grandezza ausgelegt und doch nur spärlich bewohnt. Im Winter ist das Hotel kaum gebucht – wir zählen acht, neun Gäste.
Beim Einchecken verspricht ein Zettel für nachmittags um sechs eine Stadtrundfahrt, und als wir nachfragen, heißt es: „Ja, wir können Jonny bitten, heute eine Tour zu machen.“ Es dürfte die kürzeste und abgedrehteste Stadtrundfahrt dieser Hemisphäre sein: Knapp zehn Minuten tuckern wir mit einem ausrangierten britischen Doppeldecker zweimal dieselben Straßen hinunter und hören vom Fahrer – „it’s show time“ – hundert Jahre alte Geschichten – und die von der britischen Königin, die nach dem Zweiten Weltkrieg im „Lord Milner Hotel“ teatime hatte (die Räume sind noch heute sehenswert). Big fun! Und Stimmenimitator ist Jonny auch noch: Zum Abschluß gibt’s eine Kostprobe von Eugene Terre’Blanche und Nelson Mandela.
Ab 19 Uhr wird im Hotel das Dinner serviert: alle Tische sind mit Kerzen illuminiert, die Stühle etwas altersschwach, die Möbel wohl fast 100 Jahre alt. Die Damen der Bedienung tragen weiße Häubchen, die an die schwarzen Mammies aus „Vom Winde verweht“ erinnern. Der Reiseführer hatte von einer gnadenlos schlechten Erlebnisgastronomie geschrieben – aber das Karoo-Lamm ist excellent, ebenso das Steak.
Der Barkeeper in der ebenso alten Bar des Hotels stammt auch aus Matjiesfontein. 370 Menschen leben hier, erzählt er – und sie leben für und mit dem Lord Milner“. Außer dem Hotel gibt es hier keine Arbeit. Nun ist der Besitzer in der vergangenen Woche verstorben, und niemand weiß so recht, wie es weitergeht. Eine Stiftung scheint Geld in das Dorf hineinstecken zu wollen – ein Spa und Konferenzzentrum ist geplant, und dreimal die Woche (wenn wir das richtig verstanden haben) halten Touristenzüge, Jonny macht seine Show, und die Bar bekommt Kundschaft.
Dabei fällt dann alles mögliche aus der globalen Welt ab. Am Nachmittag fragt uns ein freundlicher Mann, ob er mit uns sprechen könne. Aus der Tasche zieht er einen Geldschein, 1 Dinar der Bank von Bahrein. Ob wir wüssten, wie viel das wert sei. Nein, aber das könne man dann doch im I… - Ag ne, man, doch nicht in Matjiesfontein. Ob wir den Schein in Rand tauschen können? Wir geben ihm 10 und versprechen, jemanden zu fragen. Morgen wüssten wir dann, ob das zu wenig gewesen sei. Dann könnten wir ihm doch gleich 20 „bucks“ geben, dann müsse er morgen nicht wiederkommen. Die Logik ist bestechend, mit 20 Rand zieht er ab und erzählt noch von den ausländischen Münzen, die er gelegentlich von den Touristen bekommt.
Irgendwie kommen die Leute also über die Runden. Trotzdem will der Barkeeper das Hotel bald verlassen: Nein, in fünf Jahren werde er nicht mehr hier sein! Jungen Leuten wie ihm kann Matjiesfontein keine Zukunft bieten. Er hat schon ein Angebot, in der 25 Kilometer entfernten nächsten größeren Stadt zu arbeiten. Vielleicht will er auch in die Politik gehen – in die DA oder den ANC? Egal, sagt er, aber ich will etwas für meine Leute tun. Die, die bisher die Stimmen abgeräumt haben, haben nichts getan. Der letzte hatte einen Laden versprochen, aber dann doch nur eine „tavern“ aufgemacht.
Das ist dann nicht mehr skurril, sondern eine alltägliche Erfahrung in Südafrika…

Aufbruch

Donnerstag, 19. August, 11.50 Uhr: Wir brechen zur ersten Expedition ins Landesinnere auf. Drei Wochen Kapstadt sind wie im Flug vergangen; jetzt wollen wir die große Stadt verlassen. Die erste Reise geht quer durch die Karoo in Richtung Kimberley – dort ist es jetzt tagsüber 27, nachts aber nur 2 Grad warm bzw. kalt. Mal sehen, wie uns das gefällt…

Mittwoch, 18. August 2010

Public Library

Die "Public Library" von Kapstadt liegt mitten in der Innenstadt, an der "Grand Parade", dem Platz vor dem Rathaus - zentraler gehts nicht. Wir haben das Gebäude beim Workshop des Instituts für Gerechtigkeit und Versöhnung zum erstenmal betreten - und fühlten uns in die Studentenzeit zurückversetzt. Großzügige Regale über drei Stockwerke (es war offensichtlich früher einmal eine alte Fabrikhalle - noch heute wird von der "Drill Hall" gesprochen), viele alte Bücher, sorgfältig eingebunden und mit Bibliothekszeichen versehen - und viele Schwarzafrikaner, die das Angebot nutzten, an den Lesetischen saßen und ihre Lektüre studierten. 40.000 Besucher zählte die Bibliothek im Jahre 2004 jeden Monat. Mit Hilfe einer amerikanischen Stiftung ist sie damals in die "Drill Hall" eingezogen. Vom Königreich der Mayas bis zur Volksrankheit Diabetes ist thematisch alles vertreten; ein spezielles Regal ist für "Easy Reading" und damit wohl für die Anfänger reserviert.
Geklaut wird vermutlich auch hier; am Eingang jedenfalls wird automatisch kontrolliert, und vor den Workshop-Räumen sitzt eine Wache - und weist uns flüsternd darauf hin, dass im nächsten Raum auch Internet-Computer zur Verfügung stehen. Lesen kann hier offensichtlich jeder; wer Bücher entleihen will, braucht einen Ausweis. Wenn Zeit dafür ist, werden wir die Bestände einmal genauer unter die Lupe nehmen!

Reconciliation Barometer und Open Society

Wie messbar ist der Zustand einer Gesellschaft? Diese Frage hat uns am Tag nach der Auszeichnung für Albie Sachs beschäftigt. Das Institute for Justice and Reconciliation (IJR) hatte zu einem Workshop in die Public Library von Kapstadt eingeladen, um sein Reconciliation Barometer zu diskutieren. Seit 2003 veröffentlicht das IJR dieses Barometer jedes Jahr und versucht so, den Stand der Versöhnung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen in Südafrika darzustellen. 3500 Leute, eine demographisch repräsentative Gruppe, werden dazu befragt. Wie sicher fühlen sich die Südafrikaner, wie viel Vertrauen haben sie in die Regierung, in die anderen politischen Institutionen, wie hoffnungsvoll sehen sie die wirtschaftliche Zukunft, wie sehen sie den Dialog der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, wie die Förderung bislang benachteiligter Rassen, wie die Geschichte Südafrikas?
Aus all diesen Elementen setzt sich das Barometer zusammen, das zum Beispiel belegt, wie sehr die Stimmung der verschiedenen Volksgruppen von der wirtschaftlichen Lage und der Einschätzung der Zukunft abhängt – allerdings wohl eine Binsenweisheit, zu der man nicht unbedingt diese Befragung gebraucht hätte. Interessant aber, dass das Vertrauen ins Parlament und in die Regierung bei allen Gruppen in den vergangenen Jahren konstant immer weiter verloren gegangen ist. Nur noch 50 % alle Südafrikaner glauben, dass die politische Führung richtig handelt; vor sechs Jahren waren das noch 68 %. Interessanterweise war dieser Prozentsatz bei den Whites 2003 beim ersten Barometer sehr niedrig und hatte sich bis 2006 fast verdoppelt, ist dann aber wieder gesunken; bei den Blacks hat die Zustimmung zur Regierung seit 2004 kontinuierlich abgenommen.
Der Workshop sollte nun diskutieren, wie dieses Barometer weiterentwickelt werden könnte – aber leider war die Diskussion sehr akademisch-abgehoben und sehr „weiß“ – und man kann in der Tat heute ja durchaus fragen, wie wichtig das Stichwort „Versöhnung“ für einen 16jährigen Schwarzen überhaupt noch ist, der von der Apartheid selbst nichts mehr mitbekommen hat.
Am Abend des gleichen Tages lernten wir den nächsten Index kennen: The Open Society Monitoring Index. Im Oppenheimer-Raum des Afrikanistik-Seminars der University of Cape Town stellte die gleichnamige Stiftung dieses neue Instrument: Der Index soll den Stand der Demokratie in Südafrika widerspiegeln. Mamphela Ramphele – eine der intellektuellen Stars des Landes – kritisierte bei dieser Gelegenheit einmal mehr die Medienpolitik der Regierung. Der „free flow of information“ ist eines der zentralen Kriterien des Indexes für den Stand der Demokratie, die anderen beiden sind das Vertrauen in die Regierung und die Möglichkeit, sie für ihre Taten verantwortlich zu machen, sowie „the rule of law“ – also die Möglichkeit, seine Interessen aufgrund von Gesetzen auch einzuklagen.
25 Fachleute waren eingeladen worden, die einzelnen Bereiche wie mit Schulnoten zu bewerte. Das Ergebnis: Südafrika ist Durchschnitt – keines der Kriterien wurde bei einer Skala von 1 (miserabel) bis 10 (ausgezeichnet) besser als mit 6,0 bewertet; einzige Ausnahme: das Kriterium „Freie und faire Wahlen“ erhielt die Note 7,4. Die Unabhängigkeit der Justiz wurde dagegen besonders kritisch gesehen: nur 3,4 Punkte; der Wille der Politik, diese Unabhängigkeit zu wahren, wurde sogar nur mit der Note 2,8 bewertet.
Insgesamt also kein berauschendes Bild – aber ein weiterer Beleg dafür, dass die Zivilgesellschaft in Südafrika ziemlich stark ist und sich einem Abbau demokratischer Rechte nicht kampflos gefallen lässt.

Montag, 16. August 2010

Alltagserfahrungen

Strom kommt auch in Südafrika aus der Steckdose. Aber nicht unbedingt automatisch aus der Leitung. Er kommt in vielen Haushalten nur, wenn man zuvor Einheiten erworben hat. Man geht in einen Laden, gibt seine Kundennummer an, bezahlt (zum Beispiel) 300 Rand, bekommt einen Code, den man zuhause eintippt. Das Gerät sollte man gut im Auge behalten, umso mehr, als die Uhr nun schneller läuft, da die Strompreise gerade erst kräftig erhöht wurden. Die Regierung hat notwendige Investitionen verschleppt, nun müssen schnell neue Kraftwerke gebaut werden. Dazu wurde ein Weltbankkredit beantragt (und bewilligt), dazu werden aber auch die Stromkunden zur Kasse gebeten.
Von einem indischen Restaurant in der Kloofnek Road haben wir am Freitag abend beobachtet, dass in der Küche beschäftigte Frauen (die alle Plastikhauben tragen) zum gegenüber liegenden Laden (Friendly Shoppe) liefen, aber weder Brot noch irgendwie sonst etwas Erkennbares erwarben. Möglicherweise sollten sie „Strom“ kaufen. Kurze Zeit später gingen nämlich die Lichter aus, der Kellner räumte - leicht verlegen - ein, man habe offenbar versäumt, rechtzeitig Einheiten zu erwerben.

Geld kann man an Automaten (ATMs) ziehen. Entweder bei der Bank, aber auch in verschiedenen Geschäften. In letzteren kann man nur 1000 Rand (100 Euro) ausgezahlt bekommen, dafür aber auch sein Handy aufladen. „Air Time“ heisst das, und ist ein ganz begehrtes Gut. Von Wissenschaftlern der Universität Kapstadt befragt, artikulierten Jugendliche im Township Du Noon ihren Wunsch nach „Air Time“, von den Forschern flugs als moderner Ausdruck von Hunger bzw. als Wunsch der Teilhabe an Modernität interpretiert. Jedenfalls gibt es mehr cell phones als Festnetzanschlüsse (durchaus auch ein Sinnbild für das Versagen des Staates in Afrika), während handys weit verbreitet sind und inzwischen auch erfolgreich für Bankgeschäfte überhaupt genutzt werden können. Wir staunen, dass selbst Studenten blackberrys haben…
Geldautomaten müssen natürlich auch wieder aufgefüllt werden, und das ist in Südafrika ein aufregender Vorrang. Als wir jüngst zum nahegelegenen Lifestyle Center spazieren, einer Art Mini-Shopping Mall, kreuzte uns ein Mann in Kampfanzug und mit Maschinengewehr. Natürlich dachten wir eine Sekunde an Kino, aber der Mann bezog Position vor dem netten kleinen Schreibwarenladen. Eine weitere Sekunde später erinnerten wir uns an einen Bericht im politischen Magazin „On Assignment“ (eine der ganz wenigen, wenn nicht die einzige sehenswerte Sendung des südafrikanischen Fernsehens SABC) über brutale Überfälle auf Geldtransporte. Und dann sahen wir auch das verbarrikadierte Gefährt auch auf der Straße stehen.

Buchläden sind eher selten. Kapstadt hat aber zwei ganz hervorragende, die auch häufig Lesungen anbieten, einmal Kalk Bay Books und zum anderen die Booklounge in der Innenstadt. Und natürlich existiert auch immer noch Clarke’s in der Long Street. Exclusive Books gibt es im ganzen Land (und inzwischen auch in anderen afrikanischen Ländern) - nicht schlecht, aber eben auch mit einem zentral gesteuerten Angebot. Ich erinnere mich noch gut an den Ausgangspunkt, den „linken“ Buchladen im damals (1991) trendigen Johannesburger Stadtteil „Hillbrow“.
Im Lifestyle Center gibt es auch einen kleinen Laden von „Exclusive Books“. Wie andere Buchläden auch, überarbeitet er gerade sein Sortiment, die verbilligten Bücher werden auf einer Art Tapetentisch vor dem Laden angeboten. Macht der Laden zu, werden sie nicht etwa hereingetragen; vielmehr werden Pappen darüber ausgebreitet - und über alles soll dann eine Frau wachen. Die aber findet das ziemlich langweilig und blickt lieber auf den kleinen Bildschirm ihres cell phones.

Menschen statt Maschine. Im Keller des Lifestyle Centers ist eine (drei Stockwerke) tiefe Garage. An der Einfahrt gab es einst einen Automaten, aus dem man ein Ticket zog. Der Automat ist seit ungefähr zwei Jahren defekt. Seitdem sitzt dort ein Mensch, meist eine Frau, und schreibt erst mit der Hand die Zeit auf das Ticket und hält dann eine „disc“ an einen kleinen Kasten, was wiederum auslöst, dass die Schranke angehoben wird. In einem Land mit fast vierzig Prozent Arbeitslosigkeit ist das ziemlich erfreulich.
Heute abend um 19.41 hatte die Einleserin aber die Füsse hochgelegt und schlief fest. Unsere freundliche Ansprache weckte sie keinesfalls auf. Also hielten wir die Disc selbst an den Kasten, die Schranke ging nach oben. Was unsere Worte nicht vermochten, löste das elektronische Signal aus: sie machte die Augen auf und schrieb uns ein Ticket. Um gleich darauf die Augen wieder zuzumachen. Die nächste Einparkerin verdrehte uns gegenüber die Augen, musste aber auch etwas schmunzeln.

Diebe haben es in der Innenstadt (CBD genannt) nicht mehr so leicht, es gibt nicht nur Überwachungskameras, sondern auch an jeder Ecke Wachpersonal, zu Fuss, per Rad und manchmal auch zu Pferde. Dennoch sah Ekkehard auf einmal einen Finger an seiner Kleidung entlangfahren und machte gerade noch rechtzeitig eine abschreckende Bewegung, woraufhin der Mann Leine zog. Alles war gut gegangen, doch das Straßenleben war nun anders. Die uns als nächstes begegnende Frau merkte an: That man has been following you. Daraufhin sagte der Türsteher des gegenüberliegenden Hotels: „Der hatte es auf sie abgesehen, ich habe ihn genau beobachtet.“ Den Mann festzuhalten und zu klären, ob etwas gestohlen worden war - das hatte niemand als wichtig erachtet Stattdessen nahm sich der kräftige schwarzeTürsteher einen kleineren farbigen Mann mit Leuchtweste vor: „Hier, sag den Leuten von deiner Organisation, von der Stadt, dass sie ihre Arbeit nicht tun, dass sie nicht aufpassen.“ Doch der war nur für die Reinigung eingeteilt, dem Hotelmann sprachlich nicht gewachsen, aber doch seiner begrenzten Rolle so sicher, dass er kehrend von dannen zog.

Lesen!

Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Büchern von europäischen bzw. amerikanischen Journalisten bzw. Schriftstellern, die in afrikanischen Ländern aufgewachsen sind. Alexandra Fuller (Let’s don’t go to the dogs tonight, deutsch: Unter afrikanischer Sonne) schildert sehr lakonisch und faszinierend, wie sich ihre Eltern in Rhodesien/Simbabwe durchgeschlagen haben. Aminatta Forna, die in Schottland geboren und in Sierra Leone groß geworden ist, hat in The Devil That Danced on the Water (deutsch: Tanz mit dem Teufel) über ihre Familie geschrieben, ein ebenfalls sehr schönes Buch. Nun liegt ein drittes wunderbares Werk dieses Genres (half memoir, half travelogue) vor: Douglas Rogers erzählt in The Last Resort von seinen Eltern, die im Simbabwe Robert Mugabes ebenso störrisch wie stoisch an ihrer Lodge festhalten.
Touristen kommen nicht mehr, aber das Ehepaar Rogers beherbergt auf seinem Land die unterschiedlichsten Menschen: vertriebene Farmer und verfolgte Angehörige der Opposition, aber auch Angestellte des Elektrizitätswerks, die dafür sorgen können, dass die Versorgung einigermaßen funktioniert. Zwischendurch fungiert das verpachtete Restaurant mit den Chalets auch als Adresse für Schäferstündchen von verheirateten Simbabwern mit ihren Freundinnen oder Prostituierten, und kurzzeitig wird es zum beliebten Ausflugslokal einer durch Diamantenhandel gut betuchten und schicken Jugend. Zusätzlich müssen die beiden Rogers’ auch noch zwischen Geldwechslern, Regierungsfunktionären, jugendlichen Schlägern und selbsternannten, aber undurchsichtigen Beschützern navigieren. Und immer wieder erfahren diese weißen Simbabwer Unterstützung von schwarzen Landsleuten.
Wer an Simbabwe bzw. an Afrika interessiert ist, wer wissen möchte, wie man unter bizarren Umständen (über-)lebt oder einfach nur ein hinreißendes Buch lesen will - Amazon macht’s möglich. Und vielleicht findet sich ja auch in diesem Fall ein deutscher Verlag.

Ein Preis für Albie Sachs

Bischof Tutu haben wir schon dreimal bei offiziellen Anlässen gesehen: auf der Buchmesse, bei „Dance for All“ und jetzt erfreulicherweise schon wieder, am Mittwoch abend, bei einer Preisverleihung für den Verfassungsrichter Albie Sachs. Das Institute for Justice and Reconciliation zeichnete Sachs mit seinem „Reconciliation Award“ aus und feierte dies mit einer Veranstaltung im Konferenzzentrum des Botanischen Gartens Kirstenbosch. Und da wir das Institut früher oft besucht haben, waren wir auch auf die Einladungsliste.
Albie Sachs ist eine beeindruckende Persönlichkeit: Schon mit 17 Gegner der Apartheid, wurde er mehrfach gebannt und kam 168 Tage in Einzelhaft, ging dann 1966 ins Exil und arbeitete dort eng mit der ANC-Führung zusammen. 1988 pflanzte die Apartheid-Regierung eine Bombe in sein Auto in Mosambik; bei dem Anschlag kam er fast ums Leben. Er verlor einen Arm, ein Auge und musste vieles erst wieder mühsam lernen. Sein Buch „The soft vengeance of a freedom fighter“, das er darüber schrieb (deutsch „Die sanfte Rache eines Freiheitskämpfers“), gehört zu den bewegendsten Büchern, die ich gelesen habe – ein „must read“! Als Sachs 1990 nach Südafrika zurückkehrte, gehörte er bald zu den Vätern der neu erarbeiteten Verfassung, und erst 2009, mit 74 Jahren, ging er als Verfassungsrichter in Pension – widerstrebend, wie eine Kollegin in Kirstenbosch erzählte.
Es war ein Erlebnis, ihn live zu erleben (Renate hatte Anfang der neunziger Jahre an einem Seminar der FES mit ihm teilgenommen). Es sei schon paradox, für gute Taten ausgezeichnet zu werden, meinte Sachs, denn schließlich mache man das ja nicht wegen einer Auszeichnung. Den Preis nehme er aber trotzdem gern entgegen: „It’s lekker to be appreciated.“ Gleichzeitig sei er aber traurig, weil er vielleicht zum letzten Mal mit Desmond Tutu öffentlich auftreten könne (Tutu hatte jüngst seinen Rückzug aus dem öffentlichen Leben angekündigt). Und er bat das Publikum um standing ovations für den Erzbischof. Das stand dafür gerne auf.

Samstag, 14. August 2010

Abenteuer Telekom-Hotline

Ein glückliches Gesicht: Renate ist es gerade gelungen, eine e-Mail abzusetzen – die Freude ist groß. Seit drei Wochen sind wir nun in Kapstadt, seit drei Wochen schlagen wir uns mit der Telekom herum, um Zugang zu unseren Mails zu bekommen, und erst seit einigen Tagen haben wir einen work-around gefunden, der uns halbwegs hilft.
Das Problem lässt sich in drei Teile gliedern, und nur in einem Punkt ist die Deutsche Telekom vollkommen unschuldig: Der Internet-Zugang in der Bath Street ist nicht ganz einfach. Es gibt einige W-Lan-Netze in der Nachbarschaft, und eines von dem benachbarten Guesthouse ist ungesichert – unser bei Skyrove erworbener Zugang ins Internet. Leider reicht der Sender gerade bis zum Hauseingang, manchmal nur bis zur Grundstücksgrenze, und die Übertragungsrate ist entsprechend schwach. Bis man sich da ins weltweite Netz eingewählt hat, dauert es – und manchmal ist das Netzwerk auch ganz verschwunden.
Da loben wir uns die Internet-Cafés. In dem des Lifestyle Centers sind wir bereits Stammgast, werden mit Handschlag begrüßt und haben eine Abo-Karte. Seine Mails aber nur per Webmail der Telekom lesen zu können, treibt einen über kurz oder lang mit Sicherheit in den Wahnsinn. Das konnte kein Dauerzustand sein. Und jetzt kommen die anderen beiden Problemfelder zum Tragen, bei denen die Telekom eine ziemlich unrühmliche Rolle spielt.
In Hamburg hatten wir extra einen Feldversuch gestartet und Mails mit unseren Netbooks in einem Hotel mit W-Lan abgerufen – problemlos. Als wir dasselbe in Kapstadt probieren wollten, tat der Telekom-Server so, als ob er unsere beiden Mailkonten nicht kennen würde. Eine Mail an die T-Online-Hotline brachte die Standard-Antwort, mit hilfreichen Angaben, welche Daten zum Abruf der Mails eingegeben werden müssen. Auf die zweite Mail, dass wir dies alles bereits machten, aber der gewünschte Erfolg ausgeblieben sei, kam die zweite Standard-Antwort desselben Inhalts, nur diesmal mit Bildern. Auf die dritte Mail, dass dies wenig hilfreich sei, kam die dritte Hotline-Antwort, das Problem sei zu vielschichtig, und wir mögen doch anrufen.
In den Tiefen des Internets findet sich auch eine Nummer, die die T-Online-Hotline extra für Auslands-Anrufe geschaltet hat. Drei Tage lang haben wir versucht, sie zu erreichen – immer ertönte das Besetzzeichen. Abends um 23 Uhr hatte ich dann immerhin die Tonschleife im Ohr, dass zur Zeit alle Kundenberater ins Gespräch vertieft seien und man nur etwas Geduld haben möge; der nächste Berater sei bereits für uns reserviert. Das wurde nach zehn Minuten allerdings auch etwas monoton, und ich gab auf.
Wer immer einmal die Hotline der Telekom erreichen will, hier ein heißer Tip: Nachts gegen 3 Uhr sind die Chancen, nicht nur mit Automaten zu reden, am größten. Vor einigen Tagen gelang uns um diese Zeit der Durchbruch: Herr Kruse lieh uns für unser Problem sein Ohr. Auf den Hinweis, die notwendigen Daten seien alle korrekt eingegeben, war allerdings auch er erst einmal ratlos. Weitere Hilfe sei nur am lebenden Beispiel möglich, und damit war der persönliche Kontakt mit der Hotline unter Hinweis auf die schwache Sendleistung unseres Guesthouse-W-Lans beendet.
Ganz untätig waren wir in der Zwischenzeit allerdings auch nicht gewesen. Googlemail hatte keine Schwierigkeiten, Konten in Kapstadt abzurufen, und unter Aufbietung aller Recherchekünste war es im Kundencenter von T-Online gelungen, für meine Mails eine Umleitung auf ein Googlemail-Konto einzurichten – allerdings musste ich dazu erst ein E-Mail-Paket bei der Telekom buchen, das mir gegen eine geringe Gebühr meine Mails jetzt noch sicherer macht. Für Renates Mail sagte der Telekom-Computer aber trotz aller Versuche hartnäckig, wir hätten kein Recht, eine Umleitung einzurichten.
Also neue Mails an die Hotline, die Abhilfe versprach und meinte, am 10.8. sollten wir eine Umleitung einrichten können. Pustekuchen. Neue Mails, neue Ankündigung – und siehe da, seit zwei Tagen haben wir auch für Renates Konto eine Umleitung. Mittlerweile ist die erste Umleitung sogar überflüssig geworden, weil der Telekom-Server mich mittlerweile auch von Kapstadt aus akzeptiert. Warum er dafür so lange gebraucht hat, weiß vermutlich nur die Telekom, und vielleicht nicht einmal die.
Nur damit Ihr so wisst, was wir in den ersten drei Wochen Kapstadt so alles getrieben haben…

Sonntag, 8. August 2010

Cape Town Film Studios

Hollywood arrives in Cape Town
… das meldete 2003 die gediegene British Broadcasting Corporation. In dem Bericht sparten damals weder der (damalige) Premierminister Rasool noch das Dreamworld Film City Konsortium mit großen Worten: 8.000 Arbeitsplätze sollten entstehen, in einer Art „Marshallplan“ Südafrikaner für das Filmgewerbe qualifiziert werden. Die Eröffnung war für 2005 vorgesehen. Doch nichts geschah; bei unseren nachfolgenden Besuchen konnten wir immer nur auf das feuchte Gelände gegenüber dem großen und armen Khayelitsha verweisen.
Seit zwei Jahren gibt es einen neuen Anlauf, und nun waren wir am Freitag zur sneak preview eingeladen! Zum ersten mal bekamen einige Film- und Pressemenschen zu sehen, wie weit die Filmstudios sind: mächtige Hallen sind entstanden und mächtig beeindruckend war auch, was wir bei der Führung zu sehen bekamen. Unser Freund Nico Dekker, CEO und gerade zurück aus Hollywood, steckte viele Gäste mit seinem Enthusiasmus an.
Von der Autobahn sieht man schon zwei große Hallen, und wenn man auf die Straße nach Stellenbosch abgebogen ist und das Gelände erreicht hat, sind alle vier im Blick. Einige Büros sind bereits bezogen, die Schmink- und die Star-Garderoben werden gerade möbliert, die Hallen-Technik ist eindrucksvoll: 16 Meter hoch, schalldicht, eine mächtige Aircondition – das kann mehr als die britischen Pinewood-Studios, in denen die Bond-Filme entstanden sind.
Und fast an jedes Detail wurde gedacht: Plug & Play heisst das, die ebenso launischen wie kühl kalkulierenden Filmbosse müssen ja anbeißen.
Obwohl noch fast alles nicht fertig ist, hat die erste Produktionsfirma schon mit der Arbeit begonnen. Den Herren gefällt es, dass sie auf der einen Seite auf den Tafelberg und auf der anderen Seite auf die Berge von Somserset West blicken können. Die offizielle Eröffnung der Studios sollte erst Anfang, dann Ende Oktober sein, wird aber wohl jetzt doch wohl erst im kommenden Februar stattfinden, weil viele der „big shots“ (damit ist auch der Präsident nebst Ehefrauen gemeint) für den Oktober schon ausgebucht waren. Zu tun ist bis dahin jedenfalls noch eine ganze Menge, aber schon jetzt ist deutlich, dass dieses Studio für die Filmindustrie Südafrikas ein Quantensprung nach vorn ist. Das gibt es auf dem afrikanischen Kontinent noch nicht. Und mit den vier Produktionshallen ist es nicht getan: Mehr als 100 Filmfirmen haben bereits ihr Interesse bekundet, sich auf dem Gelände anzusiedeln – das wird die Phase 2 des Projektes sein. Und Phase 3 ist auf dem Reißbrett auch schon geplant: Wohnhäuser und Appartement-Blocks sollen das Gelände zu einer richtigen Filmstadt machen. Die BBC-Meldung stimmte also - nur der Zeitpunkt war etwas verfrüht...

Neighbourgoods Market

Das Wort "Woodstock" ist ja bei uns eigentlich anders besetzt, aber hier in Kapstadt ist das ein älterer Stadtteil – nicht direkt beim Zentrum, nicht besonders fein, eher ein gemischtes Viertel. An der Hauptstraße gibt es viele Händler & Handwerksbetriebe. Samstags ist vieles verrammelt, dafür stehen aber kilometerlang Mittelklassewagen am Strassenrand. Das liegt an der Old Biscuit Mill Factory, einem ehemaligen Fabrikgelände, in dem nun Kunsthandwerk und Antiquitäten verkauft werden. Gleich nebenan ist jeden Samstag ein Markt, der so viele Menschen anzieht, dass man im Gedränge kaum voran kommt.
Die parking guards hatten alle Hände voll zu tun, die Fahrer in nur ihnen bekannte Parklücken einzuweisen. Halb Kapstadt schien heute dort zu sein – das halbe weiße Kapstadt: Coloureds and Schwarze waren nur vereinzelt zu sehen. Der Whatiftheworld Neighbourgoods Market ist vor allem eine Fressmeile. Französischer Käse, hausgemachte Terrinen, Apfelstrudel, Döner, Wein, Limoncello, hauchdünne Pizzas auf Holzplatten, Wraps, selbst eingemachte südafrikanische Marmelade, Honig, Sushi, Fisch – "everything sold here is organic, eco-friendly, handpicked, caught this very morning", sagen die Werbetexte.
Als wir etwas Käse kaufen wollten, grüßte uns der deutsche Generalkonsul – er stand vor uns in der Schlange. Er empfahl uns gegenüber Käse von einem Stand gegenüber, den weltbesten Brie, hergestellt in KwaZulu-Natal …aber der Stand war heute nicht aufgebaut, Winterferien.
Der Markt ist ein Erlebnis – aber durchaus so teuer wie der Isemarkt in Hamburg. Das erklärt dann wohl die etwas einseitige Zusammensetzung der Kunden. In den Käse kann man sich reinlegen, nicht zu reden von der mit Brandy veredelten Wildterrine…
www.neighbourgoodsmarket.co.za

Den öffentlichen Raum zurückerobern

Kapstadt hatte während der WM auch eine Fanmeile: von der Grand Parade, dem Platz vor dem Rathaus, bis hin zum neuen Stadion in Green Point. Da war während des World Cups viel los; selbst Nichtfussballfans haben das entspannte Miteinander im öffentlichen Raum genossen. Denn das gibt es im Alltag sonst selten. Im „Normalfall“ bewegt sich die weiße Mittelschicht von einem mindestens eingezäunten, häufig von Kameras überwachten, vielfach sogar einzeln bewachten Gelände im eigenen Auto zum nächsten (etwa vom eigenen Haus zum Büro oder zur Shopping Mall). Wer von den townships der Schwarzen oder der Coloureds in die Stadt will, fährt meist „Taxi“: mit Minibussen, die sehr voll, aber nicht sehr sicher sind und deren Fahrer es meist sehr eilig haben. Die Weltmeisterschaft hat nun einen Schub gebracht, endlich erste Routen für ein öffentliches Busnetz einzurichten.
Der Spaziergang über die Fanmeile ist auch jetzt eine Freude. Es sind nur wenig Menschen unterwegs, aber alles ist ordentlich angelegt und enthält vor allem ein Versprechen: ein nichtkommerzialisierter öffentlicher Raum. Warum hat man die Brücken über die vielbefahrene Buitengracht bloß nicht früher gebaut? Vor dem Stadion sehen wir dann die erste Busstation. Wow! Gegen Wind und Wetter geschützt, kann man dort ein- und aussteigen. Außer ein paar Arbeitern ist zwar niemand da, aber die Strecke ist ja auch noch nicht in Betrieb; es wird, so sehen wir später, an anderer Stelle noch gebaut. Schon jetzt aber hat Green Point, so heißt dieser Teil Kapstadts, mächtig gewonnen.
Wenn es gelingt, ein öffentliches Bussystem so stark zu machen, dass auch der ständig wachsende Individualverkehr mit seinen elenden Staus zurückgedrängt werden kann, dann ist wirklich etwas gewonnen. Apartheid war ja auf Trennung angelegt, hier könnten nun in mehrfacher Hinsicht neue Verbindungen entstehen. Das wäre wirklich die vielbeschworene und im politischen Alltag längst als Waffe benutzte „Transformation“.
Befahren wird derzeit nur die Strecke vom Gebäude der Stadtverwaltung zum Flughafen, die Busse sind meist leer, aber ein Anfang ist gemacht. Die Linie soll bis nach Atlantis, weit im Norden der Stadt, verlängert werden.
Atlantis - das ist eine Geschichte für sich. Die Apartheidbürokraten begannen 1977 dort eine neue Stadt aus dem Boden stampfen, um Coloureds dorthin zu locken bzw. auszusiedeln und Industrie anzusiedeln. 2010 sollten dann eine halbe Million Menschen in Atlantis leben. Was man heute dort sieht, ist das Scheitern dieser Art von social engineering - ein trauriger und trostloser Ort, an dem Betriebe eher schließen als neu entstehen.
Dass nun dorthin die erste Buslinie eingerichtet wird, hat den ANC auf den Plan gerufen, den es ohnehin wurmt, dass in der Kapprovinz nun die Democratic Alliance unter Helen Zille regiert. Die Entscheidung zeige ein weiteres Mal den rassistischen Charakter der DA: Der größere Bedarf an öffentlichen Transportmöglichkeiten sei doch im riesigen, ganz überwiegend schwarzen Khayelitsha im Osten der Stadt. Doch dorthin gibt es immerhin eine Bahnlinie. Gerade erst, eigentlich muss es heißen: endlich, ist der Bahnhof von Kapstadt renoviert worden. Hell und freundlich sieht er nun von innen aus, und die Fliesen sind so blank, dass man dort sogar ausrutschen kann, hat uns eine stolze Kapstädterin gewarnt. In der kommenden Woche werden wir uns das einmal anschauen.

Donnerstag, 5. August 2010

Gertrud

Gertrud macht dienstags in der Bath Street sauber – auch für sie war die Fußball-WM ein großes Ereignis für Kapstadt: „Die Stadt war voller Menschen!“ Gertrud wohnt in Kayelitsha, einem großen Township ungefähr 20 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Sie ist erstaunt, dass wir es kennen und sogar schon dort gewesen sind – für die meisten Weißen sind die Townships unbekanntes Gebiet. Drei Kinder hat sie, die Tochter studiert an der Universität von Kapstadt - das kostet 2.100 Rand Gebühren im Jahr. Sie aufzubringen, ist jedes Jahr schwierig.
Auf dem Weg zur Arbeit muss Gertrud zweimal das Sammeltaxi wechseln, eine Tour kostet sie 21 Rand. Seit der Fußball-WM gibt es zwar auch eine städtische Buslinie, aber mit der wäre sie länger unterwegs, und sie ist auch noch einen Rand teurer: Da bleibt sie lieber bei den Sammeltaxis.
In der Presse wurde gerade eine Untersuchung zitiert, nach der Südafrika in einer Statistik weltweit führend ist: In keinem anderen Land geben die Leute soviel Zeit und einen so großen Anteil ihres Einkommens für den Weg zur Arbeit aus. Bei Getrud ist es ein knappes Drittel. Die Infrastruktur ist für die WM zwar deutlich verbessert worden, aber für sie brachte das Spektakel direkt keinerlei Fortschritt.
Das deckt sich mit den Beobachtungen von Otto Kohlstock, der als Pastor im Township Philippi Armenprojekte betreut. In seinem neuen Rundbrief kann er keine positiven Aspekte der WM entdecken: Für die Armen habe sie nichts gebracht. Und nur ein einziger seiner „Kunden“ habe ein Spiel im Stadion gesehen – weil Kohlstocks Förderverein ihm ein Karte geschenkt hatte. Viele seien durch die WM sogar noch ärmer geworden: weil die fliegenden Händler ausgesperrt wurden und viele ihre Waren nicht mehr verkaufen konnten. Niemand in den Townships spreche heute noch von der WM. Nur die Fifa durfte ihren Gewinn steuerfrei ins Ausland exportieren.


Dienstag, 3. August 2010

Buchmesse beendet

Rund 40-tausend Besucher, nicht mehr so viele internationale und große Verlage wie in den vergangenen Jahren, viele kleine Stände aus Südafrika und große von Dubai, China und Korea, zwei Tage lang intensive Debatten in kleinen Workshops und heute, am letzten Tag, viele Schulkinder – die Buchmesse von Kapstadt in Stichworten. Für uns war das ein guter Auftakt. So nah kommt man Autoren und Büchermachern sonst nicht; hier ist alles sehr überschaubar.
Der Cartoon oben stammt übrigens von Zapiro, dem wohl bekanntesten Cartoonisten Südafrikas. Eine Stunde lang zeigte er auf der Buchmesse Cartoons, die mit Sport zu tun hatten - ganz sicherlich die vergnüglichste Stunde auf der Buchmesse!
Die politischen Debatten nahmen im Vergleich zu den letzten beiden Jahren nicht mehr so viel Raum ein. Aber trotzdem muss der Regierung die Ohren geklungen haben, denn viele nahmen bei der Kritik der herrschenden Zustände kein Blatt vor den Mund.
Am letzten Messetag gab es noch zwei andere Höhepunkte: Im Forum konnten wir einen Schüler-Quiz auf Afrikaans verfolgen – und wir konnten nicht nur sehr viel verstehen, sondern wussten manchmal die Antwort schneller als die Teilnehmer. Junge Schülerinnen und Schüler mussten multiple-choice-Fragen zu afrikanischer Geographie beantworten, und das Zuschauen hat Spaß gemacht. Die Jan-van-Riebeeck-Schule holte sehr viele Punkte…
Und am Stand der Supermarktkette Pick’n Pay wurde mittags gekocht: Der Küchenchef des Hotels „Zwölf Apostel“ – Freunde hatten sowohl von der Küche als auch von der Wellness-Landschaft geschwärmt – bereitete ein Drei-Gänge-Menu vor, in dem alle Gerichte mit Roibos-Tee verfeinert wurden. Und wie beim richtigen Fernsehen durfte man probieren! Vor allem Salat und Hauptgericht schmeckten vorzüglich: Bei unserem nächsten Buchladen-Besuch werden wir nach dem Rezeptbuch fragen…

ANC-Medienpolitik

Neben den üblichen Fraktionskämpfen innerhalb des ANC wird nichts in der südafrikanischen Presse gerade so heftig diskutiert wie die jüngsten Überlegungen der Partei zum Umgang mit den Medien. Leitartikler, Verbände und NGOs wenden sich vehement gegen Vorschläge, eine Kontrollinstanz für die Presse zu errichten, die dem Parlament (wo der ANC eine komfortable Mehrheit hat) verantwortlich sein soll. Weiter überlegt die Partei, den Besitz von und das Zitieren aus „klassifiziertem Material“ unter drakonische Strafen zu stellen. „Klassifiziertes Material“ – das wären zum Beispiel entsprechend eingestufte Regierungspapiere und vertrauliche Protokolle.
Peter Bruce, Chefredakteur der Tageszeitung „Business Day“, schreibt heute, die ANC-Pläne seien vor allem Politikern geschuldet, die es hassten, wenn ihre Inkompetenz und Korruptheit von der Presse bloßgestellt würden.
Als Argument für eine Kontrolle der Presse muss auch die Bestechlichkeit zweier Journalisten herhalten – Ibrahim Rasool, der frühere Regierungschef der Kapprovinz, hatte zwei Reporter mit Zuwendungen dazu bewegt, ihn in freundlichem Licht erscheinen zu lassen. Als das herauskam, wurden die beiden gefeuert – Rasool aber, so Bruce bitter, soll nun als Botschafter nach Washington geschickt werden.
Anstatt Nelson Mandela immerfort zu ehren, sollte der ANC besser auf ihn hören, schreibt Bruce und zitiert eine Redepassage von 1994, in der Mandela die Bedeutung einer freien, unabhängigen Presse betont. „Madiba hätte die Idioten gefeuert, die das Medien-Tribunal und das Gesetz zum Schutz der Information vorgeschlagen haben“, meint Bruce. Aber noch gibt es keine Anzeichen dafür, dass der ANC von seinen Plänen abrücken wird.

Montag, 2. August 2010

20 Jahre "Dance for All"

Als Bischof Desmond Tutu mit angedeuteten Tanzschritten auf die Buehne des Artscape-Theaters kam, erhielt er standing ovations. Schon Helen Zille, Gouverneurin der Kap-Provinz, war vom Publikum sehr freundlich empfangen worden. Beide waren Ehrengaeste von "Two Decades - One InSPIRAtion", einer Gala zum zwanzigjaehrigen Bestehen von "Dance for All", unserem Lieblingsprojekt am Kap. Vor fast ausverkauftem Haus gab es zweieinhalb Stunden Programm - Ehrung auch fuer Phyllis Spira, die 2007 verstorbene Primaballerina Suedafrikas, die gemeinsam mit ihrem Mann Philip Boyd "Dance for All" gegruendet hat.
Zille und Tutu sind Schutzpatrone der Organisation, die ohne Spenden nicht lebensfaehig waere. Schon fuer 25 Rand im Monat kann man ein "Freund" von "Dance for All" werden, und viele im Publikum waren es schon. Wie sehr Tanzen das Selbstbewusstsein staerken kann, konnte man auch im Artscape sehen, obwohl viel Township-Feeling nicht entstand, weil die meisten Nummern Gast-Kuenstler beisteuerten - viele "Dance for All"-Mitglieder haben eben schon Karriere gemacht. Als eines der Kinder beim Abgang nach der ersten Nummer ein "Super!" in die Kulissen fluesterte und jeder im Publikum das mitbekam, gab es den ersten Lacher...

Sonntag, 1. August 2010

Mugabe and the white African

Suedafrika hat auch Kinos. Die sind meist in Shopping Malls und heissen "Nu Metro" oder "Ster Kinekor", und sie sehen nicht viel anders aus als die entsprechenden Filmvorfuehrketten bei uns. In Kapstadt gibt es aber auch ein altehrwuerdiges Programmkino, das "Labia". Und da war gestern "Mugabe and the White African" zu sehen. Im Maerz hatte der "Economist" noch geschrieben, dass dieser auf dem Londoner Dokumentarfilmfestival 2009 uraufgefuehrte und ausgezeichnete Film in Suedafrika nicht gezeigt werden wuerde. Aber nun ist er auf dem Filmfestival in Durban zu sehen und eben auch im "Labia".
Zwei mutige Filmemacher haben sich bei der Farmerfamilie Campbell "embedded", einiges haben die Farmer heimlich auch selbst gedreht. Dass viele Sequenzen verwackelt sind, unterstreicht noch, wie gefaehrlich das Drehen war.
Vater Campbell hatte nach der Unabhaengigkeit Farmland in Simbabwe gekauft, das die Regierung Mugabe erklaertermassen nicht fuer Landreformen vorgesehen hatte. Mit einem Bankkredit und viel Fleiss wurde daraus Simbabwes groesster Mango-Exportbetrieb, 500 Leute fanden in den verschiedenen Bereichen Arbeit. Doch dann warf der Sohn eines Mugabe-Ministers ein Auge auf die Farm, es gab Ueberfaelle und Einschuechterungen. Doch die Familie bestand auf Recht und Gesetz und weigerte sich zu gehen, zog schliesslich vor das Tribunal der Staatengemeinschaft des Suedlichen Afrika. Dort bekamen sie Recht, die Farm haben sie aber am Ende trotzdem verloren...
Der Film ist so bewegend, weil diese Familie (drei Generationen) ihr Gottvertrauen und ihr Beharren auf dem, was "right" ist, nicht verliert. Sie argumentieren genau so wie die Freiheitskaempfer vor dreissig Jahren, die bei uns so viel Unterstuetzung fanden. Beeindruckend ist auch, wie die Farmarbeiter mit ihnen bangen und leiden, waehrend das Ministersoehnchen nichts als die Hautfarbe als Argument hat (auch wenn es zwischendurch mal Kolonialismus heisst). Vertreten wurde die Familie in Windhuk uebrigens u.a. von einer schwarzen Anwaeltin, die im positiven Sinn "farbenblind" und erschuettert war, als sie Bilder von der brutalen Misshandlung der Familie sah.
Als das Licht im Kinosaal wieder anging und der junge Farmer vorn erschien, erhob sich das Publikum zu respektvollem Beifall; am Ende spendeten viele Besucher fuer die Familie, die jetzt in Harare lebt und weiter fuer ihr Land streitet.
Es war etwas Besonderes, diesen Film in Suedafrika zu sehen, fast alle Besucher waren weiss... Auf die Frage, woher Unterstuetzung kommen koennte, sagte der Anwalt, dass sich in Europa niemand fuer die Weissen in Afrika engagieren wuerde. Da war es ziemlich still.